Versäumnisse und Fehleinschätzungen NSU-Untersuchungsausschuss endet

30 Sitzungen, rund 50 Zeugen, Berge von Akten: Der NSU-Untersuchungsausschuss hat seit seiner Einsetzung vor einem Jahr ein strammes Pensum bewältigt. Und dabei manch Überraschendes, manch Erschreckendes zutage befördert.

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Zentnerweise Akten wurden im Verlauf des NSU-Untersuchungsausschusses gesichtet. Quelle: dpa

München Günther Beckstein hatte tatsächlich das richtige Bauchgefühl. Immer wieder fragte Bayerns damaliger Innenminister bei den Ermittlern nach, ob bei den fünf rätselhaften, ungeklärten Morden in Nürnberg und München nicht ein ausländerfeindliches Motiv denkbar sei. Doch die Beamten antworteten stets, dass es keine Spuren in diese Richtung gebe - und ermittelten in andere, falsche Richtungen. Erst 2011 flogen die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) auf. Da hatten sie ihre blutige Spur längst quer durch Deutschland gezogen. Er habe es immer als „eine der zentralen Niederlagen der bayerischen Polizei angesehen“, dass die Ermittler die Morde nicht aufklären konnten, sagte Beckstein in seiner Vernehmung im NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags.

Beckstein war einer der letzten von rund 50 Zeugen, die seit einem Jahr in dem Ausschuss aussagen mussten. An diesem Mittwoch soll die Beweisaufnahme formal abgeschlossen, eine Woche später der Abschlussbericht beschlossen werden.

Das Fazit nach einem Jahr Arbeit könnte am Ende ungefähr so lauten: Bei den bayerischen Behörden - Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften - gab es im Zuge der Ermittlungen viele Versäumnisse, viele Unzulänglichkeiten und viele Fehleinschätzungen - aber den einen, alles entscheidenden Fehler, ohne den man die Terroristen vielleicht geschnappt hätte, den gab es wohl nicht. „Ich kenne keinen Punkt, wo ich sage: Hätte man das anders gemacht, dann wären die Täter sofort gefasst worden“, resümierte Beckstein. Dass man hinterher immer schlauer ist - das ist ein Allgemeinplatz. Allerdings bilanziert Ausschuss-Chef Franz Schindler (SPD) am Ende schon: „Auch bayerische Behörden haben bedauerlicherweise versagt.“

Tatsächlich ist die Summe der Versäumnisse, die der Ausschuss zutage befördert hat, erschreckend. Warum wurde so lange so vehement in Richtung Organisierte Kriminalität ermittelt? Warum wurde ein möglicher ausländerfeindlicher Hintergrund erst nach Jahren eingehend untersucht? Warum hatte der bayerische Verfassungsschutz so viele V-Leute in der rechten Szene und wusste doch nicht, dass sich die Szene verändert? Warum musste die Polizei so lange warten, um Informationen vom Landesamt zu bekommen? Warum lief die Zusammenarbeit mit anderen Ländern so schleppend? „Es ist manchmal schwieriger, von einem anderen Bundesland Informationen zu kriegen als vom Kongo“, meinte der frühere Chef der Münchner Mordkommission, Josef Wilfling, bei seiner Vernehmung.

Auch diese Frage bleibt am Schluss ziemlich unbeantwortet stehen: Warum wurde der Hinweis einer Frau, die zwei der Terroristen an einem Nürnberger Tatort beobachtete und später auf Videoaufnahmen von einem Kölner Bombenanschlag wiedererkannte, nicht ausreichend verfolgt? Warum hielt es der damals leitende Staatsanwalt nicht für nötig, auch nur einmal den direkten Kontakt zu seinem Kölner Kollegen zu suchen? Und: Warum ließ sich Justizministerin Beate Merk (CSU) - anders als ihr Kollege Günther Beckstein - nicht ein einziges Mal über Details aus den Ermittlungen informieren?

Welche Lehren für die Zukunft man ziehen sollte - das soll nun bis zur Verabschiedung des Abschlussberichts beraten werden. Einen zentralen Punkt nennen Schindler und Ausschuss-Vize Otmar Bernhard (CSU) aber schon jetzt: dass bei derartigen Mordserien künftig standardmäßig und verstärkt in Richtung eines möglichen ausländerfeindlichen Motivs ermittelt wird. Und dass Polizei und Verfassungsschutz stärker kooperieren müssen, ist quasi Konsens.

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