Wirtschaftsbildung Wirtschaft in Schulen – ein Fach ohne Fachwissen

Ein Lehrer unterrichtet in einem Klassenzimmer der Kraichgau-Realschule in Baden-Württemberg. Eine Studie attestiert den Schulbüchern für Wirtschaft einen mangelhaften Bezug zur Wirtschaftsrealität. Quelle: dpa

In den Schulen in Deutschland wird wirtschaftlicher Sachverstand unzureichend gefördert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Siegen. Doch die Kritik geht noch deutlich weiter.

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Wer nicht in einer Unternehmerfamilie aufwächst, kommt vermutlich erst in der Schule mit dem Thema Wirtschaft in Berührung. Und das mehr schlecht als recht. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Analyse des Zentrums für Ökonomische Bildung an der Universität Siegen (ZÖBIS). „Schulbücher vermitteln nur in seltenen Fällen ökonomisches Denken“, heißt eines der vernichtenden Urteile der Autoren. In Auftrag gegeben hatten die Analyse die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung und der Verband der Jungen Unternehmer.

„Es fehlt an Wissen über einfachste ökonomische Zusammenhänge. Ich bin überzeugt davon, dass die Exportnation Deutschland es sich nicht leisten kann, seinen kommenden Generationen notwendiges wirtschaftliches Wissen nicht zu vermitteln“, urteilt Thomas Hoppe, Bundesvorsitzender der Jungen Unternehmer. Globalisierung werde in Schulbüchern per se als schlecht dargestellt, Misstrauen gegenüber Märkten und Unternehmen vermittelt und Lösungen vor allem beim Staat gesucht.

Die bislang unveröffentlichte Studie analysiert 40 deutsche Schulbücher der Fächergruppen Wirtschaft-Politik, Sozialkunde, Wirtschaft, Geschichte und Geografie der Sekundarstufen I und II und ist damit aus Sicht der Autoren näher an der Realität in den Klassenzimmern als die oft praktizierte Lehrplanbetrachtung. Die Überzeugung: Schulbücher haben die Funktion eines Leitmediums.

Besonders im Fokus der Kritik stehen die Autorinnen und Autoren der Schulbücher. Wenn überhaupt bekannt ist, welchen fachlichen Hintergrund die für die Inhalte Verantwortlichen haben, dominieren in den Fächern Wirtschaft und Politik in der Regel Lehrerinnen und Lehrer. Er vermisse in den Autorenteams Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftsdidaktik, sagt Nils Goldschmidt, Vorstand des ZÖBIS. Bisher ziehe sich ein gewisses Grundmisstrauen gegenüber Märkten durch die Publikationen - eine Angst aus Unwissenheit.

Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender der Naumann-Stiftung, formuliert es deutlich plakativer: „So wie der Bäcker besser nicht die Wurst produziert, sollte der Geschichtslehrer besser nicht die ökonomische Bildung übernehmen“. Der aktuelle Lehrplan schaffe es nicht, „junge Menschen zu befähigen, unternehmerisch und gut informiert ihre eigene wirtschaftliche Zukunft gestalten zu können.“

Zudem, so Goldschmidt, deuteten einige Befunde darauf hin, dass bei der Auswahl der Darstellungen nicht nur fachliche Gründe eine Rolle spielten: „Wir konnten feststellen, dass dieselben Autorenteams für unterschiedliche Länderausgaben des gleichen Buches Themen unterschiedlich darstellen - auch mit zum Teil tendenziösen Nuancen.“

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Dass es in Deutschland ein Defizit in der ökonomischen Bildung gibt, ist generell nicht neu. Die Deutsche Bundesbank schreibt auf ihrer Website: „Grundlegende ökonomische Begriffe werden von vielen nicht verstanden, und verhältnismäßig einfache Fragen zum Thema Geld können oftmals nicht korrekt beantwortet werden.“ Auch die Notenbank wendet sich insbesondere an Lehrerinnen und Lehrer, um hier Abhilfe zu schaffen.

Die Siegener Studie fand zudem Fehler in den Unterrichtsmaterialien. In einem Buch wurde Polen in der Eurozone verortet, in einem anderen wurde in einem Beispielfall einer Auszubildenden wegen Umsatzeinbußen gekündigt obwohl das bei Auszubildenden verboten ist. Goldschmidt zeigt sich bestürzt über die teils groben Schnitzer, schränkt aber gleichzeitig ein: Man könne nicht sagen, dass die Bücher vor Fehlern nur so strotzen.

Fragt man in der Verlagsbranche nach, ist man durchaus offen für Kritik. Der Vorwurf der Einseitigkeit im Fach Wirtschaft werde regelmäßig von arbeitgebernahen Institutionen erhoben, heißt es beim Verband Bildungsmedien: „Wir nehmen das sehr ernst, nicht zuletzt, weil die Bildungsmedienverlage selbst auch Wirtschaftsunternehmen sind“.

Das Problem bei der Erstellung von Schulbüchern sei grundsätzlich, „dass eine Auswahl getroffen werden muss, was in welchem Umfang unterrichtet wird“. Das Schulbuch sei ein Vorschlag, aber was letztlich Inhalt des Unterrichts sei, entscheide die Lehrkraft.

Aus Sicht der Bundesbank hat sich auch in Deutschland schon viel zum Besseren verändert: Bereits 2008 habe die Kultusministerkonferenz die ökonomische Bildung als unverzichtbaren Bestandteil der Allgemeinbildung und des Bildungsauftrags der allgemeinbildenden Schulen festgeschrieben. Dennoch könne man noch besser werden, müsse sich aber auf das Wesentliche konzentrieren: „Um die Lehrpläne nicht zu überfrachten, sollte der Unterricht nur grundlegende ökonomische Konzepte und Kompetenzen vermitteln.“

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Wenngleich die Siegener Analyse laut Goldschmidt den Großteil der deutschen Bildungslandschaft abdeckt, gibt es eine Ausnahme. Da die Autoren auf einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2017 aufbauen, wurden alle Bücher zum Fach „Wirtschaft und Recht“ in Bayern und Thüringen ausgeklammert. Dies habe auch inhaltliche Gründe, so Goldschmidt. Betrachtet würden vor allem Fächer, in denen mehrere Themengebiete gemeinsam unterrichtet werden, „wie das Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS) in Baden-Württemberg, das das Fach Gesellschaftslehre ersetzt hat“.

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