Sozialverband kritisiert Ex-Bundespräsident „Christian Wulff verhöhnt Hartz-IV-Bezieher“

Zwei Jahre nach seinem spektakulären Rücktritt als Bundespräsident meldet sich Christian Wulff zurück. In Berlin stellt er sein neues Buch „Ganz oben, ganz unten“ vor. Schon der Titel provoziert harsche Kritik.

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Ex-Bundespräsident Christian Wulff: Der Jurist hat mit der Eröffnung einer eigenen Anwaltskanzlei in Hamburg längst begonnen, neue Weichen zu setzen. Quelle: dpa

Berlin Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbands, Ulrich Schneider, hat Ex-Bundespräsident Christian Wulff für dessen Buch „Ganz oben, ganz unten“ scharf attackiert. Der Titel des Buchs sei „ein peinlicher Fehlgriff, der bestenfalls noch Kopfschütteln auslöst“, sagte Schneider Handelsblatt Online. „Ganz unten heißt im Fall des Ex-Bundespräsidenten 200.000 Euro Ehrensold pro Jahr bis zum Lebensende, Chauffeur und Büro - ein Standard, der für den Normalbürger völlig außerhalb jeder Reichweite liegt.“

Er gestehe dem Ex-Präsidenten zwar zu, dass er in seinem Renommee „sehr tief gefallen“ sei, sagte Schneider weiter. „Doch hätte Herrn Wulff bei der Wahl seines Titels auffallen müssen, dass Menschen, die wirklich „ganz unten“ sind, darunter über sechs Millionen Hartz-IV-Bezieher, sich geradezu verhöhnt fühlen müssen.“ Für alle anderen sei dieser Titel „zumindest ein weiteres Indiz dafür, dass sich Teile der Politik immer weiter von der Lebensrealität der Bevölkerung entfernen“.

Der ehemalige Bundespräsident Wulff stellt heute Nachmittag in Berlin sein neues Buch vor. Unter dem Titel „Ganz oben Ganz unten“ schreibt er über die Zeit zwischen seinem Rücktritt vom Amt des Staatschefs und seinem Freispruch vor dem Landgericht Hannover sowie die von ihm empfundenen Demütigungen. Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt. Denn spätestens zwei Tage später entscheidet sich, ob die Staatsanwaltschaft Hannover den Freispruch doch noch akzeptiert.

Es ging zuletzt um rund 720 Euro

Wulff war mit 51 Jahren der jüngste Bundespräsident und nach nur 19 Monaten 2012 wegen der Vorteilsaffäre zurückgetreten – die kürzeste Amtszeit eines Staatsoberhaupts der Bundesrepublik. Ende Februar wurde er vom Landgericht Hannover freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgehalten, als niedersächsischer Ministerpräsident Vorteile im Amt angenommen zu haben. Es ging zuletzt um rund 720 Euro Hotel- und Bewirtungskosten. Von dem befreundeten Filmfinancier David Groenewold hatte er sich 2008 zu einem Oktoberfestbesuch einladen lassen und später für ein Projekt Groenewolds bei Siemens geworben.


Umfrage: Deutsche trauen Wulff kein öffentliches Amt mehr zu

Gegen den Freispruch hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt – sie muss nun erklären, ob sie daran festhält. Bei einem Verzicht wäre Wulff juristisch rehabilitiert. Sonst müsste der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil auf Rechtsfehler überprüfen. Wulff hatte schon vor Gericht signalisiert, dass er sich als Opfer einer übereifrigen Staatsanwaltschaft sieht. Kaum ein anderer Politiker ist so tief gefallen wie er, der Amt, Ruf, Ehre und selbst die Ehefrau verlor.

Auch nennt auch eigene Fehler

Noch vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft beleuchtet Wulff in seinem Buch nach Verlagsangaben das Verhalten der Medien und auch der Staatsanwaltschaften in Celle und Hannover. Er beschreibe, wie aus seiner Sicht die Affäre inszeniert worden sei und wie es sich anfühle, massiven Vorwürfen ausgesetzt zu sein, heißt es. Auch eigene Fehler nenne er.

Der Jurist hat mit der Eröffnung einer eigenen Anwaltskanzlei in Hamburg längst begonnen, neue Weichen zu setzen. Als Mentor bei der Initiative „Geh Deinen Weg“ will er nach Angaben der Deutschlandstiftung Integration zudem einen türkischstämmigen Studenten mit Kontakten versorgen und ihm den Berufseinstieg erleichtern. Dass er sich auf dem internationalen Parkett wohlfühlt, ließ er mehrfach durchblicken. Immer wieder tauchten daher Spekulationen über eine mögliche internationale Beratertätigkeit auf.

Politisch traut ihm eine große Mehrheit der Deutschen aber trotz des Freispruchs offenbar kein öffentliches Amt mehr zu. In einer Emnid-Umfrage für das Nachrichtenmagazin „Focus“ sprachen sich 62 Prozent der 1008 repräsentativ Befragten dagegen aus, dass er noch mal eines übernimmt.

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