EU-Emissionshandel Klimaschutzverträge sollen den CO2-Preis ergänzen

Der CO2-Preis reicht ihm nicht: Wirtschaftsminister Robert Habeck will der deutschen Industrie Geld geben, damit sie grün produzieren kann. Quelle: dpa Picture-Alliance

Rechnen sich Klima-Investitionen für die Industrie? Das hängt vom CO2-Preis im Emissionshandel ab. Der ist zuletzt drastisch gesunken. Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht keinen Grund zur Panik. Was sagen Experten?

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Robert Habeck gibt sich optimistisch. „Es ist ein guter Tag für den Klimaschutz, die Wirtschaft und den Produktionsstandort Deutschland“, sagt der Bundeswirtschaftsminister am Dienstag gleich zu Beginn seiner Pressekonferenz. Ein guter Tag sei es, weil er in Deutschland etwas Neues ausprobieren wolle: eine Förderung, die es so in keinem anderen Land gebe. „Wir starten heute das erste Auktionsverfahren für Klimaschutzverträge“, erklärt Habeck. 

Mit dieser neuen Förderung möchte das Wirtschaftsministerium deutsche Firmen dabei unterstützen, ihre Produktion auf grüne Energie umzustellen – und zwar möglichst unbürokratisch. Unternehmen sollen damit Investitionen in eine klimafreundliche Transformation tätigen können, die ihnen bisher zu risikoreich waren. Bisher sei das eine Baustelle gewesen, meint Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Konkret sollen sich die teilnehmenden Unternehmen dafür an einem Bieterwettbewerb beteiligen. Wer besonders günstig Treibhausgase vermeiden kann, bekommt einen Klimaschutzvertrag und einen Zuschlag über mehrere Jahre. In der ersten Phase hat die Regierung dafür vier Milliarden Euro Subventionen für Unternehmen aus energieintensiven Branchen wie der Chemie-, Zement-, oder Papierindustrie eingeplant. Sobald die klimafreundliche Produktion günstiger wird als die konventionelle, kehrt sich die Zahlung um. Die Unternehmen zahlen ihre zusätzlichen Einnahmen dann an den Staat. Das sei der Charme an der Förderung, meint Habeck. „Sie ist super kosteneffizient.“

Deutschland soll zu einer klimaneutralen Wirtschaft werden. Mit den Klimaschutzverträgen setzt die Regierung auf ein Instrument, das an die deutsche Industriepolitik in den beiden Weltkriegen erinnert. Ein Gastbeitrag.

Das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz rechnet durch die Klimaschutzverträge mit CO2-Einsparungen von 350 Millionen Tonnen. „Das heißt, dass ungefähr ein Drittel der Emissionen der deutschen Industrie durch dieses Programm eingespart werden können“, erklärt Habeck. 

Mit den Klimaschutzverträgen will Habeck das erreichen, was das wohl wichtigste Klimaschutzinstrument der EU nicht alleine schafft: Nur über den CO2-Preis im EU-Emissionshandel gelingt die grüne Transformation nicht. Das zeigt nicht zuletzt der Preisverfall der letzten Monate. Derzeit kostet eine Tonne CO2 rund 55 Euro, Ende Februar waren es sogar nur 51 Euro. Im gleichen Zeitraum vor einem Jahr lag der Preis noch bei über 95 Euro. „Das ist ein atmendes System“, antwortet Habeck bei der Konferenz auf eine Nachfrage. „Wenn die Industrie weniger produziert, sinkt auch der Preis.“ Fakt ist aber: Wer derzeit Kohle, Öl oder Gas verbrennt und dafür Zertifikate braucht, kommt so billig davon wie lange nicht mehr.

Nur: Was hat den Preisverfall ausgelöst – und welche Folgen hat er für die europäische Industrie?

Das 2005 eingeführte EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) folgt dem Cap-and-Trade-Prinzip. Es gibt eine begrenzte Anzahl von Emissionszertifikaten (Cap), die stetig sinkt; wer wie viele davon nutzt, bestimmen die Marktteilnehmer durch Handel untereinander (Trade). Der Emissionshandel gilt derzeit für alle Unternehmen der Energiewirtschaft, für energieintensive Industrien wie Stahl, Zement oder Aluminium sowie mit Ausnahmen für den Luftverkehr. Der sinkende CO2-Preis hat viele Ursachen. Er ist das Produkt von Angebot, Nachfrage und Erwartungen der Marktteilnehmer.

Weniger Produktion, weniger Nachfrage

Weniger Produktion, weniger Nachfrage: Die EU-Wirtschaft läuft nicht so rund wie erwartet – erst im Februar hat die Kommission ihre Wachstumsprognose für die Jahre 2023 bis 2025 leicht nach unten korrigiert. Die europäische Industrie produziert derzeit weniger als erwartet und verbraucht daher auch weniger Kohle, Öl und Gas. Dadurch ist ihr Bedarf an Zertifikaten geringer.

Vor allem die Chemie- und die Automobilindustrie verzeichnen Produktionsrückgänge. Aber auch die Stahlindustrie ist nicht ausgelastet. Das Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Duisburg produzierte zuletzt schätzungsweise nur neun statt elf Millionen Tonnen Stahl pro Jahr. Das hat einen zusätzlichen Effekt: Energieintensive Industrien erhalten nach wie vor große Mengen an kostenlosen Zertifikaten. Produzieren sie weniger, verkaufen sie ihre Zertifikate auf dem Markt. Dadurch steigt das Angebot und der Preis sinkt. Die Zertifikate sind zwar unbegrenzt gültig, aber das hohe Zinsniveau macht es unattraktiv, Verschmutzungszertifikate auf Vorrat zu kaufen. 

Für den Preisrückgang sind auch der gesunkene Gaspreis und die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien verantwortlich. Es gibt aber auch erfreuliche Gründe für den Preisrückgang: „2023 war ein gutes Jahr für die Stromerzeugung durch Wind, Sonne und Wasser“, sagt Sabine Gores, stellvertretende Leiterin im Bereich Energie und Klimaschutz am Öko-Institut Berlin. Zudem profitierten Unternehmen von gesunkenen Gaspreisen. Sie konnten so Gas statt Kohle verbrennen und damit CO2 sparen. 

C02-Grafik


„Der – wenn auch zeitlich begrenzte – niedrige ETS-Preis kann die Investitionen in emissionssparende Technologien verzögern, weil die Dringlichkeit verringert scheint“, erklärt Gores. Matthias Buck von Agora Energiewende ergänzt, dass niedrige CO2-Preise Klima-Investitionen unrentabler machten. 

Kurzfristig verschiebe der niedrige Preis Investitionen, mittelfristig aber nicht. „Da sich die absolute Menge an CO2-Zertifikaten, die bis 2039 zur Verfügung steht, nicht ändert, ändert der kurzfristig niedrigere Preis nichts an der mittelfristigen Perspektive: dass Investitionen in den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft notwendig sind“, sagt Buck. Auch für Unternehmen, die sich im Bieterverfahren um Unterstützung durch Klimaschutzverträge bewerben, ändere sich nichts. Dennoch bedeuteten niedrigere CO2-Preise einen größeren Subventionsbedarf über die Klimaschutzverträge, so Buck.

Ein Eingriff in den Markt? Nicht nötig!

Bei den aktuell sinkenden Preisen wäre es auch eine Möglichkeit, mehr Zertifikate als vorgesehen aus dem Markt zu nehmen, um das Angebot zu verknappen. Damit könnten die Preise für Zertifikate schneller wieder ansteigen. Aber das sei gar nicht nötig, sagen die Klimaexperten. Auch, weil das EU-Parlament im vergangenen Mai beim Emissionshandel noch mal deutlich nachgebessert hat.

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von Anabel Schröter

„Veränderungen der wirtschaftlichen Entwicklungen sind ein normaler Vorgang“, sagt Buck von Agora Energiewende. Eine zusätzliche Entnahme von CO2-Zertifikaten wäre nur dann notwendig, wenn sich Faktoren dauerhaft und strukturell auf die Preisbildung von CO2-Zertifikaten auswirken. 

Preisniveau ist eine Momentaufnahme

Das sei aber laut Bucks Einschätzung nicht der Fall – im Gegenteil, das Preisniveau sei eine Momentaufnahme. „Es gibt keine Anzeichen für eine Lockerung des Emissionshandels – im Gegenteil“, sagt er. „Gerade erst hat die EU beschlossen, dass die Menge an versteigerten CO2-Zertifikaten Jahr für Jahr weiter abnimmt. Ab 2039 sollen gar keine neuen Zertifikate mehr ausgegeben werden.“

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Für die Bundesregierung bedeutet ein niedriger CO2-Preis weniger Einnahmen für den Klimatransformationsfonds (KTF). Aber Habeck blickt bei der Pressekonferenz entspannt in die Zukunft. Auch wenn der CO2-Preis aktuell niedrig ist, sei das kein Problem. „Für die Langfriststrategie des KTF ist diese kurzfristige Marktschwankung nicht entscheidend“, erklärt er. 

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