Regieren ohne die Union Wünsch dir was in Rot-Rot-Grün

Wenn ein Linker, ein SPDler und eine Grüne schon mal den Ernstfall für eine Bundesregierung proben, geht das erstaunlich gesittet ab. Den Parteien bleibt nicht viel anderes übrig.

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In Thüringen wurde bereits Geschichte geschrieben: Dort ist Rot-Rot-Grün an der Macht. Quelle: dpa

Köln Als die Moderation Bodo Ramelow vorstellt, den ersten linken Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes, brandet großer Applaus und Jubel auf. Er führt in Thüringen eine Koalition, die in Deutschland einzigartig ist: Rot-Rot-Grün unter der Führung eines Linken.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Köln-Bonn hat in Köln eingeladen zur Podiumsdiskussion „Erfahrungen aus Thüringen – Perspektiven für 2017? Was bringt Rot-Rot-Grün den Menschen insbesondere den Arbeitnehmern?“ Zu den Diskussionsteilnehmern gehört Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen, ehemalige Umweltministerin des Saarlandes und Vertreterin des linken Parteiflügels. Außerdem Ralf Stegner, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, Landes-und Landesfraktionsvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein, ebenfalls Vertreter des linken Parteiflügels. Und eben Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen und damit der erste Linke, der ein Bundesland regiert.

„Wie können wir Mehrheiten ohne Unions-Führung organisieren?“, fragt Simone Peter zu Beginn der Diskussion. Und fügt hinzu: „Wir sind einen Schritt weiter seit 2013.“ Dass überhaupt eine Podiumsdiskussion zu Rot-Rot-Grün stattfindet, zeigt: Ein solches Bündnis soll nicht mehr länger ausgeschlossen werden – wie es in der Vergangenheit auf Bundesebene und in vielen Ländern der Fall war .

„Wir reden über Politik links von der Union, nicht links von der Mitte der Gesellschaft“, sagt Ralf Stegner. „In einer Demokratie muss man mit allen Parteien, abgesehen von rechtspopulistischen und -extremen Parteien, koalieren können, wenn der Wähler es so will.“

Die Option Rot-Rot-Grün spricht zumindest in Köln viele an: Für eine politische Veranstaltung in den Abendstunden ist der Hörsaal der Universität Köln gut besucht. Die vorderen Reihen sind komplett besetzt, es sind weit mehr als 100 Besucher gekommen. Im Publikum graue Köpfe neben jungen Gesichtern: Hauptsächlich Studenten und Rentner befinden sich unter den Zuhörern. Mit Begeisterung werden Flyer des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbandes (SDS) entgegen genommen, der linken Hochschulgruppe, die sich für die Abschaffung des Kapitalismus und die Einführung des Sozialismus ausspricht.


Die Linke – nicht regierungsfähig?

Für Grüne und SPD wäre Rot-Rot-Grün grundsätzlich eine Möglichkeit, auf Bundesebene ohne die Union zu regieren – auch wenn das derzeit Umfragen zufolge noch unrealistisch ist. Nach der jüngsten bundesweiten Sonntagsumfrage des Wahlforschungsinstituts Infratest dimap erhielten die SPD 22 Prozent der Stimmen und die Grünen zwölf. Damit kommen sie gemeinsam ebenso viel Stimmenanteile wie die Union, die bei 34 Prozent liegt.

Ein Bündnis mit den Linken (acht Prozent) wäre eine Möglichkeit für SPD und Grüne, um gegen die Union anzukommen. Aufgrund der erstarkten AfD und einer FDP, die aktuell über der Fünf-Prozent-Marke liegt, würde es aber trotzdem derzeit nicht für eine Regierungsmehrheit reichen. Wären am Sonntag Bundestagswahlen, würde es wieder zu einer Großen Koalition kommen – mit der SPD als Juniorpartner. Besonders dem linken SPD-Parteiflügel dürfte diese Aussicht nicht gefallen.

Die Podiumsdiskussion in Köln zeigt, dass sich einiges verändert hat. In der Vergangenheit hatte die Linkspartei als nicht regierungsfähig gegolten. Noch 2014 hatte der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann in einem Interview gesagt: „Die Linke ist bundespolitisch derzeit mit Sicherheit nicht regierungsfähig.“ Auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte die Linkspartei für keinen guten Regierungspartner gehalten. Als es nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Jahr 2010 nicht für eine rot-grüne Mehrheit reichte, entschied sie sich lieber für eine Minderheitsregierung als dafür, mit den Linken zu koalieren.

Dennoch: Für alle Gesetze, die verabschiedet wurden, brauchte die rot-grüne Regierung damals die Zustimmung der Linken. Somit kam es zu einer versteckten Regierungsbeteiligung der Linken, was von übrigen den Oppositionsparteien heftig kritisiert wurde.

Die Berührungsängste gegenüber der Linkspartei haben sich verringert. Peter bedauert im Nachhinein, dass es 2011 im Saarland zu einer Jamaika-Koalition, einem Bündnis auf CDU, Grünen und FDP, kam – und nicht zu einer linken Koalition. „Ich bin überzeugt, dass eine rot-rot-grüne Regierung länger gehalten hätte“, sagt die Grünen-Politikerin. Die Jamaika-Koalition hatte nicht einmal ein Jahr gehalten.


„Es ist deutlich geworden, welche Schnittmengen existieren“

In Köln scheinen sich die Parteien bestens zu verstehen. Stegner, Peter und Ramelow reden brav nacheinander, keiner fällt dem anderen ins Wort. Keiner kritisiert den anderen. Jeder der drei Politiker bringt seine Argumente vor, immer wieder tosender Applaus. Besonders bei den Themen soziale Sicherungssysteme und Flüchtlingspolitik. Alles, was sie sagen, könnte auch von dem jeweils anderen gesagt werden. Sie seien nicht hier, um über Gegensätze zu sprechen, sondern über Gemeinsamkeiten, sagt Simone Peter. Und weiter: „Das Ziel linker Politik ist eine vielfältige Gesellschaft.“

Der Star des Abends ist eindeutig Ramelow. Er berichtet von der Regierungsarbeit in Thüringen, die harmonisch sei. „Alle Koalitionsparteien begegnen sich auf Augenhöhe“, sagt Ramelow. Die Wertigkeit aller Parteien sei gleich hoch, unabhängig davon, welche Prozentwerte sie bei der Wahl geholt hätten. Glaubt man dem Linken, handelt es sich um eine Vorzeigeregierung. Ramelow berichtet auch von anderen positiven Entwicklungen: Die Arbeitslosenquote sinkt, die Löhne steigen und es gebe mehr Ein- als Auspendler. Was ihn bedrückt: Jedes Jahr verlassen 18.000 Menschen Thüringen. Und er muss sich mit der AfD herumschlagen, die im thüringischen Landesparlament sitzt.

Ramelow ist derjenige, der sich an dem Abend am wenigsten für Fehler rechtfertigen muss. Stegner trifft es da schon härter. Sowohl die Moderatorin als auch ein Besucher kritisieren die Agenda 2010 heftig. Stegner redet sich in Rage und wird immer lauter. Er habe die Reform auch damals für falsch gehalten, betont er mehrmals an dem Abend. Er trete stattdessen ein für eine Lebensleistungsrente, eine Bürgerversicherung, Investitionen in Bildung, Vielfalt, Chancengerechtigkeit, eine stärkere Besteuerung von Kapitaleinkommen und bezahlbaren Wohnraum.

Seine Worte fliegen dröhnend durch den Raum und kommen gut an. Peter verfolgt die gleichen Ziele wie Stegner – zusätzlich fordert sie noch mehr Umweltschutz und eine Vermögenssteuer. Dennoch erhält sie in Köln weniger Applaus als der SPD-Politiker, vielleicht auch, weil sie zurückhaltender auftritt. Stegner und Ramelow stellen sie in den Schatten.

„Es ist deutlich geworden, welche Schnittmengen existieren“, schließt Ramelow und an Stegner gewandt: Wenn er alles, was er gesagt habe, auch so meine, könne man sofort zusammenarbeiten. „Gute Diskussion gestern Abend“, twittert Simone Peter kurz nach Mitternacht. Rot-Rot-Grün kann kommen. Es fehlt nur noch die Mehrheit.

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