Schärfere Sanktionen befürchtet Ukraine-Eskalation alarmiert deutsche Wirtschaft

Die Ukraine geht gewaltsam gegen pro-russische Separatisten im Osten des Landes vor. Die neuerliche Eskalation alarmiert nicht nur die Bundesregierung, auch die deutsche Wirtschaft ist höchst beunruhigt über die Lage.

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Ukrainische Soldaten im Osten des Landes: Droht nun ein Bürgerkrieg? Quelle: dpa

Berlin Führende Wirtschaftsverbände in Deutschland sehen die aktuelle Lage in der Ukraine mit großer Sorge. Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, warnte vor diesem Hintergrund vor einer Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland. „Die derzeitige Entwicklung in der Ostukraine ist alarmierend“, sagte Lindner Handelsblatt Online. „Die deutsche Wirtschaft befürchtet jetzt rasche Sanktionen gegenüber Russland und im Ergebnis der Auseinandersetzungen erhebliche wirtschaftliche Folgeschäden in der östlichen Ukraine.“

Die Kosten möglicher Sanktionen ließen sich derzeit nicht beziffern, da die Art und der Umfang nicht klar seien, sagte Lindner weiter. Aber schon jetzt litten die deutschen Unternehmen unter der angespannten Lage. „Der Ost-Ausschuss ist nach wie vor gegen Wirtschaftssanktionen und für eine diplomatische Lösung, wird aber natürlich die Entscheidung der Politik akzeptieren“, so Lindner.

Börsen-Profis bewerten die Aussichten für die deutsche Wirtschaft unter dem Eindruck der Krise erneut schlechter. Sie senkten ihre Konjunkturerwartungen den vierten Monat in Folge: Das Konjunkturbarometer des Mannheimer Instituts ZEW fiel um 3,4 auf 43,2 Punkte. An Europas Börsen gaben die Kurse erneut nach. In Frankfurt verlor der Dax wegen der Spannungen in der Ukraine 1,8 Prozent und schloss auf dem niedrigsten Stand seit vier Wochen.

Die Krise hielt auch die US-Börsen im Würgegriff. Dies dokumentierte der turbulente Verlauf und festere Schluss des Dow Jones Industrial am Dienstag. Der Leitindex war nach einem freundlichen Auftakt ins Minus gerutscht und erholte sich im späten Handel. Am Ende gewann der Dow 0,55 Prozent auf 16 262,56 Punkte. Der S&P 500 stieg um 0,68 Prozent auf 1842,98 Punkte. Der Technologieindex Nasdaq 100 kletterte um 0,38 Prozent auf 3487,85 Punkte nach oben.

Allergrößte Sorge

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, mäßigend auf die angespannte Lage im Osten der Ukraine einzuwirken. „Wir beobachten die Entwicklung in der Ukraine zurzeit mit der allergrößten Sorge“, sagte Wansleben Handelsblatt Online. Es sei sehr wichtig, dass die für diese Woche geplanten Vierergespräche zwischen den USA, der Ukraine, Russland und der EU stattfinden. „Auch die deutsche Wirtschaft erwartet von der russischen Regierung ein deutliches Signal zur Deeskalation.“

Am Donnerstag wollen die Chefdiplomaten Russlands und der Ukraine sowie der USA und der EU in Genf über einen politischen Ausweg aus der Krise beraten.


Merkel telefoniert mit Putin - keine Annäherung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Dienstagabend mit Putin über die zugespitzte Lage. Beide Politiker hätten die jüngsten Ereignisse unterschiedlich bewertet, teilte eine Sprecherin der Bundesregierung mit. Im Mittelpunkt des Gesprächs habe die Vorbereitung des Treffens in Genf gestanden.

Die Regierung in Kiew hatte am Dienstag damit begonnen, die pro-russischen Separatisten aus besetzten Regierungsgebäuden im Osten des Landes zu vertreiben. Übergangspräsident Alexander Turtschinow sagte, die angekündigte „Anti-Terror-Operation“ nach dem Ablauf eines Ultimatums sei angelaufen. Der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew warnte, die Ukraine stehe „am Rande eines Bürgerkriegs“. Putin forderte von den Vereinten Nationen und der Staatengemeinschaft eine klare Verurteilung des Vorgehens der ukrainischen Sicherheitskräfte.

Der russische Präsident drängte zudem seinen US-Kollegen Barack Obama in einem Telefonat in der Nacht zum Dienstag, die Führung in Kiew vom Einsatz von Gewalt abzuhalten, um ein Blutvergießen zu verhindern. Zudem wies der Kremlchef eine russische Verwicklung in die Unruhen in der Ostukraine zurück. Obama erklärte laut einem ranghohen US-Vertreter, eine diplomatische Lösung der Krise sei zwar noch immer sein Ziel. Doch sei das Vorgehen Moskaus diesen Bestrebungen nicht förderlich.

US-Unterstützung gegen Russland

Die USA äußerten überdies Unterstützung für das militärische Vorgehen gegen die prorussischen Milizionäre. Dies sei nicht die bevorzugte Option, erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Aber die Regierung in Kiew müsse auf die nach seinen Worten untragbare Situation reagieren.

Wie Medwedjew warnte auch der russische Außenminister Sergej Lawrow Kiew vor dem Einsatz von Gewalt gegen die prorussischen Demonstranten. Man könne nicht Panzer schicken und zur selben Zeit Gespräche führen, sagte er mit Blick auf die für Donnerstag in Genf geplanten Verhandlungen über die Krise.


Ukraine-Anrainer-Staaten können mit EU-Solidarität rechnen

Zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten kam es in der Nähe der Städte Kramatorsk und Slawjansk im Verwaltungsgebiet Donezk. Nach schweren Gefechten hätten die Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Interimspräsident Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.

Bereits am frühen Morgen hatten Regierungskräfte das Feuer auf Straßensperren bei Slawjansk eröffnet. Dabei seien mehrere Menschen verletzt worden, sagte ein Sprecher der Separatisten. Bewaffnete hätten die Stadt umstellt, die moskautreuen „Selbstverteidigungskräfte“ bereiteten sich auf einen Angriff vor.

In mehreren Orten der Ostukraine halten moskautreue Separatisten seit Tagen Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet.

Turtschinow hatte den Beginn des Einsatzes am Morgen im Parlament in Kiew verkündet. Ziel des Vorrückens im Norden des ostukrainischen Gebiets Donezk sei der „Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreißen wollen“. „Die Soldaten haben hohen Kampfgeist und hohe Bereitschaft, die Ukraine an der Front zu verteidigen“, sagte der Chef des Sicherheitsrats, Andrej Parubij.

Die EU-Verteidigungsminister sicherten derweil Polen, Rumänien und den drei baltischen Staaten angesichts der Ukraine-Krise ihre Solidarität zu. „Wir haben eine ausgesprochen fragile Situation, in der jetzt auch Besonnenheit wichtig ist“, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nach Beratungen der Minister in Luxemburg.


EU sperrt weitere Konten

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der als Gast über die Lage in der Ukraine referierte, bekräftigte: „Wir diskutieren nicht über militärische Optionen.“ Allerdings wolle die Nato in den östlichen Bündnisländern auch militärisch stärker präsent sein als bisher.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel forderte Russland zur Deeskalation auf - und drohte mit weiteren Sanktionen: Wenn sich die Regierung in Moskau nicht um Entspannung bemühe, seien Deutschland und Europa bereit, die dritte Stufe der Sanktionen in Gang zu setzen. „Niemand will Wirtschaftssanktionen, aber klar ist auch, dass die Bundesregierung im europäischen Kontext keine Angst davor hat.“

Nach Angaben von Frankreichs Außenminister Laurent Fabius könnten weitergehende Sanktionen, die auch Wirtschaftssanktionen beinhalten, in der kommende Woche auf einem EU-Sondergipfel beschlossen werden. Die Drohung mit Sanktionen hatte im Westen Befürchtungen ausgelöst, Russland könne Europa im Gegenzug den Gashahn zudrehen. Bisher haben sich die EU und die USA weitgehend auf Konten- und Einreisesperren beschränkt.

Die Europäische Union sperrte demnach die Konten des einstigen kommissarischen Ministerpräsidenten der Ukraine, Sergej Arbusow. Der Vertraute des früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch ist einer von vier Ukrainern, die neu auf die Sanktionsliste gesetzt wurden. Damit stieg die Zahl der Personen, die wegen des Verdachts auf Veruntreuung staatlicher ukrainischer Gelder keinen Zugriff mehr auf Konten in der EU haben, von bisher 18 auf 22.

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