Organisierte Kriminalität Die Steuermafia prellt den Staat um Milliarden

Die organisierte Kriminalität hat nach Prostitution und Drogenhandel ein neues Geschäftsfeld: Steuerbetrug. Mit einer eigenen Eliteeinheit rüstet der Zoll gegen eine steigende Gewaltbereitschaft auf.

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Hohe Margen mit Fälschungen und Schmuggelware
Wodkaflaschen und Ginflaschen Quelle: REUTERS
Ein Mann steckt sich eine Zigarette an Quelle: dpa
Kaffeebohnen Quelle: dpa
Diesel18.000 Euro pro Tankfüllung eines 38-Tonners spart, wer Diesel als „technisches Öl“ importiert. Die Energiesteuer beträgt 48,6 Cent pro Liter. Auch Heizöl (6,1 Cent Steuer) kommt entfärbt als Diesel in den Tank. Quelle: dpa
Schuhplagiate Quelle: dpa
Kassenbon Quelle: dpa
Gefälschte und echte Viagra-Pillen Quelle: AP

Auch Ganoven haben in Deutschland Anspruch auf Nachtruhe. Und so wartete Marco Müller mit seinem Spezialkommando bis sechs Uhr, um die Wohnung von zwei Steuersündern in Mülheim an der Ruhr zu stürmen. Die Verdächtigen, zwei Türken, galten als Kopf einer Bande, die Bier- und Branntweinsteuern in Millionenhöhe hinterzogen hatte. Da die beiden Täter vermutlich bewaffnet waren, forderten die Zollbeamten für den Zugriff im Morgengrauen eine Spezialeinsatztruppe an. Kein SEK der Polizei und auch nicht die GSG 9 führte die Operation Lupus aus, sondern die ZUZ.

Die Chiffre steht für Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll. „Wir sind die Ultima Ratio als Service-Dienstleister beim Zoll“, erklärt Kommandoführer Müller seinen Job. Will heißen: Wenn es brenzlig wird, dann greift die rund 50 Mann starke Elitetruppe von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein. Und brenzlig wird es immer öfter. „Wir beobachten eine zunehmende organisierte Kriminalität bei Zolldelikten“, sagt der parlamentarische Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk (CSU) und stellt gleichzeitig eine steigende Gewaltbereitschaft fest.

Gigantische Summen

Die ZUZ hat Schäuble indes nicht etwa aus seiner vorherigen Zeit als Bundesinnenminister mitgebracht. Die in Köln ansässige Truppe ist bereits seit 1998 als Sondereinheit des Zolls aktiv, wenn auch in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Der Zoll wiederum ist für Schäuble die (finanziell) wichtigste Verwaltung. 124 Milliarden Euro, also rund die Hälfte seiner Steuereinnahmen, flossen dem Bund im vorigen Jahr über die Zollverwaltung zu. Die größten Positionen waren dabei 40 Milliarden Euro Energiesteuer, 14 Milliarden Tabaksteuer, 7 Milliarden Stromsteuer und 52 Milliarden Euro Einfuhrumsatzsteuer.

Die gigantischen Summen locken das organisierte Verbrechen magisch an, Steuern im großen Stil zu hinterziehen oder gar den Fiskus anzuzapfen. Mafiabanden, die sich klassischerweise mit Drogen, Prostitution, Menschenschmuggel und Geldwäsche beschäftigen, diversifizieren ihre Geschäftstätigkeiten. Sie profitieren von der Liberalisierung, Globalisierung und dem Zusammenwachsen Europas genauso wie die reguläre Wirtschaft.

Immer neue Geschäftsmodelle kreieren die Kriminellen und nutzen dabei Deutschland nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als logistische Drehscheibe für ihre internationalen Aktivitäten.

Der Zoll und die organisierte Kriminalität

Zu den jüngsten Betätigungsfeldern zählt der Biermarkt, genauer gesagt: die Umgehung der Biersteuer. Auch die Gang um das türkische Führungsduo, das die ZUZ in Mülheim bei der Operation Lupus dingfest machte, mischte hier mit. Die Bande übernahm zu diesem Zweck zunächst eine marode Brauerei in Süddeutschland und ließ sich vom Hauptzollamt Karlsruhe ein Steuerlager für Bier, Branntwein und Wein bewilligen. Allein im zweiten Halbjahr 2012 soll es dann zu über 4000 Lkw-Transporten von unversteuertem Bier aus französischen Steuerlagern gekommen sein.

Doch die Lieferungen fanden offensichtlich nur fiktiv statt, wie der Zoll ermittelte. Die türkische Gang in Deutschland war lediglich für ein Täuschungsmanöver in einem großen europäischen Mafia-Deal zuständig, quasi als Subunternehmer. Sie nahm auf dem Papier die Ware ab, damit das Bier ganz offiziell „unter Steueraussetzung“ (so der Fachbegriff) und mit entsprechenden Dokumenten die französischen Steuerlager verlassen durfte.

Zehnfache Marge

Die kuriosesten Schmuggler-Artikel
Knochen und ausgestopfte TiereEine skurrile Sammlung mit mehr als 80 ausgestopften Körpern, Schädeln und Knochen von meistens streng geschützten Tieren haben Zollfahnder in Düsseldorf sichergestellt. Sie hatten Postpakete aus Indonesien geöffnet, die bei einer Routinekontrolle aufgefallen waren, wie der Zoll in Essen mitteilte. In den Paketen befanden sich das Skelett eines Hornvogels sowie ein Affenarm - die erforderlichen Einfuhrgenehmigungen konnte der Adressat, ein 51-jähriger Mann aus Düsseldorf, nicht vorlegen. Bei der Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume fanden die Zollfahnder unter anderem einen Wirbelknochen eines Wales und einen mit einer SS-Mütze dekorierten ausgestopften Turmfalken. Die Ermittlungen dauern an. Quelle: dpa
Medikamente, Uhren, Textilprodukte und Smartphones: Die Angebotspalette der Produktpiraten wächst weiter. Allein 2012 wurden in der Europäischen Union Waren im Wert von einer Milliarde Euro sichergestellt. In Deutschland machten gefälschte Waren 127 Millionen Euro aus. Beschlagnahmt wurden hier 24 000 Fälschungen. Der Vizepräsident der EU-Kommission Antonio Tajani stellte am Dienstag in Köln eine Kampagne gegen Produktpiraterie vor, mit der besonders die Verbraucher mit ins Boot geholt werden sollen. Die EU setzt dabei verstärkt auf Aufklärung über die mit diesen Produkten verbundenen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken. Quelle: dpa
ZigarettenAlleine am Hamburger Hafen haben Zollfahnder 53 Millionen Schmuggelzigaretten sichergestellt - das ist der größte Fund in den vergangenen acht Jahren. Kurios ist dazu noch der Ort, wo sie versteckt waren: hinter einer Tarnladung aus Handtüchern. Quelle: dpa
WaffenIm März hat das Zollkriminalamt bekanntgegeben, dass der Waffenschmuggel aus Deutschland zu nimmt. 1,55 Millionen Schuss Munition seien demnach 2012 sichergestellt wurden - doppelt so viel wie im Vorjahr. Wieder ist der Hauptumschlagplatz der Hamburger Hafen. Außerdem stellte der Zoll 2012 5166 Kriegswaffen und 1,5 Millionen Schuss Munition sicher. Quelle: dpa
DrogenIn Windeln, im Magen oder weniger versteckt im Handgepäck: Was hat man nicht schon alles gehört, wo und wie Drogen am Flughafen oder Hafen geschmuggelt werden können. Erst kürzlich fand ein Obsthändler in Griechenland in einer Fracht Bananen aus Kolumbien 280 Kilogramm Kokain. Der deutsche Zoll beschlagnahmte vergangenes Jahr 29 Tonnen Rauschgift, darunter 401 Kilo Heroin. Quelle: dpa
EisbärenfellVielleicht hat die Zollfahnder schon der große Koffer stutzig gemacht: In einem Trolley fanden sie ein riesiges Eisbärenfell. Gerne wird aus Asien auch Bärengalle mitgebracht - sie soll gegen körperliche Beschwerden helfen. Quelle: dpa
Schildkröten und andere exotische TiereSie werden in Koffern versteckt und häufig in unvorstellbaren Mengen geschmuggelt: In Bangkok wurden vor einigen Jahren 1140 Schildkröten in vier Koffern sichergestellt. In München versuchte ein Australier 36 lebendige Babyschlangen im Handgepäck - einem Stoffbeutel - nach draußen zu bringen - sie wurden als "ungefährlich" eingestuft. Hauptsächlich an den Flughäfen stellte der Zoll 2012 außerdem in 1100 Fällen über 71.000 geschützte Tier- und Pflanzenarten sowie daraus hergestellte Waren sicher. Quelle: dpa

Tatsächlich schmuggelte eine andere Bande, so der Verdacht, die Bierpaletten aus der Gegend von Calais nach Großbritannien. Dort ist die Biersteuer nämlich viel höher – und damit auch der Profit für die Mafia. Die einfache Rechnung lautet: Bei einer Lkw-Ladung mit 200 Hektoliter Bier würden in Deutschland nur 1800 Euro Biersteuer fällig, in Großbritannien hingegen rund 18.000 Euro, was also die zehnfache Marge bedeutet. Rund zehn Millionen Euro Schaden erlitt der britische Fiskus allein durch diesen einen Bier-Betrugsfall.

Die Lupus-Bande, die dafür ihr süddeutsches Steuerlager zur Verfügung gestellt hatte, bekam nach den Ermittlungen der Zollfahnder ungefähr 1400 Euro pro Sendung, oder richtiger: für die Erledigung eines fiktiven Verwaltungsvorgangs. Mit ihren illegalen Serviceleistungen dürfte die Bande über vier Millionen Euro erwirtschaftet haben – natürlich einkommensteuerfrei. Einen Teil des Geldes wuschen die türkischen Gangster über Juweliergeschäfte im Ruhrgebiet, einen anderen Teil schafften mehrere Kurierinnen auf dem Luftweg in die Türkei.

Nicht nur der britische, auch der deutsche Fiskus hatte bei der Lupus-Bande das Nachsehen, da sie zusätzlich (und tatsächlich) mit Schnaps dealte. Elf unversteuerte Branntweinsendungen ermittelte der Zoll „mit einem Steuerschaden von voraussichtlich mehreren Hunderttausend Euro zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland“.

Die Bier- und Schnapsmasche ist erschreckend simpel und zeigt, wie anfällig der europäische Binnenmarkt für das organisierte Verbrechen ist. Innerhalb der EU ist es nämlich möglich, verbrauchsteuerpflichtige Produkte unter Steueraussetzung zu transportieren, und zwar bis zum Bestimmungsland, wo dann letztlich die Besteuerung erfolgt. Voraussetzung für den steuerfreien Transport ist seit 2011 die Teilnahme am sogenannten „System zur Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren“ (EMCS). Die EMCS-Papiere müssen die Spediteure auf ihren Touren dabei haben und bei Kontrollen vorlegen.

Mit welchen Urlaubs-Souvenirs man Ärger bekommt
Wer Urlaub in den EU-Staaten macht, muss kaum Waren verzollen. Wer jedoch aus anderen Ländern heimreist, erwartet möglicherweise am Flughafen die große Überraschung: Die Beschränkungen bei Reisen in Nicht-EU-Länder sind allerdings ungleich schärfer. Sie gelten für Erwachsene (ab 17 Jahren). Für Kinder unter 15 Jahren liegt die Freigrenze für Waren bei 175 Euro. Quelle: dpa
TabakAlle Einreisenden dürfen entweder 200 Zigaretten oder 100 Zigarillos (Gewicht 3 Gramm pro Zigarillo) oder 50 Zigarren oder 250 Gramm Drehtabakzollfrei einführen. Innerhalb der EU liegen die Grenzen höher: Mitgebraucht werden 800 Zigaretten oder 400 Zigarillos oder 200 Zigarren oder ein Kilogramm Rauchtabak. Allerdings müssen alle Tabakwaren eine Steuerbanderole haben. Quelle: dpa
AlkoholZollfrei in die EU eingeführt werden dürfen ein Liter Spiritosen (Alkoholgehalt mehr als 22 % vol.) oder zwei Liter alkoholische Getränke (Alkoholgehalt maximal 22 % vol.) oder anteilige Zusammenstellung dieser Waren und vier Liter nicht schäumende Weine und 16 Liter Bier. Insgesamt dürfen die Getränke aber nicht teuer als 430 Euro sein. Innerhalb der EU gilt: Erlaubt sind zollfrei zehn Liter Spirituosen (z. B. Wodka, Whisky oder Rum) oder zehn Liter Alcopops, 20 Liter Zwischenerzeugnisse (z. B. Sherry oder Portwein), 60 Liter Schaumwein beziehungsweise 110 Liter Bier. Keine Begrenzungen gibt es bei Wein. Quelle: dpa
KaffeeErlaubt sind 500 Gramm Kaffee (oder Kaffeebohnen) oder 200 Gramm löslicher Kaffee (oder Kaffeekonzentrat). Innerhalb der EU: zehn Kilogramm. Quelle: dpa
ParfümOhne Zoll zu bezahlen dürfen 50 Gramm beziehungsweise 50 ml Parfüm und 250 Gramm/250 ml Eau de Toilette aus Drittstaaten in die EU eingeführt werden. Quelle: dpa
KraftstoffeBilliges Benzin aus dem Ausland mitbringen? Auch das geht nach den Zollbestimmungen nur in Maßen: Eine Tankfüllung – dabei darf der Tank nicht nachträglich vergrößert sein plus maximal – zehn Liter in einem Reservekanister können steuerfrei eingeführt werden. Wer mehr mitnehmen will, muss einen festgelegten Steuersatz zahlen. Der liegt derzeit bei 4,24 Euro pro fünf Liter Benzin und 2,81 Euro pro fünf Liter Diesel. In Deutschland ist ein einziger Ersatzkanister pro Fahrzeug erlaubt. In anderen Ländern ist das ganz verboten, etwa in Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Rumänien und Ungarn. Quelle: dapd
BargeldMaximal 10.000 Euro sind erlaubt. Darunter fallen auch Münzen und Geldscheine alter Währungen, wenn sie noch umtauschbar sind (zum Beispiel die D-Mark), Aktien und andere Wertpapiere. Bei Sammler- und Anlegermünzen entscheidet der aktuelle Marktwert, nicht der Prägewert. Quelle: dpa

1 Schein - 20 Touren

Bei der Bier-Masche werden zum Beispiel offiziell eine Lieferung nach Großbritannien und 19 nach Deutschland angemeldet (damit beim französischen Steuerlager am Ende die Bestandsstatistik stimmt). Tatsächlich fahren aber alle Lkws mit dem einen, 20 Mal ausgedruckten EMCS-Papier nach Norden. Im ohnehin schon wenig wahrscheinlichen Falle einer Kontrolle kann also jeder einen Beförderungsschein vorlegen; dass mehrere Lkws gleichzeitig überprüft werden und der Schwindel auffliegt, ist noch viel weniger wahrscheinlich.

Wie sehr das organisierte Verbrechen diese Schwächen ausnutzt, lässt sich nur erahnen. So hat sich die Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich der Verbrauchsteuern 2012 gegenüber 2010 auf 572 mehr als verdoppelt. In einem Lagebericht kommt das Zollkriminalamt zu dem alarmierenden Ergebnis: „Bei der (...) an Bedeutung gewonnenen Verbrauchsteuerkriminalität handelt es sich für die Tätergruppierungen, die der mittleren, schweren und organisierten Kriminalitätsstufe zuzurechnen sind, um ein besonders lukratives ,Geschäft‘ mit enormen Gewinnaussichten.“

Krakenhafte Ausbreitung des organisierten Verbrechens

Die kuriosesten Flugzeug-Schmuggeleien
Brathähnchen mit Drogenfüllung Quelle: dpa
Vibrator in der Leberwurst Quelle: AP
Schlangen am Körper Quelle: AP
Kokain im Ersatzbein Quelle: AP
Tigerbaby zwischen Stofftieren Quelle: Fotolia
Truthahn in der Handtasche Quelle: Fotolia
Über 40 iPhones am Körper Quelle: dapd

Die Zeiten, in denen Helmut und Marianne im 200er-Mercedes von Duisburg nach Venlo fuhren und dort wegen der niedrigeren Steuer Kaffee und Diesel bunkerten, sind schon lange passé. Sorgen bereiten dem Zoll auch nicht die Thailandurlauber, die ein paar Stangen Zigaretten und drei Flaschen Whisky im Gepäck schmuggeln.

Die krakenhafte Ausbreitung des organisierten Verbrechens im Bereich der Verbrauchsteuern schafft eine ganz neue Bedrohungslage für Deutschland. Die Schadenshöhen steigen für den Fiskus in exponentiellem Maße. Zur Professionalität kommt eine Gewaltbereitschaft hinzu, die bei Steuerdelikten bislang eher unbekannt war und die man bisher nur aus dem Drogen- und Rotlichtbereich kannte. Dies ist aber nicht wirklich verwunderlich, kommen viele Steuermafiosi doch aus diesem Milieu.

Im Konkurrenzkampf untereinander setzen sich offenbar bei den Steuerbetrügern diejenigen durch, die die höhere Gewaltbereitschaft aufweisen. Beim Zoll und beim Bundeskriminalamt beobachtet man einen regelrechten Verdrängungswettbewerb. Deutsche Ganoven werden von Ex-Jugoslawen ausgebootet, diese von Türken und die wiederum von Russen und anderen Ex-GUS-Staatsangehörigen.

Ängstliche Ganoven

Der Gewaltdarwinismus schlägt sich bei den Einsätzen der Spezialeinheit des Zolls nieder. 90 Prozent der Täter seien inzwischen nicht deutscher Herkunft, schätzt ZUZ-Kommandoführer Müller. Die Verrohung erfasst dabei selbst die deutschen Kleinkriminellen bis zum Anabolika-Dealer in Mecklenburg-Vorpommern, der sich aus Angst, von der ausländischen Konkurrenz erledigt zu werden, nun auch bewaffnet. Für die ZUZ werde es dadurch noch gefährlicher, erläutert Müller, weil bei einem Zugriff viele Täter dächten, von einer rivalisierenden Bande überfallen zu werden. Aus diesem Grunde überklebten die ZUZ-Kräfte bei manchen Einsätzen ihre Zoll-Buchstaben durch die bekanntere Aufschrift „Polizei“.

Zwangsläufig nehmen die ZUZ-Anforderungen zu. Schäubles Eingreiftruppe musste in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits 44 Einsätze mit 8500 Mann-Stunden durchführen, während es im gesamten Vorjahr nur 52 Einsätze mit 8400 Stunden waren. Inzwischen arbeiten die Einsatzbeamten am Limit. „Angesichts der permanent ansteigenden Einsatzanforderungen suchen wir händeringend nach geeigneten Bewerbern“, sagt Müller. An mangelnden Planstellen liegt es dabei nicht, die Soll-Stärke ist auf 62 Beamte festgelegt. Vielmehr sind die Ansprüche sehr hoch: Nur zehn Prozent der Bewerber überstehen das strenge Auswahlverfahren.

Der ZUZ-Kommandoführer analysiert die Arbeit seiner Truppe in der Backsteinkaserne in Köln-Dellbrück, wo früher belgische Soldaten stationiert waren und heute das Zollkriminalamt sitzt. Neben ihm steht an diesem Sommertag Staatssekretär Koschyk. Der Vertreter von Finanzminister Schäuble ist regelmäßig beim Zoll, um sich ein Lagebild zu verschaffen. Schließlich geht es um viele Milliarden Euro für den Fiskus.

Kriminelle herausfischen

Die rund 39.000 Zollbeamten, darunter 3500 Fahnder, arbeiteten in einem neuralgischen Bereich, meint Koschyk: „Deutschland als exportstarkes Land lebt von offenen Grenzen, gleichzeitig machen sich Verbrecher dies zunutze.“ Der Zoll müsse also „den Balanceakt“ vollführen, die Kriminellen herauszufischen, ohne Bürger und Unternehmen mit Kontrollen zu drangsalieren.

Einfach die Grenzen wieder dicht machen und dort massive Zollkontrollen einführen (wie es die USA seit dem 11. September 2001 tun) verbiete überdies schon das Schengener Abkommen. Trotzdem seien „Ausgleichsmaßnahmen“ erforderlich, sagt Koschyk. Dazu zähle, dass die Bundesregierung alte Überhangstellen an den Ostgrenzen nicht weiter abbaue. Zollbeamte würden an ihren alten Standorten – „auch familienschonend“, wie Koschyk betont – neue Einsätze erhalten, um den Schmugglern vor Ort das Leben schwer zu machen.

Rasterfahnder

Daneben setzt die Regierung auf internationale Kooperation und elektronische Kontrollen. Deutsche Zollbeamte treffen sich regelmäßig mit ausländischen Kollegen und bauen offizielle wie persönliche Kontakte auf. Selbst mit China gebe es inzwischen gute Beziehungen, sagt Koschyk. Wo die Gespräche etwa über Produktfälschungen vor ein paar Jahren noch ruppig gewesen seien, gehe es heute konstruktiv zu – sicher auch, weil chinesische Firmen mittlerweile selbst von Plagiaten geschädigt würden.

Derweil versucht der Zoll, den Warenverkehr elektronisch zu erfassen. In Weiden in der Oberpfalz hat das Zollkriminalamt im vergangenen Jahr eine Zentrale für Sicherheitsrisikoanalysen eröffnet. Noch bevor Ware auf dem Transportweg das Zollgebiet der Europäischen Union erreicht, analysieren dort 50 Beschäftigte rund um die Uhr potenzielle Risiken und informieren im Verdachtsfall die Zöllner an den Flug- und Seehäfen.

Doch bei mehr als 100 Millionen Zollabfertigungen allein im Geschäft mit Nicht-EU-Staaten ist dies ein schwieriges Unterfangen. Schwächen der elektronischen Rasterfahndung sind offenkundig. Zum einen erfasst sie nur Lieferungen aus Drittländern. Zum Zweiten sind die monatlich rund eine Million Eingangsmeldungen mit ungefähr 2,3 Millionen Positionen eine riesige Menge. Und zum Dritten sucht und findet die Mafia immer neue Geschäftsmodelle und Vertriebswege, die sich dem bisherigen Fahndungsraster entziehen und hinter die die Staatsgewalt erst kommen muss.

Besonders en vogue sind bei den modernen Al Capones in jüngster Zeit offenbar Heiz- und Kraftstoffe. Zumindest weist die Kriminalstatistik hier einen starken Anstieg aus, gut 80 Prozent aller Ermittlungsverfahren bei Verbrauchsteuerdelikten beziehen sich hierauf. Der Grund ist simpel: die hiesige Dieselsteuer von knapp 49 Cent pro Liter. Bei einem 38-Tonnen-Tanklaster geht es damit um über 18.000 Euro – eine große Verlockung für das Verbrechen. Und getreu dem Motto „Klotzen, nicht kleckern“ setzt die Mafia nicht nur Lkws ein, sondern mittlerweile auch Tankschiffe.

Professionalität nimmt zu

Die Verstecke der Schwarzgeld-Schmuggler
"Haben Sie Bargeld dabei?"Zöllner kontrollieren stichprobenartig, ob Reisende hohe Bargeldsummen im Gepäck haben. Die Kontrollen können direkt am Grenzübergang stattfinden, aber auch durch mobile Einsatztrupps, die einige Kilometer im Landesinneren lauern. Wer mehr als 10.000 Euro dabei hat, muss dies den Zöllnern mitteilen. Wenn Reisende schweigen und die Ermittler trotzdem hohe Summen finden, informieren sie per Kontrollmitteilung das Finanzamt des Betroffenen. Quelle: Hauptzollamt Ulm
Schmuggelroute Bregenz - Lindau: Besonders häufig sind die Zöllner an den Grenzen zu Luxemburg und der Schweiz unterwegs. Zahlreiche Bargeldfunde melden traditionell die Beamten aus der Region Lindau am Bodensee. Dort - im Dreiländereck Schweiz-Österreich-Deutschland - kommen zahlreiche Steuerflüchtige vorbei, die ihr Schwarzgeld zurück in die Heimat schmuggeln wollen. Quelle: Hauptzollamt Ulm
Daten-CD's schrecken Hinterzieher auf: 2010 war für Deutschlands Bargeld-Fahnder ein Rekordjahr. Die Tatsache, dass der deutsche Fiskus eine CD mit Kundendaten der Schweizer Großbank Credit Suisse gekauft hatte, schreckte zahlreiche Hinterzieher auf. Viele entschieden sich für eine strafbefreiende Selbstanzeige beim Finanzamt, andere versuchten, ihr Geld heimlich zurückzuholen. Aber längst nicht allen Steuersündern gelang es, durch die Zollkontrollen zu schlüpfen. Quelle: Reuters
Angst vor dem Abkommen:Auch 2011 blieb die Angst vor Entdeckung groß - vor allem wegen des Steuerabkommens, über das Deutschland und die Schweiz verhandeln. Es sieht eine engere Kooperation der eidgenössischen Banken mit deutschen Steuerfahndern sowie eine pauschale Strafsteuer für Schwarzgeld vor. Ob das Abkommen in Kraft tritt, steht aber noch nicht fest, da die SPD Nachbesserungen fordert. Quelle: dapd
Scheine ohne Ende: Allein die Fahnder im Großraum Lindau (Bodensee) stellten 2011 rund drei Millionen Euro Bargeld sicher und fanden in den Unterlagen von Reisenden Konto- und Depotauszüge, die auf ein Auslandsvermögen von satten 500 Millionen Euro hindeuten. Schätzungen zufolge dürften sich daraus Steuernachzahlungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich für den deutschen Fiskus ergeben - allein durch Funde in Lindau und Umgebung, wohlgemerkt. Quelle: dpa
Schlechtes Versteck im Koffer:Nur selten liegt das Bargeld ganz offen im Koffer wie im Fall dieses Krimi-Fans, den die Lindauer Zöllner kürzlich schnappten. Die meisten Schmuggler lassen sich bessere Verstecke einfallen. Quelle: Hauptzollamt Ulm
Cash am Körper: Großer Beliebtheit erfreuen sich Taschen, die unter der Kleidung ganz eng am Körper getragen werden. Anfang März erwischten Zöllner am Grenzübergang Bietingen einen 59-jährigen Metzgermeister aus Bayern, der 147.000 Euro in zwei Bauchtaschen schmuggelte. Wegen Nichtanmeldens des Bargeldes muss er nun ein Bußgeld zahlen, zudem wird sein Heimatfinanzamt informiert - dem er dann erklären muss, woher das Geld stammt. Quelle: Hauptzollamt Ulm

Eine Masche ist, Dieselkraftstoff als „technische Öle“ (etwa Rostreiniger oder Schalungsöl) zu deklarieren. Der Sprit kann dann gänzlich ohne steuerliche Überwachung – oft aus osteuropäischen Ländern als Ausgangsbasis – nach Deutschland transportiert werden.

Die traditionelle Methode ist hingegen, das nur mit sechs Cent pro Liter versteuerte Heizöl als Kraftstoff zu verwenden. Die Professionalität der Täter nimmt auch hier zu. So betreibt die Mafia inzwischen Entfärbungsanlagen in einigen EU-Ländern, in denen dem ordnungsgemäß gekennzeichneten Heizöl der Farbstoff entzogen wird, um es optisch unverdächtig an reguläre Tankstellen zu vermarkten. Auch in Deutschland hat der Zoll bereits Versuchsanlagen aufgespürt.

Kein Schuldgefühl

Absoluter Klassiker bleiben bei den Banden allerdings Zigaretten. Hohe Steuern und Millionen Kunden ohne Schuldgefühl machen das Geschäft lukrativ – und für den Staat bedrohlich. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im Auftrag des Tabakkonzerns Philip Morris wird mehr als jede fünfte Zigarette in Deutschland steuerfrei geraucht, insgesamt 21 Milliarden Stück; knapp die Hälfte davon wird allerdings legal eingeführt. Die illegalen zwölf Milliarden Glimmstängel verursachen laut KPMG einen Schaden von mehr als zwei Milliarden Euro zulasten des Bundes.

Eindeutiger Schwerpunkt in dieser Sparte des Verbrechens sind die neuen Bundesländer. Fast jede zweite Kippe hat hier keine Steuerbanderole. Vietnamesische Straßenhändler dominieren das Geschäft, die je nach familiären Bindungen oder regionaler Herkunft organisiert sind. Den hohen Gewinn nutzen die Banden, so die Erkenntnisse der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Zigarettenhandel vom Berliner Landeskriminalamt, dem dortigen Zollfahndungsamt und der Bundespolizei, um auch in andere Bereiche wie Menschen-, Waffen- und Rauschgifthandel zu investieren.

Schätzung des Anteils nicht in Deutschland versteuerter Zigaretten

Dramatisch ist die Diversifizierung in Crystal Meth, eine hochgefährliche Designerdroge, die billig herzustellen ist, sofort abhängig macht und ihre Konsumenten binnen kürzester Zeit in menschliche Wracks verwandelt. Die meisten Crystal-Meth-Küchen befinden sich offenbar in Tschechien, wo bisher auch der Verkauf hauptsächlich stattfand. Doch über die Vietnamesen-Connection gelangt das weiße Teufelszeug nun direkt nach Berlin. Auch aus diesem Grunde sollen die alten Grenzzöllner nicht weiter aus dem Osten abgezogen werden.

Der Kampf gegen Drogen- und Zigarettenschmuggler ähnelt dem Kampf gegen die Hydra. Kaum sind Dealer verhaftet und Netze zerschlagen, treten andere an ihre Stelle. Nachfrage und Profit sind einfach übermächtig. Und als dirigiere die von Adam Smith beschriebene unsichtbare Hand auch den Schwarzmarkt, finden Produzenten, Groß-, Zwischen- und Einzelhändler sowie Konsumenten immer wieder zueinander.

Tabakwaren auf Flüssen

Bei chinesischen Schmuggelzigaretten sorgten Erfolge der Zollfahnder beispielsweise dafür, dass die Banden ihre Logistik änderten. Um die Herkunft zu verschleiern, werden Stationen in Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten zwischengeschaltet. Manche Banden meiden den vergleichsweise streng kontrollierten Hamburger Hafen, das deutsche Tor nach Asien. Sie landen ihre Konterbande in anderen EU-Häfen an und nutzen dann die Freizügigkeit des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs. „Seit 2011 mehren sich die Hinweise (...), dass das EMCS-Verfahren europaweit genutzt wird, um nun auch Zigaretten in den Schwarzmarkt zu bringen“, heißt es in einem Lagebericht des Zollkriminalamtes.

Das organisierte Verbrechen schippert inzwischen seine Tabakwaren en gros über die Flüsse. Am Oder-Havel-Kanal beispielsweise enterte ein ZUZ-Kommando einen Frachter, voll beladen mit Zigaretten aus Polen. Die Stangen wurden gerade auf Lkw-Sprinter umgeladen, um anschließend im Ameisenverkehr in Berlin verkauft zu werden.

Ihre logistische Leistungsfähigkeit beweist die Mafia schließlich auch bei Luxustaschen, Markenkleidung oder Autoersatzteilen – alles natürlich gefälscht. „Besonders in der Ferienzeit werden die Produktpiraten aktiv“, sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, und meint damit den Verkauf von Sonnenbrillen, Zigaretten, Parfüms, T-Shirts oder Jeans in den Urlaubsregionen. Bedenklich ist dabei die verbreitete Akzeptanz dieser Kriminalität: 40 Prozent der unter 35-Jährigen kaufen bewusst Plagiate, ermittelte die Wirtschaftsprüf- und Beratungsgesellschaft EY in einer europaweiten Umfrage.

Die meisten Kunden aber werden schlicht getäuscht. Volker Bartels von der Firma Sennheiser berichtet von ahnungslosen Kunden, die erbost klangschwache Kopfhörer einschickten, welche sich dann bei der Überprüfung als billige Imitationen erwiesen. Zum Umsatz- kommt der Rufschaden hinzu. Sennheiser geht deshalb dazu über, seine Waren mit QR-Codes zu versehen. Mittels Smartphone können Käufer dann bei einer Datenbank abfragen, ob es sich tatsächlich um einen Original-Kopfhörer handelt.

Besonders wichtig ist für Bartels, der auch Vorsitzender des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM) ist, dass sich mehr Unternehmen aktiv dieses Problems annehmen und die Zusammenarbeit mit dem Zoll suchen – von der Grenzbeschlagnahme über Schulungen zum Erkennen von Fälschungen bis hin zu Tipps für Razzien.

Für das organisierte Verbrechen sind dies jedoch kaum mehr als Nadelstiche. Und wo Zoll und ZUZ an die Grenzen ihrer Zuständigkeitsbereiche gelangen, hört die Mafia noch lange nicht auf. Längst agiert sie auch in anderen Sphären des (steuerlichen) Verbrechens und prellt Finanzbehörden mit getürkten Karussellgeschäften um Milliarden.

Gewinnträchtige Alternativen gibt es für die Mafia in offenen Gesellschaften und globalen Wirtschaftskreisläufen stets zur Genüge. Der Staat hinkt immer einen Schritt hinterher.

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