Metall-Tarifrunde Wirtschaftspolitische Vernunft siegt

Die neuen Öffnungsklauseln im Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie helfen der IG Metall, das Gesicht zu wahren. Und den Arbeitgebern, die satten Lohnprozente zu verkraften. Ein Kommentar.

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Frank Specht berichtet für das Handelsblatt aus Berlin über die Themen Arbeitsmarkt und Gewerkschaften.

Berlin Lange sah es so aus, als würden es die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie zum Äußersten kommen lassen. Viel zu weit lagen die Forderung der Gewerkschaft und das Angebot der Arbeitgeber auseinander. Die IG Metall rüstete schon für ihre neuen 24-Stunden-Streiks, mit denen sie die empfindlichen Lieferketten der deutschen Schlüsselbranche empfindlich getroffen hätte.

Dass der große Knall am Ende ausblieb, liegt vor allem an den Differenzierungsklauseln, die die nordrhein-westfälischen Unterhändler geschickt in den Tarifvertrag hineinverhandelt haben. Die Möglichkeit, die Einmalzahlung ausfallen zu lassen und die zweite Stufe der Tariferhöhung zu verschieben, gibt den Unternehmen die Möglichkeit, bis zu einem Zehntel der Kosten des Abschlusses zu sparen.

Die IG Metall hat Öffnungsklauseln im Flächentarif lange gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Doch ohne die neuen Differenzierungsmöglichkeiten hätte sie nie eine Tarifsteigerung durchsetzen können, die – aufs Jahr gerechnet – die Arbeitgeber ähnlich hoch belastet wie der Abschluss des Vorjahres. Dass die IG Metall trotz der hoch gesteckten Erwartungen vor ihren Mitgliedern das Gesicht wahren konnte, hat also auch damit zu tun, dass sie nun wieder mehr Flexibilität wagen will.

Neben der Höhe des Abschlusses, der den Beschäftigten immer noch ein deutliches Reallohnplus verspricht, hat die Gewerkschaft aber noch eine zweite Gegenleistung durchgesetzt: Sie darf wieder mehr mitbestimmen, wo es differenzierter zugehen darf und wo nicht. Bei den Abschlüssen in den Jahren nach der Lehman-Pleite konnte Tariföffnung noch auf betrieblicher Ebene verhandelt werden. Damit ist nun Schluss, die IG Metall ist zwingend wieder mit im Boot.

Dennoch ist eine Tür aufgestoßen zu der von den Arbeitgebern erhofften Modernisierung des Flächentarifs. Und diese Tür wird die Gewerkschaft auch nicht mehr so leicht schließen können. Die Arbeitgeber schwärmen schon, dass man ja künftig auch Abweichungen vom Flächentarif in beide Richtungen tarifieren könne. Läuft es gut, gibt es eine Erfolgsprämie für die Beschäftigten, läuft es schlecht, darf von der Entgelterhöhung ein wenig abgezogen werden.

Ob es so weit kommt, ist allerdings noch keineswegs ausgemacht. Die Sozialpartner werden schon mit der jetzt ausgehandelten Klausel genug zu tun haben. Denn vom Flächentarif sollen nicht nur Unternehmen in ernsten finanziellen Schwierigkeiten, sondern alle Firmen mit unterdurchschnittlicher Ertragslage abweichen dürfen. Darüber, was unterdurchschnittlich im Einzelfall bedeutet, wird sicher hart gerungen werden.

Gut ist aber, dass die IG Metall wirtschaftspolitische Vernunft über gewerkschaftlichen Dogmatismus gestellt hat. Von größerer Differenzierung, die jetzt möglich wird profitieren beide: ihre Mitglieder und die im internationalen Wettbewerb stehende deutsche Wirtschaft.

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