Sozialverband verteidigt Altkanzler „So etwas geht nicht. Auch nicht mit Kohl“

Rückendeckung von ungewohnter Seite: Dass von Helmut Kohl nicht autorisierte Äußerungen über dessen politische Weggefährten öffentlich werden, findet der Sozialverband „einfach nur fies“. Das Buch wird heute präsentiert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Altkanzler Helmut Kohl und seine Äußerungen: Die bisher geheimen Gesprächsprotokolle erschüttern die politische Landschaft. Quelle: Reuters

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, hat in der Debatte um die umstrittenen Aufzeichnungen von Gesprächen mit Helmut Kohl Partei für den Altkanzler ergriffen. Er finde es „einfach nur fies“, dass der „Spiegel“ vorab über die „geheimen Gesprächsprotokolle“ zwischen Kohl und dem Journalisten Heribert Schwan berichtet hat. „Großes Krawallpotential. Großes Verkaufspotential“, schreibt Schneider auf seiner Facebook-Seite.

Das Buch Schwans mit den Äußerungen Kohls wird heute in Berlin präsentiert. „Die Kohl-Protokolle“ lautet der Untertitel, und gemeint sind damit Aufzeichnungen über 630 Gesprächsstunden des Altkanzlers mit dem damaligen Ghostwriter seiner Memoiren in den Jahren 2001 und 2002 – eigentlich mitgeschnitten auf Kassette. Zwischen beiden kam es aber zum Zerwürfnis und schließlich zum Rechtsstreit über die Frage, in wessen Hände die 200 Tonbänder gehören. Das Oberlandesgericht Köln sprach sie Kohl zu, Schwan will die Sache noch vor den Bundesgerichtshof bringen.

Vorher veröffentlicht er jetzt aber ein Buch, das auf Abschriften der Tonbänder beruht – und auch eine „Abrechnung“ Kohls mit Weggefährten darstellt, wie der „Spiegel“ formulierte. Das Magazin zitierte vorab mehrere Passagen, in denen Kohl in der Gemütsverfassung von 2001/2002 harsch über Parteifreunde urteilt – da hatte seine bis heute währende Weigerung, Namen anonymer Spender zu offenbaren, gerade zum offenen Bruch mit der CDU geführt. Im Visier stehen etwa sein langjähriger Arbeitsminister Norbert Blüm („Verräter“), Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker („hält sich für den Klügsten“) und auch Angela Merkel („hat keine Ahnung“), die Kohl in Kanzleramt und CDU-Vorsitz beerbte.


„Niederträchtiger journalistischer Vertrauensbruch“

Schneider hält die Art und Weise der Veröffentlichung der Kohl-Zitate, die im „Spiegel“ begann, für inakzeptabel. „Man kann von Kohl ja halten, was man will. Das, was hier passiert ist für mich jedoch, ganz unabhängig von der Person, von Kohls früherem Amt oder irgendeinem historischem Interesse, einfach nur niederträchtiger journalistischer Vertrauensbruch“, so Schneider auf seiner Facebook-Seite. „So etwas geht nicht. Auch nicht mit Helmut Kohl.“

Dass Schwan mit diesen Zitaten herauskommt, könnte einen weiteren Rechtsstreit auslösen. Laut „Focus“ will der Altkanzler Anwälte gegen die Buchveröffentlichung in Stellung bringen. Kohls Berliner Büro äußerte sich auf Anfrage vorerst nicht dazu, der Verlag startete am Montag jedenfalls mit der Auslieferung. Ohnehin wird seit längerem diskutiert, wie der Nachlass der zeitgeschichtlichen Persönlichkeit Helmut Kohl einmal zu verwahren ist, um der Forschung bestmöglichen Zugang zu sichern. Ein Bestand mit persönlichen Unterlagen ging 2010 von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zunächst zurück an Kohl.

Dass dessen Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim nicht der dauerhafte Archivort sein sollte, sehen aber auch Christdemokraten so. Der frühere CDU-Generalsekretär Volker Rühe regte bei „Spiegel Online“ die Gründung einer Helmut-Kohl-Stiftung an. Die Bundesregierung hat vorerst aber keine Pläne für eine solche Gedenkstiftung, wie sie unter anderem für den 1992 gestorbenen Ex-Kanzler Willy Brandt (SPD) existiert.

Mit Argwohn sehen manche den Einfluss Maike Kohl-Richters, der 34 Jahre jüngeren zweiten Ehefrau Kohls. Ihr Mann habe festgelegt, „dass ich die alleinige Entscheidungsbefugnis über seinen historischen Nachlass haben sollte“, sagte Kohl-Richter im Frühjahr der „Welt am Sonntag“. Alles allein verwalten könne sie aber nicht.


Merkels Verhältnis zu Kohl ist ohnehin beschädigt

Unter den von Kohl Gescholtenen herrscht indes keine Neigung, sich erneut mit Anwürfen auseinanderzusetzen. Schlicht nicht äußern wollte sich etwa das Büro von Ex-Bundespräsident Christian Wulff. „Auf dem Niveau diskutiere ich nicht“, ließ Blüm via Handelsblatt wissen. „Kein Kommentar“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert für die Kanzlerin.

Merkels Verhältnis zu Kohl ist ohnehin beschädigt, seitdem die damalige Generalsekretärin ihre Partei 1999 aufforderte, sich wegen der Spendenaffäre von ihm zu lösen. Zum 30. Jahrestag des Beginns seiner Kanzlerschaft hielt Merkel 2012 aber die Festrede, Kohl kam auch erstmals wieder zu einem Kurzbesuch in die Unionsfraktion. Dass ihm der 2000 zurückgegebene CDU-Ehrenvorsitz erneut angetragen werden könnte, erwartet dennoch niemand.

Nur einen Tag nach der Buchvorstellung Schwans plant Kohl an diesem Mittwoch einen seiner selten gewordenen öffentlichen Auftritte. Seit einem Sturz mit einem schwerem Schädel-Hirn-Trauma sitzt er in einem Rollstuhl, kann nur noch mühsam sprechen. Thema des Termins auf der Frankfurter Buchmesse sind ganz unabhängig vom aktuellen Wirbel Kohls Erinnerungen an die Wende 1989/90, genau 25 Jahre nach dem Mauerfall.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%