Wäre der Gläubiger nicht der Steuerzahler, der Anspruch auf die EZB-Gewinnausschüttungen hat, könnte man das lockerer sehen. So aber fragt man sich: Was berechtigt die EZB, Zinssubventionen zu zahlen und die Zinsen so weit zu drücken, dass Sparern die Erträge wegbrechen, Unternehmen unter der Last wachsender Pensionsrückstellungen ächzen und Stiftungen ihr Geschäft aufgeben müssen, weil sie nur die Zinsen, nicht aber das Kapital für den Stiftungszweck verwenden dürfen?
Vermutlich wird die EZB nun wieder ihre Neusprech-Abteilung aktivieren, um schöne Vokabeln zu erfinden, die eine semantische Anmutung von Geldpolitik vermitteln. Sie kann auch darauf setzen, dass der Europäische Gerichtshof weiter die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Dennoch gehen die jüngsten Maßnahmen weit über die Grenze des Vernünftigen hinaus. Es handelt sich um den dreisten Versuch jener Mitglieder des EZB-Rats, die netto im Ausland verschuldete Länder vertreten, diesen Staaten durch sinkende oder gar negative Zinsen einen Teil der Schuldenlast zu nehmen.
Das trifft vor allem Deutschland, denn wir haben dank riesiger Exportüberschüsse das zweitgrößte Nettoauslandsvermögen aller Länder der Erde aufgebaut. 2015, also vor den neuerlichen Zinssenkungen, haben die niedrigen Zinsen im Vergleich zu 2007 Deutschland in seiner Gesamtheit – staatliche und private Instanzen zusammengenommen – etwa 89 Milliarden Euro gekostet. In der Summe der Jahre seit 2008 dürfte Deutschland als Ganzes 327 Milliarden Euro verloren haben.
Die EZB vorm Bundesverfassungsgericht
Im Kern geht es um das historische Versprechen von EZB-Präsident Draghi aus dem Sommer 2012. Als die Eurozone vor der Zerreißprobe stand, erklärte der Italiener: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Wenig später beschloss die Notenbank, unter bestimmten Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) beschäftigt die Juristen bis heute.
Nein. Kritiker werfen der Notenbank dennoch vor, sie habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Über Anleihenkäufe finanziere die EZB letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den jeweiligen Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Regierungen darauf verließen, dass es notfalls die EZB richten werde.
Das höchste deutsche Gericht kam Anfang 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Laut EU-Vertrag dürfe sie keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Zur Klärung von EU-Recht gab Karlsruhe das Thema aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der EuGH entschied: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen. Das OMT-Programm aus dem Sommer 2012 sei rechtmäßig: „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten.“ Die Schritte der Notenbank müssten jedoch verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme sein. Insgesamt wurde der Gerichtshof seinem Ruf gerecht, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten die Luxemburger Richter keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise.
Nein, denn der EuGH entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Auf Basis des EuGH-Urteils haben die deutschen Richter nun zu bewerten, ob die Anleihenkäufe verfassungsgemäß sind. 2014 hatten sie mitgeteilt, ob der OMT-Beschluss der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, könne letztlich erst geklärt werden, wenn der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet habe. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet.
Volkswirte fordern, das Bundesverfassungsgericht solle sein Urteil zumindest dazu nutzen, deutsche Vorbehalte festzuschreiben. „Wir sind dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein Signal nach Luxemburg und Frankfurt sendet, dass man nicht einfach machen kann, was man will“, betont der Wirtschaftsweise Lars Feld. Durch eine Begründung, die von der Pro-EZB-Entscheidung des EuGH abweicht, könnte sich Deutschlands höchstes Gericht auf nationaler Ebene die Kontrolle über künftige EZB-Maßnahmen zur Euro-Rettung vorbehalten. Beobachter halten eine solche Kompromiss-Linie für durchaus wahrscheinlich. Dass Karlsruhe das EuGH-Urteil komplett verwirft, wird nicht erwartet.
Direkt nichts. Denn es geht nicht um die Anleihenkäufe, die seit dem 9. März 2015 laufen („Quantitative Lockerung“ oder englisch „Quantitative Easing/QE“). Doch weil auch gegen dieses aktuelle Programm bereits eine Verfassungsbeschwerde vorliegt, wird die Karlsruher Entscheidung mit Spannung erwartet. Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere - und das bis mindestens März 2017. Wichtiger Unterschied zum OMT-Programm: Das Geld fließt nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Das frische Zentralbankgeld soll über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen.
Umgekehrt haben die sechs Krisenländer der Euro-Zone (Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Irland, Zypern), die Ende 2014 netto im Ausland für 2,06 Billionen Euro verschuldet waren, bis Ende 2014 wegen der sinkenden Zinsen einen Gewinn von 316 Milliarden Euro erzielt.
Der Gesamtgewinn aus Zinssenkungen bis Ende 2015 dürfte nach einer ersten groben Schätzung gut 400 Milliarden Euro betragen. Bedenkt man, dass die Zinsen ohne den Schutz der EZB nicht gefallen, sondern gestiegen wären, dürfte es sich bei diesen Zahlen um die Untergrenze der durch die EZB verursachten Umverteilungseffekte zwischen den Volkswirtschaften handeln.
Es gibt also Grund genug, den von der EZB beabsichtigten Marsch ins negative Zinsterritorium unerhört zu finden. Irgendwann kommt der Punkt, an dem auch glühenden Europäern der Geduldsfaden reißt.