Schattenwirtschaft Schwarzarbeit ist heimliche Boombranche in Deutschland

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Schattenwirtschaft im Vergleich Quelle: WirtschaftsWoche

Einsatzbesprechung im Hauptzollamt Duisburg, ein Dutzend uniformierter FKS-Beamte sitzt an Resopaltischen vor ihren Kaffeebechern und erhält Anweisungen von Zollinspektor Ralf Kedaj. Gleich werden sie mit Blaulicht über abgesperrte Straßen zu einer Großbaustelle aufbrechen. 339 Arbeiter sind dort beschäftigt. Einsatzleiter Kedaj setzt auf den Überraschungseffekt. Noch am Tag zuvor hatte er sich, als Arbeiter getarnt, auf die Baustelle geschlichen, Ausgänge und Treppenhäuser inspiziert. Jetzt gibt er letzte Kommandos, bevor seine Kollegen mit kugelsicheren Westen und bewaffnet zur Razzia aufbrechen.

Im Laufschritt entern die Zollbeamten den Rohbau, besetzen die Ausgänge und beginnen ohne Umschweife mit den Befragungen: Wie heißen Sie? Für wen arbeiten Sie? Was verdienen Sie? Wie viele Stunden arbeiten Sie am Tag? Die Beamten arbeiten in Zweier-Teams. Einer stellt die Fragen und protokolliert, der andere sichert mit der Hand am Holster das Geschehen. Der martialische Auftritt verfehlt seine Wirkung nicht. Früher flog schon mal ein Hammer, doch heute kommt es nur noch sehr selten zu Übergriffen.

Nach drei Stunden ist in Duisburg der Spuk vorbei, der Zoll rückt ab. Die Gerüstschüttler, wie die Kontrolleure in der Szene spöttisch genannt werden, geben ihr Material an den Innendienst weiter. Vorläufige Ausbeute: zwölfmal Verdacht auf Verstoß gegen den Mindestlohn, achtmal Verdacht auf Scheinselbstständigkeit, neunmal Verdacht auf Sozialleistungsbetrug, achtmal Verdacht auf Nichtanmeldung bei denSozialversicherungen. „Durchschnitt“, kommentiert Kedaj in knappen Worten, „ein gelungener Einsatz, keine besonderen Vorkommnisse.“

Schwarzarbeit: „Dem Staat Quelle: dpa

Das ist nicht immer so. Vor Wochen durchsuchten Zöllner eine verdächtige Baufirma. Alles schien in Ordnung zu sein. Doch dann fanden die Beamten ein digitalisiertes Urlaubsfoto auf dem Computer des Chefs, ein kitschiger Sonnenuntergang im tiefen Abendrot. In dieser Bilddatei, stellten Computerexperten der FKS später fest, verbarg sich sorgfältig verschlüsselt eine geheime Buchführung mit Auflistungen der tatsächlichen Löhne und Arbeitsstunden.

Mit solchen Tricks geben sich die großen Bau-Unternehmen gar nicht erst ab. Aber auch sie sind laut Insidern in Schwarzarbeit verwickelt, nur überlassen sie gern über ellenlange Subunternehmerketten anderen die Drecksarbeit. Am Ende solcher Ketten stoßen Fahnder dann auf dubiose Firmen, die bevorzugt mit Tagelöhnern aus Osteuropa anrücken.

In der Szene herrschen zum Teil mafiöse Strukturen. „Nicht selten müssen die Arbeiter auch noch das Schleusen, das Fälschen der Papiere, die Unterbringung und Verpflegung zahlen“, berichtet Deutschlands oberster Schwarzarbeiter-Jäger Eberhard Haake.

Am Ende malochen die armen Schlucker dann für weniger als zwei Euro pro Stunde. Oder bekommen gar nichts: Die Chefs solcher Banden machen sich gern mit dem Geld aus dem Staub. „Die geprellten Arbeiter“, sagt Gregor Asshoff, Leiter des Referats Politik und Grundsatzfragen bei der IG Bau in Frankfurt, „haben dann nicht mal das Geld für eine Zugfahrkarte in die Heimat.“

Doch selbst wenn es gelänge, die professionelle Schwarzarbeiter-Szene besser in Schach zu halten, die repressiven Möglichkeiten des Staates sind begrenzt. Schwarzarbeit ist ein Massenphänomen, moralisch von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und bis in den letzten Winkel der Republik verbreitet. Es wäre geradezu absurd, den rund 13 Millionen deutschen Schwarzarbeitern mit einer 7000 Mann starken Einheit das Handwerk legen zu wollen. „Da müsste man in jeden Haushalt einen Zollbeamten schicken“, spottet der Linzer Ökonom Schneider. Hinzu kommt: Der Zoll und auch die mit Schwarzarbeit betrauten lokalen Behörden bekämpfen zuvorderst das Symptom, nicht die Ursache. Schwarzarbeit, da sind sich Ökonomen einig, wird niemals verschwinden, weil die Steuern und Abgaben niemals auf null gesenkt werden können. „Den Anreiz, unter der Hand zu arbeiten und arbeiten zu lassen“, sagt IW-Forscher Enste, „wird es immer geben.“

Der einzige Ausweg besteht darin, Schwarzarbeit als ökonomisches Problem zu erkennen und arbeitsmarkt- und steuerpolitisch gegenzusteuern. Das steile Brutto-Netto-Gefälle betrachten Forscher als größtes Hindernis auf dem Weg in die Legalität: Ein Handwerker muss heute offiziell fünf Stunden arbeiten, um eine Handwerker-Stunde bezahlen zu können. Und umgekehrt: Der Handwerker kann sich mit erheblich kürzerer Zeit nach Feierabend Geld dazuverdienen als dies in der offiziellen Wirtschaft mit hohen Abgaben und kalter Steuerprogression möglich wäre.

Ökonomen fordern deshalb, den Faktor Arbeit stärker zu entlasten und im Niedriglohn-Sektor innovative Lohnmodelle zu entwickeln. Die Minijob-Einführung etwa hält Schneider für den wirksamsten Beitrag, der jemals im Kampf gegen Schwarzarbeit geleistet worden sei. Wegen ihrer geringen Abgaben machten sie Putzen und andere einfache Dienstleistungen konkurrenzfähig. Um etwa neun Milliarden Euro haben nach Schneiders Berechnungen die Minijobs das Volumen der Schwarzarbeit in den Jahren 2004 und 2005 gesenkt.

Segensreich würde auch eine mutige Deregulierung des Arbeitsmarktes wirken, sagt IW-Forscher Enste. Mit ökonometrischen Modellen hat er den Zusammenhang von Regulierung und Schattenwirtschaft berechnet. Das erstaunliche Ergebnis: Reduzierte man die Bürokratiedichte und damit die Kosten für hiesige Unternehmen auf angelsächsisches Niveau, könnten 500.000 neue Jobs mit einer Wertschöpfung von bis zu 40 Milliarden Euro entstehen.

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat der Staat bereits unternommen. Doch an anderer Stelle machte er wieder alles zunichte. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr etwa ließ die Schattenwirtschaft um 2,5 bis 5 Milliarden Euro anschnellen und ist für Forscher Schneider „eines der größten Schwarzarbeiterprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“.

Katastrophal wirken auch Mindestlöhne, so eine Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW). Sie verteuern den Faktor Arbeit und setzen neue Anreize, in die Schattenwirtschaft auszuweichen. Das IAW rechnet zwar für 2008 wegen sinkender Arbeitslosenzahlen mit einem Rückgang der Schattenwirtschaft um gut zwei Milliarden Euro. „Doch ohne Mindestlöhne“, sagt IAW-Forscher Bernhard Boockmann. „könnte der Rückgang bei sechs Milliarden Euro liegen.“

Das Heimtückische an der Schwarzarbeit ist, dass sie so leicht außer Kontrolle geraten kann. Schon jetzt gibt jeder fünfte Deutsche zu, mindestens einmal schwarz gearbeitet zu haben, fast jeder dritte hat Arbeiten ohne Rechnung ausführen lassen. Wenn immer mehr Menschen in die Untergrundwirtschaft abwandern, verlieren Staat und Sozialkassen Milliarden, die sie über höhere Steuern und Abgaben wieder reinholen müssen. Das wiederum schafft Anreize, noch mehr schwarz zu arbeiten.

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