Polit-Talkshows Zehn Floskeln, die wir nicht mehr hören können

Gespielte Aufregung, ständiges Dazwischenreden und die immer gleichen Gäste: Politik-Talkshows sind zuweilen harte Kost. Spätestens bei diesen wiederkehrenden Floskeln schalten wir um.

„Ich kümmere mich darum“Hintergrund: Es menschelt in Polit-Talkshows. Anne Will hat das Betroffenen-Sofa einst eingeführt, auch Günter Jauch greift gerne auf die „einfachen“ Menschen zurück, die ihre Probleme schildern und Politiker mit handfesten Fragen und Sorgen konfrontieren. Das ist generell okay so. Schließlich soll sich Politik ja an den Bürgern orientieren. Und: Komplexe Themen werden so in die Praxis übertragen. Das Problem: Politiker nutzen die Schilderung der Bürger, um sich mal besonders betroffen, mal besonders erregt zu zeigen. Nur: Auf die konkreten Fragen und Sorgen der Menschen haben sie nur in den seltensten Fällen eine Antwort. Dafür versichern sie gerne: „Ich schaue mir Ihren Fall noch einmal persönlich an“. Zweifel sind angebracht.Die Meisterin des Satzes : Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie erklärte in der RTL-Wahlkampfarena vor der Bundestagswahl gleich mehrmals in einer Sendung, dass sie sich „kümmern werde“ – sei es um die Probleme eines Leiharbeiters oder um die Frauenquote. Quelle: dpa
„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“Hintergrund: Es gibt Themen, bei denen wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Wer sich kritisch gegenüber Ausländer äußert, die deutsche Vergangenheit anspricht oder Fehler in der Euro-Rettung anmahnt, läuft Gefahr, als Populist verunglimpft zu werden. Denkverbote schaden der Demokratie.Das Problem : Stammtisch-Diskussion und Pauschal-Urteile schaden ebenfalls der Demokratie. Unter dem Deckmantel, die vermeintliche Wahrheit zu sagen („Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“) versuchen sie, strittige Thesen reinzuwaschen.Der Meister des Satzes : Thilo Sarrazin. Der ehemalige Berliner Innensenator sieht sich als Opfer des Mainstreams. Dabei sind Teile seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ schlicht Blödsinn. Quelle: dpa
„Wir lassen kein Kind zurück“Hintergrund: Laut einer Unicef-Studie leben 14 Prozent aller Kinder in Deutschland in relativer Armut und es haben noch immer die Kinder und Jugendlichen die besten Bildungschancen, die aus Akademiker-Familien kommen. Auch Kita-Plätze sind trotz Gesetzesanspruch noch immer nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Kurzum: Es gibt viel zu tun.Das Problem : Insbesondere Oppositionspolitiker verweisen gerne auf das Leid „unserer Kinder“, um die Regierung zu kritisieren. Sprich: Die vermeintlichen Kümmerer instrumentalisieren die Kinder und Jugendlichen. Noch schlimmer: Parolen wie „Wir lassen kein Kind zurück“ werden als Ausrede genutzt, um die Haushalte zu überziehen und Schuldenbremsen zu umgehen.Die Meisterin des Satzes: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Quelle: dpa
„Mit mir wird es das nicht geben“Hintergrund: Es gibt so viele unangenehme Wahrheiten. Wer schätzt schon Steuererhöhungen, die Große Koalition oder die Einführung der Pkw-Maut? Richtig. Keiner. Deswegen probieren viele Politiker in Talkshows, zu leugnen und zu verharmlosen.Das Problem : Der Satz „Mit mir wird es das nicht geben“ geht leicht über die Lippen. Blöd nur, wenn die politischen Partner dann doch gerade auf dem Thema beharren, dass man kurz zuvor kategorisch abgelehnt hat.Die Meisterin des Satzes : Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie schloss im TV-Duell gegen Peer Steinbrück am 1. September die Einführung einer Pkw-Maut kategorisch aus. In den Koalitionsverhandlungen ist das Thema auf dem Tisch. Quelle: dpa
"...für die Menschen da draußen!"Hintergrund: Politiker und die Hauptstadtjournalisten wollen unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie in einer Blase leben, die aus Presseterminen, Sitzungen und Besprechungen besteht. Deswegen bemühen einige Talkshowgäste die patriarchalisch anmutende Formel von den „Menschen da draußen“. Dazu zählen auch die Zuschauer. Die Zuschauer im Studio, zu denen gelegentlich auch von dem zu verhandelnden Problem Betroffene gehören, sind davon ausgenommen. Immerhin ist man sich dessen bewusst, dass es noch ein draußen gibt.Das Problem: Der Satz offenbart, wie groß der Abstand zwischen der anonymen Masse der Draußen-Menschen und dem verhältnismäßig kleinen Zirkel der Talkshowmoderatoren und -gäste ist. Viel mehr drückt der Satz nicht aus. Außer dass man sich wirklich um die Menschen kümmert. Ehrlich. Versprochen.Meister des Satzes: Vor allem Günther Jauch geht es viel um die Menschen da draußen. Quelle: dpa
„Jetzt rede ich; ich habe Sie ja auch nicht unterbrochen“Der Hintergrund: Es gibt kaum eine massenwirksamere Möglichkeit seine Thesen unters Volk zu bringen als eine Talkshow. Das ist vor allem für Politiker interessant. Wenn nur die anderen Gäste nicht da wären! Bei rund einer Stunde Redezeit bleiben für jeden der fünf Gäste und den Moderator noch durchschnittlich zehn Minuten. Davon gehen noch ein paar Minuten für kurze Videos ab und schon muss jeder um seinen Redeanteil kämpfen. Der Satz „Jetzt rede ich; ich habe Sie ja auch nicht unterbrochen“ ist somit ein Appell an die Fairness des Gegenübers.Das Problem: Die Aufforderung zeigt in der Regel nur einmal Wirkung. Danach wird sie schlicht übergangen. An diesem Punkt werden Diskussionsrunden im Fernsehen zunehmend unansehnlich. Denn es geht nicht mehr um einen argumentativen Schlagabtausch, sondern um Stimmkraft und Beharrlichkeit.Meister der Floskel: Wolfgang Bosbach und Renate Künast teilen sich den ersten Platz in dieser Disziplin. Beide haben ihre Floskelfähigkeit in zahllosen Talkshow-Auftritten trainiert. Quelle: dpa
„Die Energiewende muss bezahlbar bleiben.“Hintergrund: Die Kosten für das jeweilige Lieblingsprojekt des Talkshowgastes haben in der Regel die unangenehme Angewohnheit zu steigen. Teilweise sogar rasant, siehe Energiewende. Da Talkshows nicht der richtige Ort dafür sind, die Kosten für die Energiewende durchzurechnen, „muss das bezahlbar bleiben.“ Je nach Politiker und Parteizugehörigkeit tauschen Sie das Wort Energiewende gegen Mindestlohn, Gesundheit oder Familienpolitik aus.Das Problem: Es ist eine Sache, seine Mit-Talkshow-Gäste zu überschreiben und mantrahaft die Bezahlbarkeit des persönlichen Lieblingsprojekts zu predigen. Eine andere ist es, das Projekt dem Bundesfinanzminister schmackhaft zu machen. Leichter gesagt als getan. Das merkt auch der letzte Zuschauer – und lässt das Projekt, so sinnvoll es auch sein mag, unrealistisch erscheinen.Meister des Satzes: Bundesumweltminister Peter Altmaier bevorzugt aktuell die Version „Energiewende“. Quelle: dpa
»Ich komme gerne auf Ihre Frage zurück, aber lassen Sie mich zunächst folgendes sagen.«Hintergrund: Als Talkshowgast kommt man eher selten genau dann zu Wort, wenn man auch was zu sagen hat. Aus dieser misslichen Situation hilft der einleitende Satz: „Ich komme gerne auf Ihre Frage zurück, aber lassen Sie mich zunächst folgendes sagen:« Das ist ein Freibrief erster Güte – es sei denn, der penetrante Moderator besteht auf seiner Frage.Das Problem: Anne Will hat diesen Satz einmal als ihren Albtraum-Satz für eine Talkshow bezeichnet. Der Grund: Er macht jegliche Gesprächsführung zunichte. Das nervt letztendlich auch den Zuschauer.Meister des Satzes: Der ehemalige SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück verfolgte im TV-Duell gegen Angela Merkel öfter mal seine eigene Linie. Quelle: dpa
"Genau das ist jetzt Aufgabe der Politik dafür eine tragfähige Lösung zu finden"Hintergrund: Dieser Satz steht immer ganz am Anfang eines Problems. Er deutet zwei Dinge an. Erstens, wir haben noch keine Lösung, sonst würden wir sie präsentieren. Zweitens, die Politik als solche kann schlecht zur Rechenschaft gezogen werden. Der Talkshowgast, sofern er denn Politiker ist, kann darin also hervorragend abtauchen. Das nennt man Verantwortungsdiffusion.Das Problem: Dass Politiker Lösungen finden sollen, dürfte jedem klar sein, der eine politische Talkshow einschaltet. Der Erkenntnisgewinn dieser Aussage ist demnach gleich null. Das führt vor allem zu, genau, Langeweile. Solche Worthülsen nutzt der erfahrene Talkshowgast zum Nachdenken. Hoffentlich fällt ihm was Interessanteres ein.Meister des Satzes: SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel
„Das haben amerikanische Wissenschaftler bewiesen.“Hintergrund: Was nicht intuitiv überzeugt, muss mit einer Studie belegt werden. Dieses Gesetz deutscher Diskussionsführung ist in Deutschland nicht wegzudenken. Die „amerikanischen Wissenschaftler“ sind ein Spezialfall unter den Belegen. Für den Zitierenden bieten sie zwei Vorteile: Sein Gegenüber kennt die Studie höchstwahrscheinlich nicht und hat auch üblicherweise keinen Gegenbeweis parat.Das Problem: Es ist immer leicht unbekannte, amerikanische Wissenschaftler zu zitieren. Das macht aber das Argument nicht besser. Denn was nicht mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar ist, wird mit dem Verweis auf irgendwelche Experten nicht besser erklärt. Im Zweifelsfall haben amerikanische Wissenschaftler auch schon das Gegenteil bewiesen.Meister des Satzes: Manfred Spitzer, Neurodidaktiker und Psychologe, brachte 2012 das Buch mit dem klangvollen Titel „Digitale Demenz“ heraus. Er argumentierte, dass Kinder durch digitale Medien dumm werden. Für ein paar Wochen war der Hochschullehrer Dauergast in deutschen Talkshows.
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