Roman Herzog ist tot Abschied vom Reformpräsidenten

Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog war bis zuletzt ein gefragter Ratgeber der Politik. Nun ist der CDU-Politiker im Alter von 82 Jahren verstorben. Bequem war der konservative Bayer freilich nie. Ein Nachruf.

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Der Altbundespräsident ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Quelle: dpa

Berlin Bis zuletzt hat ihn die Befindlichkeit der Bundesrepublik umgetrieben. Er forderte – ganz in der Tradition seiner berühmten „Ruck“-Rede – die „Revitalisierung der politischen Parteien“. Roman Herzog warb für sozialen Frieden und warnte vor Politikverdrossenheit. Nun ist der ehemalige Bundespräsident in der Nacht zu Dienstag gestorben.

„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. (...) Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen“, dies sind wohl seine bekanntesten Worte. Er sprach sie 1997, etwa zu Mitte seiner Amtszeit als Bundespräsident. Da hatte sich Herzog schon als unbequemer Mahner von Politik und Gesellschaft profiliert. Der CDU-Politiker und ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts wollte die Verkrustungen der Republik aufbrechen. „Die ganze Gesellschaft leidet bei uns an eingeschlafenen Füßen, die allerdings bis ans Hirn führen“, monierte er 2004. Auch nach seiner Zeit im höchsten Staatsamt blieb er ein gefragter Ratgeber der Politik und leitete zahlreiche Kommissionen.

Bequem war der konservative Bayer freilich nie. Den 1934 als Sohn eines Museumsdirektors in Landshut geborenen Herzog zog es zum Jurastudium nach München. Dort promovierte und habilitierte er beim Staatsrechtler Theodor Maunz, dem Herausgeber des bekannten Kommentars zum Grundgesetz, dessen Mitherausgeber Herzog später wurde. Doch schon bald wechselte Herzog in die Politik.

Mit 36 Jahren trat er in die CDU ein, 1973 ging er als Staatssekretär nach Bonn, zog später als Abgeordneter in den Stuttgarter Landtag ein. Unter Lothar Späth wurde er 1980 Innenminister in Baden-Württemberg. Die Sicherheitspolitik zog er dort mit „Härte und Zweifellosigkeit“ durch, wie Befürworter und auch Kritiker ihm bescheinigten. So führte er „Demonstrationsgebühren“ ein, um die Teilnehmer von ungenehmigten Versammlungen für den nötigen Polizeieinsatz zur Kasse zu bitten. 

Als umso erstaunlicher wurde seine liberale Linie als Verfassungshüter registriert. So hob er das Verbot einer Demonstration gegen das Kernkraftwerk Brokdorf mit Verweis auf die Versammlungsfreiheit auf. Bekannt ist auch seine Urteil zu den Rentenregelungen für Trümmerfrauen, die Entscheidung zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, die Entscheidung zum steuerfreien Existenzminimum oder ein Grundsatzurteil zur Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine „Totalrevision“ des Grundgesetzes nach der deutschen Einheit schloss Herzog vehement aus. Und er beklagte stets, dass die Politik immer mehr Streitthemen nach Karlsruhe verlagere. 

Als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten brachte ihn die CSU ins Spiel. Zunächst galt er als Ersatzlösung, weil der eigentlich vorgesehene Steffen Heitmann absprang. 1994 wurde Herzog zum Nachfolger von Richard Freiherr von Weizsäcker gewählt. SPD-Kandidat Johannes Rau und FDP-Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher hatten das Nachsehen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Bundespräsident setzte er ein historisches Zeichen der Völkerverständigung.

In Polen, am Mahnmal des Warschauer Aufstandes, äußerte er die „Bitte um Vergebung“ – eine Geste, die nach dem Kniefall von Willy Brandt (SPD) vor dem Ghetto-Denkmal für Aufsehen sorgte.

„Das Fragenstellen ist das schärfste Schwert, das der Bundespräsident hat. Denn Fragen kann man nicht verbieten“, war Roman Herzog überzeugt. Auch deutliche und unbequeme Feststellungen scheute er nie. So kritisierte er etwa: „Ich jedenfalls kann unser Steuersystem nicht mehr verstehen, obwohl ich mich zehn Jahre mit Steuern in Karlsruhe befasst habe.“


Auch als Altbundespräsident blieb Herzog umtriebig

Zur Halbzeit seiner Amtszeit 1996 war er in den Umfragen eine der beliebtesten Persönlichkeiten Deutschlands. Die berühmte Ruck-Rede wird in Erinnerung bleiben. Ebenso, dass er den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus schuf.

Auch als Altbundespräsident blieb Roman Herzog umtriebig. Im Bayerischen Rundfunk leitete er für einige Zeit eine TV-Runde. Zuletzt trat er als Mitinitiator vom „Konvent für Deutschland“ in Erscheinung. Noch im vergangenen Jahr machte die Vereinigung mit einem Apell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von sich reden. Darin wurden die etablierten Parteien in Deutschland scharf kritisiert. Das Erstarken der AfD sei dem Versagen des „Altparteien-Establishments“ geschuldet. Herzog und seine Mitstreiter riefen zur „Revitalisierung“ der politischen Parteien auf.

Herzog, der aus erster Ehe zwei Söhne hat, heiratete 2001, nach dem Tod seiner Frau, die Leiterin der Burgfestspiele Jagsthausen, Alexandra Freifrau von Berlichingen. Auf der Götzenburg in Jagsthausen beging Herzog auch seinen Lebensabend.

Bundespräsident Joachim Gauck würdigte seinen gestorbenen Amtsvorgänger: „Roman Herzog hat Reformbereitschaft angemahnt, als die Bundesrepublik dieser Mahnung in besonderer Weise bedurfte“, sagte Gauck am Dienstag im Schloss Bellevue. „Wie notwendig Veränderungen sind, um Wohlstand und soziale Sicherheit zu gewährleisten, hat er uns immer wieder vor Augen geführt.“ 

Als freiheitsliebender kritischer Geist und als Mann der klaren Worte habe Herzog viel zur Verständigung zwischen Bürgern und Politik beigetragen, sagte Gauck weiter. „Er genoss Vertrauen, weil er eine klare und menschliche Art zu denken hatte und weil er aus tiefster Überzeugung sich für dieses Land und Europa einsetzte – und auch weil er seinen Mitmenschen mit Takt und Umsicht begegnete.“

Herzog habe das höchste Staatsamt in seinem „eigenen unnachahmlichen Stil“ ausgefüllt, würdigte Bundeskanzlerin Merkel Herzog am Dienstag. Er habe das offene Wort gepflegt, sei unprätentiös, humorvoll und durchaus selbstironisch gewesen. „Seine unverwechselbare kluge Stimme und seine Fähigkeit, Probleme offen zu benennen und dabei Mut zu machen, wird mir und wird uns allen fehlen“, sagte Merkel.

„Mit Integrität und persönlicher Autorität, getragen von seinem christlichen Glauben und großer Freiheitsliebe, aber auch mit Selbstironie und Humor, prägte Roman Herzog sein Amt als Bundespräsident durch die Kraft des Wortes“, würdigte SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel den Verstorbenen.

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