Schulpolitik Das Elend der Lehrer

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"Vormittags recht und nachmittags frei"

Welche Bundesländer bei der Bildung Spitze sind
Platz 14: SaarlandAuch im Saarland ist bei der Bildung vieles eher Schatten als Licht. Gerade in den mathematisch-naturwissenschaftlichen MINT-Fächern muss Deutschlands kleinstes Bundesland noch aufholen. Lediglich elf Prozent der Studenten haben 2010 ein ingenieurwissenschaftliches Studium abgeschlossen - bundesweit der niedrigste Wert. Positiv ist hingegen, dass im Saarland nur 5,6 Prozent aller Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Damit liegen die Saarländer im Kampf gegen die Bildungsarmut auf Platz zwei. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 16: Schleswig-HolsteinSchlusslicht des IW-Bildungsmonitors ist Schleswig-Holstein. Zwar liegen die Nordlichter bundesweit bei der Integration (Platz 2) vorne. Leute aus bildungsfernen Schichten haben in Schleswig-Holstein eher die Möglichkeit einen ordentlichen Ausbildungsabschluss zu machen, als anderswo. Dafür aber hat Schleswig-Holstein starke Defizite bei der Akademisierung, der Internationalisierung und den Betreuungsbedingungen. Quelle: dpa
Platz 7: NiedersachsenBesondere Stärken weist Niedersachen bei der Ausgabenpriorisierung (3. Platz) und Zeiteffizienz (4. Platz) auf. Das bedeutet: Für das Land haben Bildungsausgaben besondere Priorität – vor allem Ausgaben für die Hochschulen. Außerdem ist Niedersachsen bei der Umsetzung der Bologna-Ziele für einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum relativ weit. Schlechter schneiden die Niedersachsen bei der Integration und dem Ausbau der Förderinfrastruktur ab. Quelle: dpa
Platz 12: BrandenburgSchüler in Brandenburg können sich auf gute Betreuungsbedingungen verlassen. Auf einen Lehrer in der Sekundarstufe I (ohne Gymnasium) kommen hier nur 12,2 Schüler. Im Bundesdurchschnitt sind es 14,7. Auch bei der Förderinfrastruktur, der Internationalisierung und der Integration geht Brandenburg mit gutem Beispiel voran. Probleme hingegen gibt es hingegen bei der Schulqualität und der beruflichen Bildung. Quelle: dpa
Platz 3: Baden-WürttembergBaden-Württembergs Stärken liegen in der erfolgreichen Vermeidung von Bildungsarmut (Platz 1), und der Akademisierung (Platz 2). Nachholbedarf gibt es vor allem beim Ausbau der Förderinfrastruktur und der Integration. Quelle: dpa
Platz 10: Mecklenburg-VorpommernÜberdurchschnittlich gut präsentiert sich Mecklenburg-Vorpommern bei der Förderinfrastruktur. Ein Viertel der unter Dreijährigen können einen Ganztagsplatz in einer Kindertagesstätte nutzen, bei den drei- bis sechsjährigen sind es sogar 58 Prozent. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt liegen die Werte lediglich bei 11,3 bzw. 34,7 Prozent. Schwächen hat das Bundesland allerdings in der Zeiteffizienz (Platz 15): Im Jahr 2010 brachen mehr als 40 Prozent der Auszubildenden ihre Lehre ab. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 1: SachsenDas leistungsfähigste Bildungssystem in Deutschland hat Sachsen. Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) führt dies vor allem auf  die gute individuelle Förderung dort zurück. Außerdem biete Sachsen wie auch das zweitplatzierte Thüringen einen breiten Zugang zu akademischen Abschlüssen, vor allem in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern an. Quelle: ZB

Nur wer sie bis dahin für völlig unterbelastet ansah, kann glauben, dass das nicht auf Kosten der Arbeitskraft der Lehrer also letztlich der Qualität der Unterrichtsvorbereitung geht. In den Kultusministerien weiß man das natürlich durchaus. Aber was schert den Politiker die Realität, wenn die Wähler eine ganz andere Sicht der Dinge haben. Nicht nur in "bildungsfernen" Milieus, sondern leider auch bei manchem Kaufmann, Anwalt oder Zahnarzt ist noch immer das alte Pauker-Ressentiment lebendig, wonach die faulen Lehrer "vormittags recht und nachmittags frei" hätten. Solch einer schlecht beleumundeten Berufsgruppe – dazu noch größtenteils verbeamtet, kann ein Ministerium problemlos mehr Arbeit aufladen.  

Immer noch ist vielen Menschen nicht klar, dass Lehrer nach Unterrichtsschluss nicht ein Nachmittag voller Müßiggang erwartet, sondern noch einige Stunden Arbeit. Vor eine Klasse von 30 pubertierenden Schülern zu treten, erfordert nicht nur äußerste Konzentration und pädagogische Fähigkeiten, sondern nicht zuletzt auch eine fachliche Vorbereitung jeder einzelnen Unterrichtsstunde. Und nach jedem schriftlichen Test harrt ein Stapel Klausuren der Korrektur. Ein Lehrer einer weiterführenden Schule mit zwei Fremdsprachen als Unterrichtsfach korrigiert bei angenommenen sechs Sprachklassen, also rund 180 Schülern, mit jeweils rund 12 zu korrigierenden Übungs- und Prüfungsarbeiten also mehr als 2000 Arbeiten jährlich. Dazu kommen Besprechungen mit Kollegen, Eltern, Schülern, außerdem Zeugniskonferenzen und Schülerexkursionen, die oft auch die Wochenenden und Ferien einbeziehen.

Vor der Klasse wie ein Lehrer, Bezahlung wie ein Lehrling

Manch einer, der über faule Lehrer schimpft, arbeitet selbst sicher weniger: Im Durchschnitt rund 56 Stunden pro Woche sind es für Lehrer zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wie eine Studie der Projektgruppe "Qualität, Arbeit und Gesundheit in Schulen" 2007 festgestellt hat. Nach Ansicht der Frankfurter Bildungsforscherin Mareike Kunter arbeiten Vollzeitlehrer je nach Fächerkombination, Schulform und Erfahrung zwischen 30 und 70 Stunden wöchentlich.

Die krasseste Mehrbelastung erfahren aber junge Nachwuchslehrer: Die meisten Bundesländer haben nämlich die Ausbildungszeiten der Referendare verkürzt und setzen sie schon früh wie vollwertige Lehrer ein. Seit 2011 dauert ein Referendariat in Nordrhein-Westfalen  nur noch eineinhalb statt zwei Jahre. Wenn die neuen Referendare jetzt im November ihren Dienst an nordrhein-westfälischen Schulen beginnen, müssen sie schon nach 30 Schultagen zum ersten Mal alleine vor einer Klasse stehen. Von da an werden sie fast wie vollwertige Lehrer "bedarfsdeckend" eingesetzt – aber wie Lehrlinge bezahlt. Im Klartext: Die Schulpolitik spart an der Ausbildung der zukünftigen Lehrer, natürlich auch auf Kosten des Lernerfolgs der Schüler, die von weitgehend unerfahrenen Referendaren unterrichtet werden. Doch auch diese Maßnahme führte zu keinem öffentlichen Aufschrei, noch nicht einmal zu vernehmbarer Kritik der Opposition.   

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