Social-Media-Überflieger AfD mischt Twitter auf

An Social Media kommt die Politik nicht vorbei. Die etablierten Parteien erreichen ihre Anhänger über die Web-2.0-Kanäle aber trotzdem nur bedingt. Bei Twitter hat die AfD die Nase eindeutig vorn, wie eine Studie zeigt.

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Social Media wirkt: Politiker twittern inzwischen so emsig wie nur wenige andere Berufsgruppen. Quelle: Reuters

Berlin „Das Internet ist für uns alle Neuland“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einst behauptet. Für diesen Satz erntete sie viel Spott. Zu Recht werden viele sagen. Immerhin berauscht sich selbst Merkels eigene Regierungsmannschaft an den Möglichkeiten des Web 2.0.

Und auch für die Parteien sind soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder YouTube nicht mehr aus der politischen Kommunikation wegzudenken. Jeder ist fast immer online und schnell mit einer Botschaft zur Hand. Allerdings mit mehr oder weniger großem Erfolg. Eine Handelsblatt Online vorliegende Studie zeigt, dass die noch junge Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland den Kurnachrichtendienst Twitter nutzt wie ein alter Hase.

Die Untersuchung hat das Berliner Start-up Tame für Martin Fuchs erstellt, der als „Hamburger Wahlbeobachter“ bloggt. Tame ist eine Ausgründung der Humboldt Universität zu Berlin. Mit einer sogenannten Twitter-Kontextsuchmaschine analysierte das Unternehmen die Accounts von CDU, CSU, SPD, Linken, Grünen, Piraten und AfD – und kam zu überraschenden Ergebnissen.

In ihrer Auswertung schreiben die Experten von Tame: „Trotz des Interesses ihres Publikums an politischen Themen, schaffen es die deutschen Parteien nur bedingt, ihre eigenen Follower auf Twitter zu erreichen.“ Nur wenige Twitter-User hätten im Untersuchungszeitraum vom 11. bis 17. März auch über die Partei gesprochen, der sie auf Twitter folgen oder nutzten den Account-Namen als direkte Referenz oder Adressat. „Ausnahmen sind hier die Piratenpartei und die AfD, die es schaffen, auf Twitter mit ihren Anhängern in einen Dialog zu treten und somit auch zum Gesprächsthema zu werden“, heißt es in der Studie.

Besonders twitternde Spitzenpolitiker wie Sigmar Gabriel oder Jürgen Trittin hätten bei den Usern nicht stattgefunden. Als Ausnahme nennen die Experten den Account des Regierungssprechers Steffen Seibert (@regsprecher), der parteiübergreifend die Leute beschäftigt habe.


Wenige AfD-Follower produzieren viele Tweets

Die dominierenden Inhalte über alle Parteigrenzen hinweg waren in der ausgewerteten Woche der Prozess gegen den zurückgetretene Präsidenten des FC Bayern München, Uli Hoeneß (Hashtags: #hoeness & #hoeneß), und die Entwicklungen auf der Krim (Hashtags: #krim, #crimea, #russland, #putin, #merkel & #eu).

Beim Blick auf die Follower der einzelnen Parteien zeigen sich nach Aussage der Twitter-Experten jedoch auch thematische Unterschiede: So hätten die Follower der Piratenpartei besonders häufig über die NSA und Edward Snowden gesprochen, die Follower der Grünen dagegen über den Jahrestag der Fukushima-Katastrophe. Bei den CSU-Followern hätte die Kommunalwahl im eigenen Bundesland im Vordergrund gestanden.

In der Studie sticht heraus, dass die AfD Twitter wesentlich aktiver nutzt als die politische Konkurrenz. Und das obwohl die vor einem Jahr gegründete Partei die wenigsten Follower hinter sich schart. So habe die Piratenpartei zwar mit Abstand die meisten Follower (124.000), die dann auch insgesamt die meisten Tweets im Untersuchungszeitraum verschickt hätten, ermittelten die Studienautoren. Im Vergleich zu den anderen Parteien-Followern hätten sie aber nicht am häufigsten getwittert (6 Tweets pro Follower und Woche).

Die AfD weist demgegenüber zwar die geringste Zahl an Followern auf (8.368). Diese hätten jedoch durchschnittlich am meisten Tweets im Untersuchungszeitraum verschickt (12,07 Tweets pro Follower und Woche). Bezogen auf die Anzahl der durchschnittlichen Tweets haben die Follower der CDU am seltensten getwittert (5,04 Tweets pro Follower und Woche).

Pluspunkte sammelt die AfD auch bei der Frage, wie häufig die Follower eines Accounts über den Parteien-Account sprechen. Das Ergebnis ist eindeutig: „Außer den Piraten und der AfD erreichen die Parteien ihre Follower nur sehr schlecht via Twitter“, resümieren die Autoren. Die anderen Parteien sind demnach bei den Usern „sehr selten“ Thema. Und auch die Inhalte der Parteien-Accounts werden selten geteilt. Am schlechtesten schneidet die CDU ab, die auf dem letzten Platz landet.


Linke-Follower nennen Gregor Gysi besonders häufig

Ähnlich sieht es bei einigen Spitzenpolitikern aus. So taucht der Account @sigmar_gabriel laut der Twitter-Studie nicht einmal bei den SPD-Followern unter den Top 50 der am häufigsten genannten Twitter-Accounts auf. Dasselbe gelte für Jürgen Trittin bei Grünen-Followern. Die Experten weisen allerdings darauf hin, dass Gabriel einen Monat nach der Bundestagswahl seine Twitter-Aktivitäten eingestellt hat, während Jürgen Trittin oder sein Team täglich twittert. Einzig @gregor_gysi, so die Studienautoren weiter, werde besonders häufig von Linke-Followern genannt.

Gleichwohl gibt es Politiker-Accounts, die parteiübergreifend besonders häufig erwähnt werden. Die Studie nennt die Accounts: @regsprecher; @martinschulz;  @goeringeckhardt und @gregorgysi. Den Regierungssprecher sehen die Experten gar als „positives Beispiel“, was jedoch auch daran liegt dass Bundeskanzlerin Angela Merkel keinen Twitter-Account hat und so der @regsprecher als Ersatz von den Usern genutzt und erwähnt wird.

Dass der Regierungssprecher den Kurznachrichtendienst so rege nutzt, kommt nicht von ungefähr. Twitter ist ein besonderer Kanal. Anders als Facebook, das mit rund 26 Millionen Nutzern zwar eine hohe Relevanz hat, aber zugleich ein Medium ist, das auf dem Prinzip der Freundschaft beruht, funktioniert der Kurznachrichtendienst nach anderen Regeln. Man erreicht dort eine potenziell unendlich große Öffentlichkeit. „Twitter ist schneller, es unterliegt einer radikalen Echtzeit, und es ist vor allem unberechenbarer. Dort werden Konflikte ausgetragen“, sagt Jasmin Siri.

Die Soziologin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität forscht zu Social Media und hat sich konkret mit politischen Inszenierungen in dem Medium beschäftigt. Twitter sei ein „großer Marktplatz der Ideen und Meinungen, laut und aufgeregt“, erläutert sie in einem im August vergangenen Jahres veröffentlichten Interview mit tagesschau.de. Das sei auch gefährlich für Politiker. „Sie können schneller missverstanden werden, weil Follower eventuell aus einer andern Diskussionskultur kommen, ein Wort anders besetzen oder die Ironie nicht verstehen.“ Außerdem gäben Twitterer die Kontrolle über ihre Kommunikation ab: „Wenn Sie geretweetet werden, können Sie Ihren Tweet nicht mehr löschen.“


„Der Schwarm empört sich schnell“

Wie dünn das Eis ist, auf dem sich Politiker mit der Twitter-Nutzung bewegen, wissen vor allem diejenigen, die sehr aktiv sind. Peter Altmaier zu Beispiel. Der heutige Kanzleramtsminister und CDU-Mann entdeckte Twitter im September 2011 – und wurde schnell zum Fan. Mit steiler Zuwachskurve bei der Gefolgschaft: Er zählt heute mehr als 56.000 Follower.

Als der heutige Kanzleramtschef noch Umweltminister war, überschwemmten Anti-Atom-Aktivisten seinen Account mit hunderten Nachrichten. „Lieber @peteraltmaier, warum wollen Sie mich 10 weitere Jahre dem Risiko eines Super-GAU aussetzen?“, fragten sie ihn. Altmaier kritisierte: „Die Super-Gau-Tweets bewirken, dass Tweets von Anderen nicht von mir gelesen werden. Schade. Sagt wie viele Ihr seid, aber spamt bitte nicht.“

So genannte Shitstorms, wie sie Altmaier erlebt hat, brechen sich schnell Bahn, wenn das Thema die Nutzer aufregt. Manche dieser digitalen Empörungswellen machen auch Schlagzeilen, genauso wie Twitter-Aktionen, bei denen Politiker Tabus brechen oder sich unglücklich äußerten. Im kollektiven Gedächtnis verankert sind beispielweise Vorfälle wie die Bundespräsidentenwahl 2009, bei der zwei Abgeordnete vorzeitig den Sieg Horst Köhlers in die Welt twitterten.

Der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber, selbst aktiver Twitterer (über 11.000 Follower), ist sich des Risikos durchaus bewusst, wenn er ungefiltert Nachrichten in die Öffentlichkeit sendet. „Natürlich habe ich auch schon Tweets abgesetzt, bei denen ich mir später dachte: hätte nicht sein müssen“, erzählt er im Gespräch mit Handelsblatt Online. „Ich finde aber, dass dadurch Politik authentischer wird.“ Tauber findet allerdings, dass man am Umgang miteinander noch ein bisschen arbeiten müsse: „Rücksichtnahme und Toleranz sind noch ausbaufähig beim Diskurs – nicht nur im Netz.“

Ob sich Taubers Wunsch nach wutfreieren Twitter-Debatten erfüllt, ist zu bezweifeln. Zumal sich kaum ein User gerne Regeln unterwirft. Die Soziologin Jasmin Siri empfiehlt bei Kritik in den digitalen Dialogplattformen ruhig und sachlich zu antworten: „Der Schwarm empört sich schnell und da darf man als Politiker oder Politikerin nicht beleidigt sein oder das überspielen“, sagt sie.

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