Pkw-Maut Die Maut-Geiselnahme

Die Mehrheit der Länder war gegen die Pkw-Maut der CSU. Doch am Ende wurde die Zustimmung erpresst. Vorausgegangen war ein 36-stündiger Telefonmarathon, bei dem mit Liebesentzug gedroht und mit Schecks gewunken wurde.

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Die Druckmacher in der Maut-Frage: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (r.) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (beide CSU). Quelle: dpa

Berlin Für gewöhnlich berät der Bundesrat einfache Tagesordnungspunkte nicht direkt zu Beginn, wenn zu dem Thema kein Ministerpräsident spricht. An diesem Freitag aber ist alles anders. Es geht um die heftig umstrittene Pkw-Maut. Die Länderkammer – vor allem die SPD regierten Bundesländer – wollen das vom Bundestag beschlossene Gesetz nicht so einfach durchwinken, sondern es in den Vermittlungsausschuss schicken und dort noch einmal grundlegend überarbeiten.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Thorsten Albig (SPD) wollte eigentlich reden, wurde dann aber kurzfristig krank. Dennoch blieb der Tagesordnungspunkt oben. Es war der Showdown eines 36 Stunden dauernden Telefonmarathons, bei dem mit Schecks gewunken sowie mit Hieben und Liebesentzug gedroht wurde, was am Ende in der Umschreibung „Geiselnahme“ gipfelte.

Seit Wochen haben Bundesländer wie das Saarland und Niedersachen damit gedroht, das Lieblingsprojekt der CSU im Bundesrat zu stoppen. Zu teuer, zu bürokratisch, ein einziges Minusgeschäft, eine Gefahr für die Wirtschaft in den Grenzregionen, darüber hinaus noch diskriminierend gegenüber EU-Ausländern und das zu einer Zeit, in der Europa mehr Einheit statt mehr Trennendes benötigt: So lautete die Kritik im Bundesrat, aber auch bei SPD und CDU im Bundestag, in der Opposition und auch bei vielen Experten.

Doch all diese Bedenken hat die CSU weggewischt, will sie doch endlich, dass auch Ausländer Maut in Deutschland zahlen und nicht nur die Bayern, wenn sie in den Skiurlaub nach Österreich oder in die Schweiz oder zum Baden an die Adria fahren. In den Bierzelten kommt diese Forderung immer gut an – Vollzug zu melden ebenfalls.

Seit Mittwochabend stieg entsprechend der Druck von der CSU auf die Länder. Bereits im Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD soll CSU-Chef Horst Seehofer darauf gepocht haben, dass die SPD dafür sorge, ihre Bundesländer auf Linie zu bringen. Wie es in SPD-Kreisen hieß, war es danach nicht etwa der neue SPD-Chef Martin Schulz, sondern einmal mehr sein Vorgänger, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel, der in zahlreichen Telefonaten versuchte, die Länder auf Linie zu bringen.

Dies hatte er bereits 2015 beim ersten Anlauf für die Ausländer-Maut erfolgreich getan. Damals überzeugte er Ministerpräsident Albig, der am Ende aus dem Kreis der Gegner ausscherte und nicht für den Vermittlungsausschuss stimmte. Die Länderinteressen wahrte Albig dadurch, dass sein Land Fördergelder für die Energiewende erhielt. Die SPD selbst profitierte bundesweit in den Umfragen nicht davon, die unbeliebte Maut durchzuwinken. Das Projekt aber wurde kurz darauf von der EU-Kommission gestoppt, da es Ausländer diskriminierte.


CSU setzt Länder unter Druck

Dieses Mal galt es, eine überarbeitete Version zu beschließen, auch wenn sie wenig Besserung verspricht. Schleswig-Holstein blieb bei der neuerlichen Abstimmung standhaft. Schließlich stehen am 7. Mai die Landtagswahlen vor der Tür. Da schickt es sich, für Grenzregionen zu kämpfen und eine neue Maut abzulehnen, die womöglich die Dänen davon abhält, im Nachbarland einkaufen zu fahren.

Ebenso argumentierten andere Bundesländer. Bis in die Nacht hinein stand trotz zahlreicher Telefonate die Mehrheit, waren Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen überzeugt, den Vermittlungsausschuss anrufen zu wollen.

Auch am Morgen telefonierten die Maut-Befürworter noch eifrig, unter anderem auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Entscheidend war ein Telefonat mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Nach Informationen des Handelsblatts aus Kreisen der Länderkammer hat Thüringen als Kompensation für seine Enthaltung im Bundesrat den Ausbau eines Verkehrsprojekts erhalten. Danach soll die Eisenbahnstrecke von Weimar nach Gera nun doch elektrifiziert und teilweise zweispurig ausgebaut werden. Das Projekt war bislang nicht als vordringlich eingestuft und wäre unter normalen Umständen nicht realisiert worden.

Doch es gab noch anderen Druck auf Thüringen, die Hand für die Einberufung des Vermittlungsausschusses am Ende im Plenum des Bundesrates nicht zu heben. Der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), sprach am Rande des Bundesrats von einer regelrechten „Geiselnahme“. Es habe „eine Verknüpfung der Bund-Länder-Finanzen und der Maut gegeben“, berichtete er.

Wie auch von anderer Seite berichtet wurde, hatte CSU-Chef Seehofer damit gedroht, die vereinbarte Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen platzen zu lassen, sollte die Maut nicht beschlossen werden. Sie wird derzeit im Bundestag beraten und soll noch bis zum Sommer inklusive 14 Änderungen am Grundgesetz umgesetzt werden. Die Drohung habe am Ende die thüringische Finanzministerin Heike Taubert (SPD) dazu bewogen, für Zustimmung zur Maut zu werben. Schließlich verliere Thüringen allein bis 2020 noch rund 300 Millionen Euro an Zuweisungen, womöglich würden demnächst auch EU-Fördermittel entfallen. Das klamme Land sah sich in die Ecke gedrängt.

Andere Länder hingegen wollten gerade die Maut als Pfand in den Vermittlungsausschuss schicken, um bei den Bund-Länder-Finanzen noch Verhandlungsspielraum zu haben. Schließlich geht es dabei auch darum, eine Bundesautobahngesellschaft zu gründen, die den Bundesländern die Zuständigkeit für die Fernstraßen nimmt. Doch dieses Faustpfand haben die Länder nun aus der Hand gegeben.


Thüringen hofft auf Maut-Klage Österreichs

Hoff begründete, warum am Ende ausgerechnet die rot-rot-grüne Regierung Thüringens nachgegeben habe, wo doch eigentlich die Linke heftig gegen die Maut opponiert hat. „Eine Verzögerung der Maut hätte im Ergebnis wahrscheinlich nicht viel gebracht und möglicherweise eher neue Probleme aufgeworfen. Denn es bestand das Risiko, dass das gesamte Paket der Bund-Länder-Finanzen noch einmal aufgeschnürt wird“, sagte er dem Handelsblatt. „Das wollten wir auf keinen Fall.“

Allerdings hätte die Maut gänzlich über den Vermittlungsausschuss gestoppt werden können, indem er seine Verhandlungen einfach vor der Bundestagswahl im September nicht mehr beendet. Der Vermittlungsausschuss solle die Maut-Pläne „aufheben oder grundlegend überarbeiten“, hatte der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) noch in der Bundesratssitzung gesagt.

Er bedauerte das Ergebnis der Abstimmung am Ende, wie auch Herbert Behrens, Verkehrspolitiker der Linken im Bundestag: „Ich hätte mir mehr Mut der Länder gewünscht, diesem unsinnigen CSU-Projekt den Garaus zu machen“, sagte er nach der Entscheidung. Ausgerechnet dem einzigen, von den Linken regierten Bundesland fehlte der Mut.

Stattdessen wird nun darauf vertraut, dass Österreich Dobrindt noch einen Strich durch die Rechnung macht. Denn die Alpenrepublik will nun „zeitnah“ rechtliche Schritte gegen die deutsche Maut einleiten. „Dann hat es der EuGH am Ende in der Hand, ob die Infrastrukturabgabe kommt oder nicht“, so der Erfurter Staatskanzleichef Hoff.

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