Stephan Kohler im Interview "Strom wird knapper"

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Ausgerechnet die Grünen? Der Atomausstieg ist als Gründungsmythos der Partei doch unantastbar!

Gründungsmythos war der Sofortausstieg. Jürgen Trittin hat schließlich erreicht, dass diese Radikalposition aus dem Parteiprogramm gestrichen wurde. Auch der rot-grüne sowie der aktuelle Koalitionsvertrag mit dem stufenweisen Ausstieg bis 2021 sind davon weit entfernt. Heute wären einige Grüne mit Blick auf die europäischen Emissionsziele sicher bereit, über eine Laufzeitverlängerung nachzudenken. Ein möglicher neuer Konsens könnte so aussehen: Ein paar alte Meiler gehen früher vom Netz, dafür laufen moderne Kraftwerke länger – selbst wenn die Gesamtlaufzeit sich damit um ein paar Jahre verlängert.

Ist Atomkraft die beste Antwort auf den Klimawandel?

Nein, davon kann keine Rede sein. Der Internationalen Energie Agentur zufolge müssten weltweit 1400 Reaktoren gebaut werden, um nur einen Teil des zusätzlichen Strombedarfs abdecken zu können. Dadurch handeln wir uns aber massive Probleme ein, da die Reaktoren auch in politisch instabilen Ländern gebaut werden müssten. Neben dem vorhandenen Restrisiko eines Atomunfalls oder der Frage der bisher ungelösten Endlagerung für Atommüll würde die Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen massiv zunehmen. Mit der Ausweitung der Nukleartechnik vermehren sich auch die Angriffsziele und Optionen für Terroristen. Eine ideologisch geführte Debatte – sowohl kontra als auch uneingeschränkt pro Atomenergie – ist gefährlich.

Die Energiepreise steigen ständig. Hilft dagegen die von der Europäischen Union geforderte Trennung der Stromerzeuger von ihren Netzen?

Ich glaube nicht, dass die Trennung von Netz und Betreiber zu mehr Wettbewerb und damit zu sinkenden Preisen führt. Die Zugangs- und Nutzungsverordnung regeln den Netzbetrieb. Meines Wissens hat sich bisher auch noch kein Kraftwerksbetreiber beschwert, dass ihm der Zugang erschwert wird. Dagegen hätte eine bundeseigene Deutsche Netz AG, an der die vier großen Stromerzeuger beteiligt sind, sicher gewisse Synergieeffekte. Ob diese aber so groß sind, dass sie für den Kunden spürbar werden, bezweifle ich.

E.On und nun auch Vattenfall wollen ihre Netze verkaufen. Damit reagieren sie auf den Druck aus Brüssel – und durchkreuzen den Plan der Bundesregierung, die Enteignung zu verhindern. Wer wird die Netze kaufen?

Unsere Nachbarn schauen begierig auf das deutsche Stromnetz. Das liegt an unserer zentralen Lage: Wenn die Franzosen Strom nach Polen liefern wollen, müssen sie den durch unsere Netze leiten. Aber es wäre natürlich unsinnig, wenn E.On seine Netze an die französische EdF verkauft. Möglich wäre eine Holding, an der die KfW Bankengruppe und die vier großen Stromerzeuger Anteile halten. Beim Netzverkauf von E.On und Vattenfall ist längst nicht das letzte Wort gesprochen, da sind noch viele Optionen offen. RWE-Chef Jürgen Großmann hat ja bereits anklingen lassen, er könne sich vorstellen, der Netz-Koordinator zu sein.

Der Netzausbau kommt kaum voran, Umwelt- und Wirtschaftsminister streiten derzeit, wie die Leitungen verlegt werden sollen – über oder unter der Erde. Was ist sinnvoll?

Da streite auch ich kräftig mit. Wir haben in der dena-Netzstudie festgestellt, dass 850 Kilometer Leitungskapazität fehlen, unter anderem von Bremen in den Raum Kassel. Es ist nun Aufgabe der einzelnen Unternehmen, Leitungen so schnell und günstig wie möglich zu bauen. Der Staat sollte sich darauf beschränken, den Bedarf festzu-stellen – und sollte nicht auch noch die Technik vorschreiben. Wenn die Wanderer am Rennsteig im Thüringer Wald sich gegen Freileitungen wehren, dann könnte Vattenfall dort im Zweifelsfall eine andere Variante wie Erdkabel wählen – und müsste diese höheren Investitionen von der Bundesnetzagentur dann auch bewilligt bekommen.

Die Energiewirtschaft braucht dringend ein Sprachrohr, der Spitzenverband BDEW hat sich nun auf Hildegard Müller, Staatsministerin im Kanzleramt, geeinigt. Eine gute Wahl?

Den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zu führen ist bestimmt keine leichte Aufgabe. Die lange Suche nach einem Hauptgeschäftsführer spricht Bände. Ich wünsche Frau Müller eine glückliche Hand – denn die wird sie in diesem Verband dringend brauchen.

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