Robert Mustac ist so etwas wie ein Pionier. In dem Städtchen Zapresic, eine halbe Autostunde von Zagreb entfernt, führt er die Geschäfte der kroatischen Tochter von Messer, dem bekannten Gasehersteller aus Bad Soden. Das Unternehmen ist früh nach Kroatien gekommen. 1992, der Krieg auf dem Balkan tobte noch, kauften die Deutschen einen kroatischen Gasehersteller. „Es war die erste echte ausländische Investition in Kroatien“, erinnert sich Mustac. Heute beschäftigt Messer in Kroatien knapp 250 Mitarbeiter, die Geschäfte gehen nicht schlecht. Von Zapresic aus beliefert Mustac unter anderem den kompletten slowenischen Markt. In diesem Jahr soll der Umsatz mit Gasen wie Stickstoff, Argon und Acetylen um sechs Prozent auf 30 Millionen Euro klettern.
Wissenswertes über Kroatien
Kroatien liegt am Mittelmeer gegenüber von Italien. Das Land grenzt an Slowenien, Ungarn, Serbien und Bosnien-Herzegowina, hat eine Gesamtfläche von 56.542 Quadratkilometer, einschließlich 1.246 Inseln. Rund 4,5 Millionen Kroaten wurden zuletzt gezählt, die meisten von ihnen sind Katholiken.
Die fast 1800 Kilometer lange Küstenlinie mit zahlreichen vorgelagerten Inseln, sowie Weltkulturerbe-Stätten und Nationalparks machen Kroatien zu einem attraktiven Reiseziel. Fast zwölf Millionen Touristen zog Kroatien 2011 an, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Der Tourismussektor bildet damit ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes.
Kroatien zählt zu den 30 wasserreichsten Staaten der Welt, in Europa steht das wässrige Land gar auf Platz drei mit 32.818 Kubikmetern an erneuerbaren Wasserreserven pro Kopf und Jahr. Abgesehen von den vielen Flüssen und Seen, wird es sonst eher in der Küstenregion nass, wo die Niederschlagsmenge doppelt so hoch ist wie im Landesinneren.
Das BIP-Wachstum betrug 2011 0,2 Prozent, die Inflationsrate liegt bei 2,8 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei 11,3 Prozent. Die wichtigsten Handelsgüter Kroatiens sind Erdöl, Nahrungsmittel, Maschinen und Elektrotechnik.
Lebkuchenherzen backen. Diese süße Spezialität stammt nämlich ursprünglich aus Kroatien: seit dem 16. Jahrhundert werden die Herzen in Klöstern gebacken, verziert und zu besonderen Anlässen verschenkt.
Doch solche Erfolgsgeschichten sind eher selten in Kroatien. Der Balkanstaat, der am 1. Juli der EU beitritt, steckt in einer Dauerkrise. Um zwei Prozent ist die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr geschrumpft. Für das laufende Jahr rechnen die meisten Analysten bestenfalls mit einer Stagnation. Frühestens 2014 könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder leicht zulegen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 23 Prozent, die Auslandsverschuldung bei mehr als 100 Prozent vom BIP. Das relativ kräftige Wirtschaftswachstum Mitte des vergangenen Jahrzehnts fußte vor allem auf ausländischen Krediten, oftmals aufgenommen von staatseigenen Unternehmen.
Kroatien punktet mit Fachkräften und Infrastruktur
„Das Gute an Kroatien sind die qualifizierten Fachkräfte und die Infrastruktur“, sagt Mustac. Viel länger wird die Liste mit den Standortvorteilen allerdings nicht. Mit etwa 600 Euro monatlich muss Messer einem Arbeiter in Kroatien doppelt so viel zahlen wie in Rumänien oder Serbien. Auf Baugenehmigungen warten Investoren oft jahrelang; manchmal müssen sie die Beamten schmieren. Die Steuerlast ist hoch. Viele Investoren machen darum einen Bogen um das Land mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern.
„Sicherlich haben Kroatiens wirtschaftliche Probleme auch mit der Euro-Krise zu tun“, sagt Kevin Körner, Osteuropaexperte der Deutschen Bank in Frankfurt. So ist etwa Italien, traditionell Kroatiens wichtigster Handelspartner, als Abnehmerland fast komplett ausgefallen. Um mehr als zwei Prozent schrumpften Kroatiens Ausfuhren während der ersten neun Monate des vergangenen Jahres. Zu einem nicht unwesentlichen Teil sei die Misere aber auch hausgemacht. „Anders als andere Länder bei ihrem EU-Beitritt wird Kroatien kaum Früchte ernten können, wenn es der EU beitritt“, glaubt Körner.
Denn das neue EU-Mitglied hat tief liegende strukturelle Probleme. Bis auf ein paar Werften verfügt das Land kaum über verarbeitendes Gewerbe. Die Industrie steuert gerade mal 15 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Meggle produziert im Land Butter, Hipp hat eine Fabrik für Babynahrung. Doch in der Breite gibt es so gut wie keine Industrie. Für vier Monate im Jahr leben die Kroaten vom Tourismus, ansonsten von der Landwirtschaft.
Zu viel Bürokratie
Im Global Competitiveness Report des World Economic Forum landet das Land auf Platz 81, hinter Botswana und dem Iran. Die Rangliste von Transparency International, die die Korruption in 174 Ländern untersucht, führt Kroatien an 62. Position, hinter Kuba und Namibia. Der Doing-Business-Report der Weltbank, der prüft, wie einfach sich Firmen gründen lassen, sieht Kroatien auf Platz 84. Die Hürden: vergleichsweise hohe Löhne und Lohnnebenkosten, steigende Steuern, rigide Arbeitsgesetze und ausufernde Bürokratie. Ikea etwa will seit Jahren in der Nähe von Zagreb ein Möbelhaus bauen. Damit die Kunden den Einrichtungstempel ansteuern können, ohne Autobahnmaut zu zahlen, baten die Schweden die Regierung, die Mautstelle zu verlegen. Die Verhandlungen zogen sich mehrere Jahre hin, erst vor Kurzem willigten die Behörden ein.
Ivo Josipovic weiß um die Probleme. „Wir haben nicht unbedingt einen modernen Arbeitsmarkt“, räumt der kroatische Staatspräsident im Gespräch mit der WirtschaftsWoche ein. Auch das Investitionsklima sei verbesserungsbedürftig. „Da müssen jetzt Gesetze geändert werden, die Investitionen blockieren.“
Angst vor Reformen
Das Problem ist, dass die seit einem Jahr amtierende Mitte-links-Regierung genau wie die davor regierenden Konservativen vor Reformen zurückschreckt. Stattdessen hat Zagreb kontinuierlich den öffentlichen Sektor ausgeweitet. Statt wie von Brüssel angemahnt Staatsbetriebe zu privatisieren, legt die Politik Privatunternehmen immer neue Steine in den Weg. Mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer ist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Die Personal- und Sozialausgaben machen 75 Prozent der öffentlichen Ausgaben aus.
Zwar erfüllt Kroatien mit einer Staatsverschuldung von 57 Prozent vom BIP die entsprechende Vorgabe des Maastricht-Vertrages. Kritisch ist allerdings die private Verschuldung. Bei den Banken des Landes sind 14 Prozent aller Kredite notleidend, hat Deutsche-Bank-Experte Körner errechnet. Vor fünf Jahren waren es erst vier Prozent. Die Kroaten konsumieren auf Pump, viele haben gleich mehrere Kreditkarten. Die Kaufhäuser, Cafés und Restaurants in der Zagreber Innenstadt sind voll. Junge Leute flanieren mit Taschen internationaler Modelabels durch die Straßen.
Glaubt man Präsident Josipovic, wird bald alles besser. „In den vergangenen fünf Jahren hat Kroatien große Fortschritte gemacht“, behauptet das Staatsoberhaupt. Vom EU-Beitritt erwartet er einen Reformschub. „Ein gesunder Wettbewerb wird unsere Wirtschaft stärken“, so der Präsident.