Den Bombenbastlern das mörderische Handwerk legen, das ist das von der Nato erklärte Ziel, zu dem eine seit 2012 existierende Abteilung der Bundeswehr in Köln einen Beitrag leisten soll. Jetzt gewährte sie erstmals einen Einblick in ihre Arbeit: Die Spezialisten um Oberst im Generalstab Thorsten Ludwig in der Konrad-Adenauer-Kaserne koordinieren nicht nur Schutzmaßnahmen, sondern tragen im Idealfall dazu bei, solche Terrorangriffe zu verhindern. Ihr Auftrag: „Einwirkung auf freundlich gesinnte, neutrale und feindliche Netzwerke“.
„Improvisierte Sprengfallen sind grausame Waffen, hochwirksam durch hohe Opferzahlen. Sie erzielen oft eine unmittelbare Wirkung auf politischer Ebene“, sagt Ludwig, der Abteilungsleiter C-IED im Amt für Heeresentwicklung. C-IED ist die Abkürzung für das englische „Counter-Improvised Explosive Devices“, also die Bündelung aller Maßnahmen, die gegen ein solches gegnerisches System gerichtet sind.
Dazu gehört auch die Abwehr selbstgebastelter Sprengfallen, wie sie die Bundeswehr und ihre Alliierten in Afghanistan massiv bedroht haben und wie sie jetzt auch im afrikanischen Mali ein akutes Thema sind.
Die heißen Eisen unter den Rüstungsprojekten der Bundeswehr
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich zum Ziel gesetzt, im Rüstungssektor der Bundeswehr aufzuräumen. Jahrelange Verzögerungen und Kostensteigerungen im mehrstelligen Millionenbereich soll es künftig nicht mehr geben. An diesem Donnerstag lässt sich die Ministerin bei einer Sitzung des Rüstungsboards über den aktuellen Stand bei einigen Großprojekten informieren. Hier fünf der heißesten Eisen unter den 1200 Rüstungsprojekten der Bundeswehr.
Die in absehbarer Zeit wichtigste, teuerste und heikelste Entscheidung will von der Leyen bis Mitte des Jahres treffen. Die Bundeswehr soll ein neues Raketenabwehrsystem erhalten. Zur Auswahl stehen „Meads“ – eine internationale Entwicklung unter Beteiligung der deutschen Raketenschmiede MBDA – und eine neue „Patriot“-Version des US-Herstellers Raytheon. In die Entwicklung von Meads floss bereits eine Milliarde Euro deutscher Steuergelder. Die Anschaffung würde mehrere weitere Milliarden kosten.
Die Aufklärungsdrohne hätte von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) fast das Amt gekostet. Wegen massiver Probleme bei der Zulassung des unbemannten Fliegers für den deutschen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion wurde die Entwicklung im Frühjahr 2013 gestoppt. Seitdem wird nach einem anderen Flugzeug gesucht, in das die von Airbus stammende Aufklärungstechnik eingebaut werden kann. Derzeitiger Favorit: Eine Schwester-Drohne des „Euro Hawk“ namens „Triton“.
Von der Leyen will die Bundeswehr mit bewaffnungsfähigen Drohnen ausrüsten. Zur Auswahl stehen eine US-Drohne, die „Reaper“ (Sensenmann) oder „Predator B“ (Raubtier) genannt wird, und „Heron TP“ (Reiher) aus Israel. Die Entscheidung wird noch vor Ende des Jahres erwartet.
Mit vier Jahren Verspätung lieferte Airbus Mitte Dezember das erste Transportflugzeug vom Typ A400M an die Bundeswehr aus. Das bedeutet aber noch nicht das Ende der Verzögerungen. Wieviele der fünf für dieses Jahr versprochenen Maschinen tatsächlich am niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf landen werden, ist noch völlig unklar. Der A400M bleibt ein Problemfall.
Auch mit kleineren Waffen gibt es große Probleme. Seit vielen Monaten wird über die Treffsicherheit des Standardgewehrs der Bundeswehr G36 diskutiert. Große Hitze verträgt die Waffe nicht besonders gut. Ein neuer Prüfbericht soll in den nächsten Wochen Klarheit darüber bringen, wie gravierend das Problem ist.
„Die islamistischen Terrornetzwerke leihen sich ihre Fachleute gegenseitig aus. Wir beobachten zurzeit, dass afghanische Bombenbauer nach Afrika gehen“, berichtet Thorsten Ludwig. „In Mali ist bislang alte Kriegsmunition für die Anschläge verwendet worden. Jetzt werden zunehmend einfach zu beschaffende Chemikalien wie metallarmer Kunstdünger für den Bau von Sprengfallen genutzt.“ Gezündet würden diese Bomben beispielsweise durch Handys, Druckplatten oder Zeitschaltuhren – die Wirkung sei, abhängig von der Qualität des Explosivstoffes, schon ab relativ geringen Mengen verheerend.
Braucht die Bundeswehr mehr Geld?
Die Bundesregierung hat bisher nicht vor, die Finanzmittel für die Bundeswehr wesentlich aufzustocken. Im Haushaltsplan für 2015 gehört der Verteidigungsetat zu den wenigen Posten, bei denen gekürzt wurde - wenn auch nur um 0,5 Prozent. Bis 2018 ist eine leichte Steigerung von 32,3 auf 36,86 Milliarden Euro vorgesehen. Angesichts der Ausrüstungslücken bei der Bundeswehr wird jetzt der Ruf nach einer deutlich stärkeren Erhöhung lauter. Was spricht dafür und was dagegen?
Quelle: dpa
Deutschland will mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Bei den Verteidigungsausgaben liegt es aber weit hinter den wichtigsten Nato-Partnern zurück. Während der Bundesregierung Armee und Ausrüstung nur 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wert sind, investieren die USA 4,4 Prozent in ihr Militär, Großbritannien 2,4 Prozent und Frankreich 1,9 Prozent. Erklärtes Nato-Ziel ist es, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben. Das bekräftigte das Bündnis auch bei seinem Gipfeltreffen in Wales Anfang September - mit dem Einverständnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Zumindest bei der Beschaffung von Ersatzteilen gibt es eine Finanzlücke. Die Mittel dafür wurden 2010 gekürzt. Militärs beklagen, dass die Bundeswehr heute noch darunter zu leiden hat.
Auf die Bundeswehr kommen immer wieder neue Aufgaben hinzu. Die Nato will ihre Reaktionsfähigkeit im Krisenfall verbessern. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wird möglicherweise noch Jahre dauern. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat den Vereinten Nationen auch ein stärkeres Engagement Deutschlands bei Blauhelmeinsätzen in Aussicht gestellt. Das alles geht nicht ohne modernes, robustes und gut gepflegtes Material.
Die Bundeswehrreform wurde nach dem Prinzip „Breite vor Tiefe“ entworfen. Das heißt: Die Truppe soll alles können und braucht dafür in jedem Bereich die entsprechende Ausrüstung. Das kostet. Bleibt man bei diesem Prinzip, muss auch Geld dafür zur Verfügung gestellt werden.
Das Rüstungsproblem der Bundeswehr ist nicht in erster Linie ein finanzielles Problem, sondern ein Managementproblem. Das macht sich schon daran bemerkbar, dass im vergangenen Jahr insgesamt 1,5 Milliarden Euro des Verteidigungsetats gar nicht ausgeschöpft wurden.
Das Prinzip „Breite vor Tiefe“ widerspricht den Bestrebungen von Nato und EU, innerhalb der Bündnisse Aufgaben zu teilen. Diese Bemühungen kommen bisher allerdings nur schleppend voran. Man könnte sich stärker dafür einsetzen, um zu einem effizienteren Rüstungssektor zu kommen.
Je mehr verschiedene Militärgeräte es gibt und je geringer die Stückzahlen, desto größer ist auch der Wartungs-, Instandhaltungs- und Ausbildungsaufwand. Deswegen könnte eine stärkere Spezialisierung der Bundeswehr Kosten sparen.
Bei der Beschaffung neuer Rüstungsgüter kommt es regelmäßig zu Verzögerungen und Kostensteigerungen, denen man durch ein besseres Vertragsmanagement entgegenwirken kann. Nur einige Beispiele: Der Kampfhubschrauber „Tiger“ sollte im Dezember 2002 ausgeliefert werden. Daraus wurde Juli 2010. Auf den Transporthubschrauber NH90 musste die Bundeswehr sogar neun Jahre länger warten als ursprünglich vorgesehen. Die Kosten für die Fregatte 125 haben sich im Laufe der Entwicklung von 656 Millionen auf 758 Millionen Euro erhöht. Der Preis für ein Transportflugzeug A400M stieg wegen einer nachträglichen Reduzierung der Stückzahl von 124,79 auf 175,31 Millionen Euro.
Wer baut diese Bomben, wie werden sie eingesetzt, wer finanziert die Terroristen, und wie kann man sich vor ihren Sprengladungen besser schützen? - vier Fragen, die für C-IED von zentraler Bedeutung sind. Ludwigs Abteilung ist zwar im Amt für Heeresentwicklung in Köln verankert, aber verantwortlich für die Weiterentwicklung von Counter-IED in der gesamten Bundeswehr. Dazu wertet die Abteilung sämtliche verfügbaren Informationsquellen weltweit aus. Ziel ist in jedem Fall die Analyse zur Identifizierung mittel- bis langfristiger Trends; auch spezifische Bedrohungslagen und spezielle Wirkungsweisen von IED gehören dazu.
Häufig hätten die Täter Fehler beim Bombenbau gemacht, so dass Spuren zu finden gewesen seien. „Entsprechende Spuren müssen unsere Spezialisten vor Ort sichern, um gerichtsverwertbare Beweise vorlegen zu können. Wir müssen aber auch wissen: Welche Motivation treibt die Attentäter? Wie sind sie strukturiert? Wer unterstützt sie?“, betont Ludwig. „Es geht immer um Macht, Geld und politische Manipulation.“ Eine Keimzelle des Sprengfallenbaus befinde sich in Südamerika: Zum Beispiel von Kolumbien aus werde das tödliche Wissen regelrecht exportiert, „der weltweite Fähigkeitstransfer läuft auch über Bauanleitungen im Internet.“
Kern der Arbeit in der Abteilung ist die Weiterentwicklung des Fähigkeitsspektrums C-IED in der Bundeswehr. Das bezieht sich nicht nur auf die Optimierung von Material, sondern auch auf die Ausbildung der Soldaten. So werden die konzeptionellen Grundlagen und Vorgaben entwickelt und zugleich die entsprechenden nationalen Lehrgänge durchgeführt. Auf internationaler Bühne vertritt die Abteilung die deutschen Interessen in Gremien von NATO und EU. National arbeiten die Männer und Frauen in Oberst Ludwigs Abteilung beharrlich an der Verbesserung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit.
Funkfernzündung verhindern
Dass C-IED in der Bundeswehr mittlerweile so stark aufgestellt ist, resultiert aus den zahlreichen in Afghanistan verwundeten und gefallenen Soldaten, seit 2001 waren es mehr als 3500 Todesopfer. Ab 2006 wurden die Strukturen konsequent optimiert. Oberst Ludwigs Abteilung übernimmt für die C-IED-Community in der Bundeswehr die Rolle des „Fernlichts“: Auch in künftigen Einsätzen sollen deutsche Soldaten und internationale Verbündete bestens vorbereitet und geschützt sein.
Die Informationsgewinnung, auch zu konkreten Attacken mit IEDs, ist in den deutschen Streitkräften schon seit vielen Jahren ein Thema. Die Koordinierung zwischen Aufklärungsergebnissen und der Einleitung von Schutzmaßnahmen und Ausbildung habe es in der Bundeswehr in diesem Umfang bis 2012 aber nicht gegeben.
Die Abteilung C-IED bringt - in zivile Begriffe übersetzt - Analysten, Chemiker, Computerspezialisten, Militärpolizisten, Juristen und Techniker zusammen und hält Kontakt mit Nachrichtendiensten. In Lehrgängen für das Bundeswehr-Stabspersonal in Eschweiler bringen auch externe Spezialisten ihr Fachwissen ein. „Von uns ausgebildete C-IED Spezialisten beraten die Truppe zum Beispiel zu elektronischen Gegenmaßnahmen, um eine Funkfernzündung zu verhindern. Ein Nachteil ist, dass damit auch der eigene Funkverkehr beeinträchtigt werden kann“, sagt Ludwig. „Unsere Erkenntnisse und die Fachexpertise fließen unmittelbar in Rüstungsvorhaben und in materielle Weiterentwicklungen ein.“
Im Fall des Mali-Einsatzes arbeitet die Abteilung eng mit den Franzosen zusammen. Neu sind Kontakte mit den stark terrorbedrohten Ländern Jordanien und Tunesien. Der Datenaustausch sei „ein heikles Thema“, stellt der Oberst ergänzend fest, auch auf nationaler Ebene. Das Fehlen ressortübergreifender Datenbanken, der Datenschutz und die durch das Grundgesetz vorgegebene Trennung von äußerer und innerer Sicherheit sind komplexe Themen, für die es keine „schnellen Lösungen“ geben könne. „Es gibt noch viel zu tun“ ergänzt Thorsten Ludwig, verbunden mit der Hoffnung, dass in Deutschland auch weiterhin kein IED-Anschlag gelingen wird.
Im Mittelpunkt soll dabei der Schwerpunkt des gesamten C-IED Ansatzes stehen, den die NATO-Mitglieder für alle Bündnisstaaten festgelegt haben: Beeinflussung von freundlich gesinnten, von neutralen und von feindlichen Netzwerken in aktuellen und zukünftigen Einsatzgebieten. Dazu müssen unter anderem internationale Finanzströme und die Weitergabe von Material beobachtet werden – unter Federführung von Nato-Dienststellen oder des deutschen Außen- und des Innenministeriums. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass viele der Vorgänge als „Verschlusssache“ behandelt werden müssen, da bei vollkommener Öffentlichkeit keine Erfolge mehr gewährleistet werden können. „Es geht um die Isolierung der Teilkomponenten von Netzwerken durch punktgenaue physische und kognitive Maßnahmen gegen das IED-System“, lautet die verklausulierte Feststellung. Das schließt neben vielen anderen Maßnahmen offenbar auch militärische Gegenangriffe gegen die Bombenbastler ein.
Deutlicher wird Ludwig bei der steigenden Gefahr durch Drohnenangriffe aus der Luft: „Auf Arbeitsebene“ gebe es dazu Kontakte mit der deutschen Polizei. „Wir müssen zum Beispiel lernen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen und gemeinsame Abwehrverfahren zu entwickeln. Wenn wir das erst anpacken, wenn es erste Opfer gibt, ist es zu spät.“ Ludwigs düstere Prognose: „IED werden als ,Waffe des kleinen Mannes’ in nahezu allen Konfliktregionen und damit auch in den zukünftigen Einsatzgebieten der Bundeswehr präsent bleiben. Eine Bedrohung hier vor Ort in Deutschland kann leider ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.“