Seeverteidigungsmission Aspides Deutsche Marine auf den Weltmeeren: Schon jetzt am Limit

Die Fregatte „Hessen“ im Souda Bay, Kreta. Quelle: dpa

Die Herausforderungen auf den Seewegen nehmen zu. Was kann die deutsche Marine leisten, um in den neu heraufziehenden Konflikten zur See eine relevante Rolle zu spielen?

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Für einen kurzen Moment sucht die Raketenbatterie ihr Ziel am Horizont des Ozeans. Mit einem Ruck schwingt der schwere kofferartige Apparat nach rechts, dann platzt eine kleine Klappe auf seiner Vorderseite aus der Halterung. Ein Geschoss zischt aus der Öffnung, rast knapp über dem Meeresspiegel durch die Gischt. Mit dreifacher Schallgeschwindigkeit zieht die Rakete einen Rauchschweif weit über die offene See. Und explodiert Sekunden später in knapp zehn Kilometer Entfernung als roter Feuerball. Die „RIM 116 RAM“, ein hochmodernes Verteidigungssystem für Kriegsschiffe, hat ihr Ziel im Wasser versenkt. So zeigt es ein Erklärvideo der Bundeswehr zum Einsatz der Fregatte „Hessen“ im Roten Meer.

Dort hat das Marine-Kriegsschiff im Einsatz mittlerweile mehrfach feindliche Flugkörper abgeschossen. Die jemenitischen Huthi-Rebellen feuern seit der Eskalation des Nahostkonflikts im Oktober mit Drohnen und Raketen auf große Handelsschiffe. Nach einem Treffer sank Anfang März der Frachter „Rubymar“ und zog einen Kilometer langen Ölteppich über das Meer. Ein weiterer Angriff auf die „True Confidence“ vor der Küste Jemens kostete mehrere Crewmitglieder das Leben und ließ das Schiff brennend auf dem Meer treibend. Rund 240 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland sollen solche Vorfälle nun verhindern. 

Sie arbeiten in der Meeresenge im strengen Zweischichtbetrieb – dem sogenannten „Kriegsmarsch“. Mit ihrer Fregatte „Hessen“ klemmt sich die Crew als Teil eines Verbunds von jeweils drei europäischen Kriegsschiffen auf hoher See eng neben die Handelskreuzer. Ganze Konvois schleust sie durch die gefährliche Passage. Ein Hochleistungsradar erkennt ballistische Flugkörper, überwacht einen Umkreis von bis zu 400 Kilometern, schlägt bei Angriffen Alarm und schießt ab. Eine neue Anti-Drohnen-Ausrüstung ist an Bord, genauso wie Marine-Infanteristen, die auf den Handelsschiffen selbst patrouillieren, um mögliche Enter-Versuche zu verhindern.

Die „Aspides“ getaufte Mission der EU ist ein scharfer Waffengang, der als unverzichtbar gilt. Rund 90 Prozent aller Warenströme nach Europa führen durch das Rote Meer. Zwölf Prozent des Welthandels werden hier abgewickelt. Damit ist das Gewässer die zweitwichtigste Seestraße der Welt. Und entscheidend für den Wohlstand Europas. Wenn hier die Handelsriesen nicht mehr fahren können, dann leidet der Standort Deutschland. 

Das Tesla-Werk in Grünheide musste seine Produktion zwischenzeitlich stilllegen, weil keine Teile mehr ankamen. Allein der bilaterale Handel mit China summiert sich auf rund 300 Milliarden Euro in jede Richtung. Der amtierende Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, nennt die neue Mission deshalb „erweiterte Landes- und Bündnisverteidigung“. Sie ist eine von zahlreichen Aufträgen, welche die Bundesrepublik auf den Weltmeeren aktuell wahrnimmt, um ihren ökonomischen wie politischen Einfluss zu wahren. Dabei wächst das Gefahrenpotential in atemberaubender Geschwindigkeit.

Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 vor der dänischen Insel Bornholm zeigte eindrucksvoll, wie angreifbar die Energieinfrastruktur auf und unter den Gewässern um Europa ist. Mit der Rohstoff-Abkopplung von Russland haben Schiffslieferungen von LNG-Flüssiggas massiv an Bedeutung gewonnen, genauso wie Offshore-Windanlagen. Alles potenzielle Angriffsziele. Dazu kommen tausende Kilometer unterseeischer Daten- und Stromkabel vor Europas Küsten, die sich Stand heute „nicht effektiv vor gewaltsamen Einwirkungen schützen“ lassen, wie Sicherheitsexperte Christian Schaller in einer aktuellen SWP-Studie schreibt. So kappten entweder mutmaßliche Huthi-Rebellen oder der Anker eines von ihnen beschossenen Schiffs erst vor kurzem drei Kabel im Roten Meer – und störten so mal eben ein Viertel des kompletten Datenverkehrs zwischen Asien, Europa und dem Nahen Osten.

Es sind simple Angriffe mit enormen Auswirkungen – auf einem riesigen blauen Schlachtfeld. Und auch darunter. Russische Schiffe fahren mittlerweile systematisch Internetkabel in europäischen Gewässern ab. Mit ferngesteuerten Unterwasserdrohnen und bemannten U-Booten kann die russische Marine in großer Tiefe Sabotageakte punktgenau durchführen. Dazu testet Wladimir Putin im Ostsee-Raum ausdauernd den Verteidigungswillen der Nato. Russische Kreuzer und Kampfflugzeuge verletzen regelmäßig die Grenzen des Bündnisses. Jedes Scharmützel bringt Informationen: Wie schnell können die Nato-Alarmrotten in die Luft aufsteigen, und wie lange braucht die Bündnis-Marine für den Abfangkurs? Ist der Gegner also bereit, falls wir wirklich kommen? Gleichzeitig vermint Russland kontinuierlich das schwarze Meer und schießt auf die Getreideschiffe der Ukraine, um maritimen Raum einzunehmen und den Handel mit Europa zu stören. Zwar erleidet Putins Flotte heftige Verluste im Kampf gegen ukrainische Drohnenangriffe, doch die Produktion von neuen Schiffen läuft im Mutterland mittlerweile auf Hochtouren und die Macht russischer ballistischer und atomarer Uboote ist ungebrochen. Und das ist nur der Blick auf die hiesigen Gewässer. 

Terroristen bedrohen die Freiheit der Meere. China und Russland markieren machtvoll maritime Exklusivansprüche. Können Deutschland und Europa ihre Handelsinteressen noch schützen?
von Volker ter Haseborg, Max Biederbeck, Rüdiger Kiani-Kreß, Thomas Kuhn

Im fernen Pazifik und im südchinesischen Meer zieht der wohl größte Konflikt des 21. Jahrhunderts auf. Dort rüstet China seine Kriegsmarine massiv auf, hat zumindest zahlenmäßig bereits die größte Flotte der Welt. Seit 2014 habe das Land „mehr U-Boote, Kriegsschiffe, große Amphibienschiffe und Hilfsschiffe zu Wasser gelassen, als die Marine Deutschlands, Indiens, Spaniens, Taiwans und des Vereinigten Königreichs zusammen“, schreibt Sicherheitsforscher Tom Waldwyn vom International Institute for Strategic Studies. Auch der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses warnte erst Ende vergangenen Jahres: „Die Kampfkraft der chinesischen Marine wird bis 2030 auf 425 Schiffe anwachsen.“ Im Vergleich dazu verfüge die US-Marine bis 2030 gerade einmal über 290 Kampfschiffe. 

Auch mit künstlichen Inseln und paramilitärischen Fischerbooten – sogenannten blauen Männchen – versucht Peking zunehmend, die Meere in sein eigenes Hoheitsgebiet zu verwandeln und Nachbarn zu bedrängen. China bricht damit offen  internationales Völkerrecht und fordert die USA als globale Seemacht heraus. Generell sehen die Vereinigten Staaten eine Zunahme chinesischer Aktivitäten auf den Weltmeeren: im westlichen Pazifik, im Indischen Ozean und auch vor den Küsten Europas. 

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