Pisa-Bildungsstudie Kritik an Willkommensklassen für Flüchtlingskinder

Junge Flüchtlinge lernen am schnellsten im regulären Unterricht Deutsch – Willkommensklassen sind laut OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher ungeeignet. Im Pisa-Bildungsvergleich ist Deutschland weiter Mittelmaß.

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Andreas Schleicher, Bildungsexperte der OECD, kritisiert Willkommensklassen für Flüchtlinge in deutschen Schulen. Quelle: dapd

Berlin Der als „Pisa-Papst“ bekannte Bildungs-Experte der OECD, Andreas Schleicher, hat die in Deutschland zu Tausenden eingerichteten Willkommensklassen für die Flüchtlingskinder kritisiert:  „Das ist kein so gutes Instrument“, sagte er in Berlin bei der Präsentation einer Pisa-Sonderauswertung über sogenannte „Risikoschüler“. „Wenn sie sehr früh Mathematik oder Geschichte in den deutschen Klassen lernen, lernen sie auch die deutsche Sprache viel schneller“.

Als Risikoschüler bezeichnet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Jugendliche, die mit 15 Jahren nicht einmal einfachste Aufgaben wie die Umrechnung eines Preises von Euro in Dollar bewältigen.

Generell sei „Heterogenität“ der Schüler, also ungleiche Vorbildung, Sprachkenntnisse und der Art zu Lernern, „noch immer eine sehr große Herausforderung“ in Deutschlands Schulen – die nun durch die Flüchtlinge noch wachse.  Der OECD-Experte, der für die Koordination der internationalen Pisa-Tests der 15-Jährigen verantwortlich ist, zeigte sich jedoch optimistisch, dass Deutschland Schulsystem die Integration der Flüchtlinge meistern kann.  

Schließlich hätten sich die Leistungen der Migranten, die schon rund ein Drittel der Schüle stellen,  seit Beginn der Pisa-Tests deutlich gebessert: Ihr Rückstand ist habe heute nur noch „soziale Gründe“, so Schleicher. Rechne man jedoch den im Schnitt schlechteren sozio-ökonomische Situation der Migranten heraus, „kommen von ihnen genauso viele an die Spitze, wie von den Nicht-Migranten“.

Insgesamt ist der Anteil der Risikoschüler seit 2003 immerhin um vier Prozentpunkte gesunken. Bei den Leseleistungen ging die Quote der „low-performer“, wie die OECD leistungsschwache Schnennt,  in dem knappen Jahrzehnt bis 2012 sogar um acht Punkte zurück.

Ausschlaggebend dafür sei das konsequente deutsche Reform-Paket gewesen: der massive Ausbau der Kindergärten, die neuen Ganztagsschulen und die von den Kultusministerien etablierten  Bildungsstandards, lobt Schleicher. Als Negativbeispiel nannte er Österreich, wo die Reformen nicht konsequent gewesen und Bund und Länder teilweise gegeneinander gearbeitet  hätten.

Trotzdem gibt die OECD keine Entwarnung. Im Gegenteil: Denn „das deutsche Schulsystem hat sich in einem knappen Jahrzehnt gerade mal von mittelmäßig auf gut gesteigert – asiatische Staaten wie Singapur oder die Region Shanghai in China hingegen von sehr gut auf super gut“. Zudem sei die anfängliche Dynamik nach dem Pisa-Schock von 2003 zuletzt fast verpufft. Andere Länder, wie zum Beispiel Polen, aber auch Mexiko oder Brasilien zeigten, dass es hier „keine gläserne Decke gibt“, sondern dass man die Leistungen der Schüler  „kontinuierlich auch über einen langen Zeitraum steigern kann“. Im Schnitt hat sich der Anteil der Risiko-Schüler in der OECD jedoch leicht erhöht.


„Die besten Lehrer für die schwierigsten Schüler“

Wieviel Spielraum noch vorhanden ist, zeigt Schleicher mit einem drastischen Vergleich: „Die zehn Prozent Schüler in Shanghai, die die ärmsten und ungebildetsten Eltern haben, sind im Schnitt immer noch besser als das Viertel der Schüler in Deutschland, die aus den besten Elternhäusern kommen.“ 

Der Kampf für bessere Schüler lohnt sich auch ökonomisch: Aktuell zählen in Deutschland rund 141.000 Schüler zur Risikogruppe – sie erreichen von insgesamt sechs Leistungsstufen der Pisa-Tests maximal die erste. „Würde es gelingen, sie auch nur auf Stufe zwei zu bringen, würden sie über ihr Arbeitsleben hinweg rund 3600 Milliarden Euro zusätzlich zum Bruttoinlandsprodukt beisteuern“, kalkuliert die OECD den Nutzen.

Als zentralen Hebel sieht Schleicher die spezielle Förderung der Schwächeren. In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg traditionell extrem hoch: „Die Wahrscheinlichkeit, in der Gruppe der Risikoschüler zu landen, ist bei Kindern aus benachteiligten Familien sieben mal so hoch, wie bei den Gutsituierten“. Andere Länder wie etwa das Einwanderungsland Kanada, aber auch die Niederlande, Kroatien und Korea  schaffen es nach den Ergebnissen der Pisa-Tester weit besser, den  unterschiedlichen Hintergrund der Schüler auszugleichen.

Schleicher empfiehlt „die besten Lehrer für die schwierigsten Schüler“.  Dabei muss mehr Chancengerechtigkeit keinesfalls den Guten und den von zu Hause privilegierten Schülern schaden, wie viele Eltern befürchten, betont der Bildungsexperte.  Im Gegenteil: „Der Einsatz für mehr Chancengerechtigkeit  bringt im Schnitt auch die Spitze nach oben“, lautet seine Lehre aus dem internationalen  Vergleich der Systeme.

Entscheidend sei, „die besten Köpfe für den Lehrerberuf zu gewinnen“ und dies auch regelmäßig fortzubilden. In Singapur etwa hätte jeder Lehrer Anrecht auf rund 100 Stunden Weiterbildung – pro Jahr. „Und mindestens einmal pro Woche beobachten sie dort den Unterreicht eines Kollegen, um gemeinsam die Pädagogik weiterzuentwickeln“. In Deutschland ist beides völlig unüblich.

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