Wolfgang Streeck "In jedem Einwanderungsland entstehen Enklaven"

Seite 2/5

Die einheimischen Profiteure der Einwanderung

Wer sind in Deutschland die Gewinner und Verlierer der Einwanderung? 

Die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk haben nicht genug Lehrlinge wegen des Akademisierungsdrucks. Viele Arbeitgeber scheinen zu glauben, dass mit den Flüchtlingen nun die fehlenden Lehrlinge kommen. So euphorisch wie im Sommer ist aber schon jetzt kaum noch jemand, weil klar wird, dass es gar nicht so einfach ist, eine deutsche Lehre zu machen. Die Ansprüche in einer dreieinhalbjährigen Lehre sind sehr hoch – etwas, das Akademiker wegen ihres Akademikerdünkels nicht glauben können. Es gibt aber auch großen Arbeitskräftehunger nach gering Qualifizierten, nach Pflegekräften, Sicherheitspersonal, Paketzustellern, Putzfrauen, Babysittern.

Obergrenze - wer ist dafür, wer dagegen?
Gerhard Schröder (SPD) erwartet in diesem Jahr erneut rund eine Million Flüchtlinge in Deutschland. „Wir werden das in diesem Jahr noch einmal schaffen, selbst wenn wir mit einer weiteren Million rechnen müssen - so alle Voraussagen“, sagte der Altkanzler. „Aber dann sind die Kapazitätsmöglichkeiten in den Kommunen, in den Ländern auch erschöpft.“ Und weiter: „Ich hätte nicht gesagt: Wir schaffen das“, sagte Schröder und bezog sich damit auf die entsprechende Aussage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Flüchtlingsfrage. „Ich hätte gesagt: Wir können das schaffen, wenn wir bereit sind, Voraussetzungen dafür hinzubekommen.“ (Stand: 4. Februar 2016) Quelle: AP
Bundespräsident Joachim Gauck hat eine offene Diskussion über die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs gefordert. Begrenzungsstrategien könnten „moralisch und politisch geboten“ sein, sagte Gauck im WDR-Rundfunk. Gerade in dem Bemühen, möglichst vielen Menschen helfend zur Seite zu stehen, könne es begründet sein, „dass man nicht allen hilft“. Es sei möglich, hilfsbereit und sorgenvoll zugleich zu sein, betonte Gauck. Es zeige sich, dass wir „das Für und Wider und das Maß an Aufnahmebereitschaft“ öffentlich besprechen müssen. (Stand: 4. Februar 2016) Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will eine spürbare Reduzierung des Flüchtlingszustroms in diesem Jahr erreichen. Eine Lösung der Flüchtlingskrise sehe sie in der Bekämpfung der Fluchtursachen und der Sicherung der Außengrenzen, sagte Merkel. „Ich verspreche Ihnen, weil ich weiß, dass es vielen Tag und Nacht durch den Kopf rumgeht, dass wir alles daran setzen, die Zahlen für dieses Jahr spürbar zu reduzieren“, fügte die Kanzlerin hinzu. Eine starre Obergrenze, wie von der Schwesterpartei CSU gefordert, lehnt die Kanzlerin bislang ab. (Stand: 22. Januar 2016) Quelle: AP
Sigmar Gabriel will "von einer chaotischen zu einer planbaren Zuwanderung kommen". Deutschland müsse "feste Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen einführen, um die Kontrolle zu behalten, wie viele Menschen kommen und wann sie kommen", sagte der Wirtschaftsminister der der Funke-Mediengruppe. Deutschland könne deutlich mehr als die von CSU-Chef Horst Seehofer genannten 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. "Aber das Kontingent muss auch deutlich unter den Zuwanderungszahlen des vergangenen Jahres liegen." Zwar stimme der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das Asylrecht kenne keine Obergrenze, sagte der Vizekanzler. "Aber in einer Demokratie entscheiden die Bürger. Und ich rate uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten." Wenn die Maßnahmen zur Verringerung der Flüchtlingszahlen im Frühjahr nicht wirkten, "bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden". (Stand: 16. Januar 2016) Quelle: dpa
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnt vor einer Überforderung Deutschlands in der Flüchtlingskrise. "Jeder sieht ein, dass wir nicht die ganze Welt aufnehmen können", sagte Schäuble. "Zu Unmöglichem kann man nicht verpflichtet werden." Schäuble forderte, Deutschland und Europa müssten sich künftig deutlich stärker finanziell und sicherheitspolitisch im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika engagieren, um den Flüchtlingszuzug einzudämmen. Der Finanzminister stärkte zudem der wegen ihres Kurses in der Flüchtlingspolitik auch innerparteilich in die Kritik geratenen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Rücken. "Sie kämpft darum, dass Europa so wenig wie möglich beschädigt wird. Darin unterstütze ich sie", sagte Schäuble. (Stand: 2. Februar 2016) Quelle: dpa
Die CSU setzt in der Flüchtlingskrise voll auf Konfrontation mit der Bundeskanzlerin und fordert eine Obergrenze von 200.000 Personen pro Jahr. „Wir werden diese Begrenzung weiterhin massiv einfordern - politisch, und möglicherweise auch rechtlich“, sagte Parteichef Horst Seehofer bei der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth. Bayern erwägt zudem eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, an der die CSU selbst beteiligt ist. (Stand 21. Januar 2016) Quelle: dpa
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hält eine Obergrenze aus rechtlichen Gründen nicht für möglich. Sie unterstützt den Ansatz, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Zugleich fordert sie, anerkannten Asylbewerbern unter bestimmten Umständen zu verbieten, sich den Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei zu wählen. "Es darf nicht sein, dass alle Flüchtlinge, sobald sie anerkannt sind, wie prognostiziert in die Großstädte ziehen", sagte die SPD-Politikerin dem "Kölner Stadt-Anzeiger". (Stand: 1. Februar 2016) Quelle: dpa

Da werden sich die Neuankömmlinge mit den Deutschen in die Haare kriegen, die sich da durchschlagen, zumal sie bereit sein werden, auch für weniger als den Mindestlohn zu arbeiten. Solche sozialen Konflikte interessieren die Familien, die billige Haushaltshilfen suchen, um sich noch mehr ihren „Karrieren“ widmen zu können, zunächst mal nicht. Auch andere profitieren unmittelbar: die zusätzlichen Lehrer, Polizeibeamten, Sozialarbeiter, Berater alles Art. Die hoffen auf eine Lockerung der „Schuldenbremse“.

Blicken wir mal in die Geschichte der Einwanderung und des Kapitalismus zurück. Werner Sombart, einer der Gründungsväter der Wirtschaftssoziologie, hat das Bild vom Fremden als dem optimalen Unternehmer geprägt. Der Fremde, der sich losgelöst von Traditionen ganz darauf konzentrieren kann, sich Ressourcen anzueignen, sie in Waren und Reichtum zu verwandeln.  

Da ist was dran. Der Fremde sieht Dinge, die der Einheimische nicht sieht. Dem Fremden ist das Selbstverständliche nicht selbstverständlich; deshalb muss er genauer hingucken als der Einheimische. Fremdsein schärft den analytischen Blick, und damit beginnt die Kreativität. Trotzdem führt die Fremdheit an sich nicht notwendig zu Unternehmertum. Die klassischen Fremden in der europäischen Geschichte waren und sind die Sinti und Roma. Die haben keine Unternehmen gegründet, vielleicht auch weil man sie nicht gelassen hat. Bei den Juden im europäischen Mittelalter, etwa den Maghribi Traders, war es nicht die Fremdheit als solche, die sie zu erfolgreichen Fernhändlern machte, sondern ihre Verbindungen untereinander, die es ihnen ermöglichten, sich über verschiedene Länder hinweg zu verständigen und dabei frühe Formen des Wechsels zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs zu entwickeln.

Entscheidend war nicht ihre „Fremdheit“, sondern das, was man  Sozialkapital nennt. Ein anderes Beispiel sind die Diaspora-Chinesen in Südostasien, die nicht auf Banken angewiesen sind, wenn sie Kapital brauchen, weil sie sich auf ein eigenes, an die Familie gebundenes Kredit-System stützen können. Wer einen solchen Kredit nicht zurückzahlt, ist für immer erledigt. Die Familienstrukturen sorgen dafür, dass auf das verliehene Geld gut aufgepasst wird.

Wer sich heute von Einwanderern einen besonderen Unternehmergeist erhofft, denkt vermutlich an die amerikanische Erfolgsgeschichte.

In Amerika, speziell in New York, kann man einiges darüber lernen, wie Einwanderung funktioniert. Entscheidend ist immer die historische Situation, in der eine Einwanderungswelle stattfindet, zusammen mit den jeweiligen institutionellen Bedingungen im Aufnahmeland und wie die Einwanderer dort mehr oder weniger zufällig hineinpassen. Italiener gelten als äußerst unternehmerisch, soweit es um kleine Familienunternehmen geht. Das hat sich auch in den USA grundsätzlich nicht geändert. Hinzu kam aber, dass viele während der Prohibition nach Amerika kamen.

Von dieser waren sie selbst betroffen, weil ihre Kultur eine Wein-Kultur war und ist. Einige steckten dann ihre ganze Energie in diesen sich auftuenden illegalen Markt – mit großem Erfolg, wie übrigens auch einige Iren. Al Capone war ein Unternehmer, und die Mafia war ein Kartell, das sich zur Gewährleistung von Vertragstreue nicht an die staatlichen Gerichte wenden konnte. So musste anders Ordnung geschaffen werden, und das sizilianische Sozialkapital der Omertà leistete dabei gute Dienste. Al Capone konnte deshalb auch nur wegen Steuerhinterziehung vor Gericht gestellt werden. 

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%