Systemvergleich Wie viel Demokratie können wir uns leisten, Herr Schuck?

Politologe Christoph Schuck sieht die Demokratie trotz langer Diskussionen als überlegenes System an. Quelle: imago images

Während in der Demokratie monatelang diskutiert und debattiert wird, entscheiden Autokraten wie Wladimir Putin ohne zu zögern – und ohne Widerstände. Ist unser System demgegenüber handlungsfähig genug? Der Politologe Christoph Schuck plädiert für mehr Selbstbewusstsein.

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Wirtschaftswoche: Herr Schuck, Demokratie bedeutet Debatte und das Aufeinandertreffen konträrer Positionen. Aber zuletzt musste man insbesondere in der Ukrainepolitik doch den Eindruck bekommen, dass vor allem gestritten und wenig entschieden wird. Nehmen wir das Beispiel Taurus: Seit dem Sommer wird im Bundestag über die Lieferung der Marschflugkörper an die Ukraine debattiert. Sollten sie entgegen aktuellen Erwartungen doch noch an die Ukraine abgegeben werden, wäre bis dahin wertvolle Zeit zugunsten Russlands verstrichen, oder?
Christoph Schuck: Ja, das stimmt. Grundsätzlich gibt es leider bei der Regierung die Tendenz, erst einmal Waffensysteme auszuschließen, sie dann aber doch irgendwann zu liefern. Bei den Leopard-2-Kampfpanzern war es auch so. Dort wurde der Lieferung erst zugestimmt, nachdem auch die USA bereit waren, einige ihrer Abrams an die Ukraine zu übergeben. Für die Ukraine ist es ein großes Problem, wenn die Unterstützung so scheibchenweise erfolgt und sicher auch ein Grund dafür, dass Russland sehr viel Zeit hatte, sich auf die ukrainische Gegenoffensive im letzten Jahr vorzubereiten.

Und was heißt das konkret für den Taurus?
Dieses Problem setzt sich jetzt fort. Der Taurus ist zwar kein Waffensystem, das den Krieg zugunsten der Ukraine entscheiden würde, aber ein wichtiger Mosaikstein für eine erfolgreiche Verteidigung. Der Vorteil von Marschflugkörpern wie dem Taurus ist, dass damit Nachschublinien und -depots weit hinter der Front angegriffen werden können. Gerade bei dem aktuellen Munitionsmangel der Ukraine wäre das militärstrategisch sinnvoll, um dem wieder zunehmenden russischen Druck an der Front entgegenzuwirken.

Auch über die von Ihnen angesprochene Lieferung von Leopard-2-Panzern aus Deutschland wurde fast ein halbes Jahr diskutiert – am Ende kam es doch dazu. Wenn wichtige Entscheidungen so viel Zeit benötigen: Wie handlungsfähig ist dann unser politisches System – gerade in Zeiten eines Krieges in unserer unmittelbaren Nachbarschaft?
Unser politisches System ist trotz allem handlungsfähig. Die Geschwindigkeit von Entscheidungen sagt ja erstmal nichts über deren Qualität aus. Auch wenn nach meiner Einschätzung die Argumente für eine schnelle Lieferung des Taurus deutlich überwiegen, gilt es in einer Demokratie zu akzeptieren, wenn eine gewählte Regierung sich anders entscheidet als man es selbst für richtig hält. Zumal es oft ja kein ganz eindeutiges „richtig“ oder „falsch“ gibt. Wenig professionell ist es allerdings, wenn nach langem Zögern aufgrund von externem Druck doch Lieferungen erfolgen. Wenn sich das im Ergebnis also darstellt wie bei der Leopard-2-Debatte, fragt man sich zurecht, ob deren Lieferung nicht auch früher möglich gewesen wäre.

Prof. Dr. Christoph Schuck Quelle: Privat

Zur Person

In Russland werden Entscheidungen jedoch sehr schnell getroffen. Wie viel Demokratie und Diskussion kann sich der Westen denn in Zeiten von einflussreichen autokratischen Staaten leisten? Oder noch schärfer gefragt: Sind Autokratien kriegstüchtiger?
Wir können uns sehr viel Demokratie leisten. Wir müssen – natürlich – immer darauf achten, dass die Entscheidungen effizient getroffen werden und sie einer klaren Linie folgen. Am Beispiel von Russland, wo Entscheidungen autoritär und schnell erfolgen, wird sichtbar, dass auch schnelle Anordnungen keinesfalls gut sein müssen. Denken Sie nur an den Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine, als die politische Führung anordnete, Kiew zu erobern. Das ist mit extrem hohen russischen Verlusten gescheitert. Die besten Einheiten wurden direkt in den ersten Kriegstagen aufgerieben. Gute Entscheidungen werden vor allem dann getroffen, wenn auch Gegenargumente zu Wort kommen dürfen – und dann auch berücksichtigt werden.

Sie denken also, dass sich eine Demokratie wie die deutsche, in der Fortschritt immer auch durch Widerspruch erzeugt wird, weiterhin auf der Weltbühne behaupten kann?
Unbedingt. Es muss aber die Bereitschaft bestehen, Verantwortung zu übernehmen und den Schulterschluss mit engen Verbündeten wie Frankreich zu suchen, statt ihnen regelmäßig vor den Kopf zu stoßen. Aber aus einer Gesamtschau betrachtet, sind Demokratien autokratischen Staaten überlegen. Darüber dürfen auch vereinzelte Erfolge autoritärer Staaten wie etwa Singapur nicht hinwegtäuschen.

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von Horst von Buttlar

Wenn man sich den Aufstieg Chinas und dem gegenüber nur den Stellungskrieg der Lager in Amerika oder das Beharrungsvermögen der europäischen Institutionen anschaut, ist dieser Optimismus zumindest erklärungsbedürftig.
Ich denke, dass man an drei Punkten die Überlegenheit von konsolidierten Demokratien gegenüber Autokratien festmachen kann: Erstens lassen sie ihrer Bevölkerung viel mehr Freiraum zu eigenen Entscheidungen, was immer Motor für Innovation und Wohlstand ist. Gleichzeitig ist die politische Ebene gezwungen, sich stark mit den Bedürfnissen der Menschen auseinanderzusetzen, da sie ja von deren Wahlentscheidung abhängig ist. Ignoriert sie die Menschen, wird sie abgewählt. Politiker müssen in Demokratien also dazulernen und diese Lernprozesse sind produktiv. Zweitens haben saubere Wahlen – also nicht wie kürzlich in Russland – eine wichtige Ventilfunktion für Unzufriedene. In Autokratien fehlt dieses Ventil. Oft bleibt den Menschen dort dann nur die Möglichkeit, die Regierung zu stürzen, was sehr häufig mit Blutvergießen und Chaos einhergeht. Drittens sind gerade in totalitären Systemen die Repressionskosten extrem hoch. Das bedeutet, dass ein erheblicher Teil der staatlichen Mittel dafür eingesetzt werden muss, die Menschen zu kontrollieren. Dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle.

Der Putinismus ist also kein nachhaltiges politisches System?
Solche Prognosen sind immer schwierig. Wir sehen im Moment, dass Russland eine Kriegswirtschaft aufbaut und sich maßgeblich durch den Verkauf von Rohstoffen finanziert. Was kurzfristig relativ gut zu funktionieren scheint, kann zukünftig durchaus zu Problemen führen. Falls zum Beispiel Rohstoffpreise verfallen, die Inflation steigt oder es zu Mangelerscheinungen im nicht-militärischen Bereich kommt, werden die Menschen dies stark in ihrem Alltag spüren. Ein wichtiger Faktor dürfte auch die russische Elite sein, die sich so lange loyal zu Putin verhält, wie sie von seiner Herrschaft profitiert. Ob oder wann es zu einem Aufbegehren gegen die russische Führung kommt, ist aber nicht seriös vorherzusagen.



Laut einer neuen Bertelsmann-Studie sind Autokratien weltweit auf dem Vormarsch. Wie passt das mit Ihrer Einschätzung zusammen?
Es zeigen sich zwei Dinge: Zum einen wird deutlich, dass der Fortbestand von Demokratien kein Selbstläufer ist. Auch konsolidierte Demokratien müssen aufpassen, dass sie nicht von internen wie externen Demokratiefeinden unterwandert oder durch populistische Parolen geschwächt werden. Eine dieser Parolen oder besser gesagt: Versuchungen ist es, dass es angeblich einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt, die durch eine autoritäre Führung besser umgesetzt werden könnten. Das stimmt nicht, verfängt sich aber schnell bei Menschen, die sich – verständlicherweise – in einer Zeit voller Krisen nach Orientierung sehnen. Zum anderen wird durch die Studie aber auch ersichtlich, dass es durchaus positive Entwicklungen für die Demokratie gibt. Denken Sie nur an Polen. Dort haben die Menschen mit ihrer Wahlentscheidung in gewisser Weise den Rechtsstaat zurückerobert. Aber es bleibt dabei: Demokratie und auch ihr Schutz sind anstrengende und harte Arbeit.

Wie sollten demokratische Staaten dann auf die Bedrohungen von außen und innen reagieren?
In Demokratien gibt es eine wechselseitige Abhängigkeit von Regierung und Bevölkerung. Beide müssen dazu beitragen, dass Vertrauen besteht und Prozesse funktionieren. Damit meine ich, dass die Regierungen ehrlich zu den Menschen sein sollten. Eine Bevölkerung kann viel besser mit Einschnitten umgehen, wenn die Notwendigkeit dazu transparent kommuniziert wird. Zum Beispiel ist Aufrüstung zur Abschreckung eine Voraussetzung für Frieden. Diese kostet aber viel Geld, welches dann an anderer Stelle fehlen wird. Es muss klar kommuniziert werden, dass wir alle unseren Beitrag dazu leisten müssen und eben nicht nur die Bereiche, die uns selbst nicht betreffen. Außerdem sollten die Regierungen weitreichende Entscheidungen erst gründlich durchdenken, anstatt Beschlüsse zu verabschieden, welche ständig korrigiert werden müssen. Da gab es leider in letzter Zeit viele Probleme in Deutschland, die das Vertrauen in die Politik – und wohl auch in das politische System geschwächt haben.

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Und wo Ihrer Meinung nach liegt die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger?
Es ist nicht nötig, dass sich alle Menschen politisch aktiv engagieren. Es sollte aber das Bewusstsein bestehen, dass die Demokratie entscheidende Vorteile hat und es sich lohnt, sie zu verteidigen. Der Glaube an einen wohlwollenden Herrscher, der mit ultimativer Macht, schnell und immer im Sinne der Menschen entscheidet, ist naiv. Wenn Menschen zu viel Macht haben, neigen sie dazu, diese zu missbrauchen. Und wenn man den Herrscher dann nicht mehr abwählen kann, lebt man in einer Diktatur. Daran immer wieder zu erinnern, ist eine Voraussetzung für den Fortbestand unserer Demokratie.

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