Europäische Zentralbank Kann Weidmann EZB-Chef Draghi noch stoppen?

Mario Draghi und Jens Weidmann kämpfen beide um den Erhalt des Euro. Ihr Problem: Was der EZB-Chef für die Rettung hält, ist für den Bundesbankpräsidenten eine Katastrophe.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
"Die Krise ist über uns hineingebrochen"
„Die Finanzkrise ist wie eine Sturmflut über uns hereingebrochen. Es ist absolut sinnvoll, den Deich in seiner vollen Länge wieder zu befestigen und zu stärken.“ Der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber am 17.6.2010 bei einem Bankenkongress in Frankfurt. Quelle: dapd
„Wir sind bereits in einer sehr extremen Dehnung des europäischen Rechtes, um das mal gelinde zu sagen.“ Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark, ist von den Plänen, den Rettungsschirm ESM mit einer Banklizenz auszustatten, nicht begeistert. Für Stark wäre die Umsetzung ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht – und nicht einmal der erste. Quelle: dpa
"Die wirtschaftliche Situation im Euro-Raum ist weiterhin schwierig, aber es gibt ein paar Anzeichen für eine mögliche Stabilisierung." Gegen Ende des Jahres werde eine "sehr langsame Erholung" einsetzen. EZB-Chef Mario Draghi am 03.06.2013 auf einer Konferenz in Shanghai. Quelle: Reuters
Im Interview mit dem Handelsblatt hat Altkanzler Helmut Schmidt Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel geübt: Sie wisse über Finanzen nicht Bescheid, verfüge aber über diese. Gleichzeitig müsse der Euro nicht gerettet werden - er sei prima. Meinung nach müsse Deutschland den enormen Zahlungsbilanzüberschuss abbauen, den Deutschland in jedem Jahr aufgrund seiner hohen Exporttätigkeit ausweist. Dies solle durch die Anhebung der Löhne und Gehälter geschehen. Quelle: dpa
„Wenn die EZB so weitermacht, kauft sie bald auch alte Fahrräder auf und gibt dafür neues Papiergeld heraus.“Der FDP-Finanzpolitiker Frank Schäffler am 9.8.2011 auf „Handelsblatt Online“ zu den umstrittenen Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank. Quelle: dapd
Der US-Haushaltsstreit könnte sich nach Ansicht des Ökonomen Thomas Straubhaar verheerend auf die globale Konjunktur auswirken und die Euro-Krise wieder anheizen. Der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) sagte der Zeitung "Die Welt" (Montagausgabe) zufolge, er erwarte, dass US-Präsident Barack Obama die Schuldenobergrenze brechen müsse, weil es keine Einigung zwischen Demokraten und Republikanern geben werde. "Dies wird dramatische Konsequenzen für die Finanzmärkte haben. In den USA wird es zu Nachfrageausfällen kommen, die sich dann auf die gesamte Weltwirtschaft übertragen", führte Straubhaar aus. Im Sog steigender Zinsen für US-Schuldpapiere müssten auch Euro-Krisenländer Investoren mehr für die Aufnahme neuer Schulden bieten, wird er zitiert. "Alle Sparanstrengungen in Südeuropa würden konterkariert. Es bestünde die große Gefahr, dass die Euro-Krise zurückkehrt." Quelle: dpa
EZB-Chef Mario Draghi denkt angesichts der tiefen Rezession in der Euro-Zone über eine weitere Zinssenkung nach und fasst dabei auch unkonventionelle Maßnahmen ins Auge. Die EZB habe im vorigen Jahr mit der Ankündigung eines Staatsanleihen-Ankaufprogramms stabilisierend gewirkt und könne noch mehr tun, betonte Draghi laut Redemanuskript in Jerusalem. "Es gibt eine Reihe anderer Maßnahmen - seien es solche der orthodoxen Leitzinspolitik oder auch unkonventionelle - die wir anwenden können und sie auch anwenden werden, falls die Umstände es erfordern." Quelle: dpa

Für den Bruchteil einer Sekunde entsteht der Eindruck, die Situation entgleite ihnen gleich. Jens Weidmann hat sich Mario Draghi bis auf wenige Zentimeter genähert, beide blicken unschlüssig um sich, ihre Arme hängen herab. Stimmen werden gesenkt, Gesichter wenden sich in Richtung des Geschehens. Dann streckt Weidmann die Hand aus. Arm in Arm gehen sie in eine Ecke und vertiefen sich in ein Gespräch.

Eine Umarmung in der Öffentlichkeit kann von der besonderen Intensität einer Beziehung zwischen zwei Menschen erzählen. Sie kann aber auch eine demonstrative Geste sein: wenn eine Fassade aufrechterhalten werden muss, hinter der längst nichts mehr zu retten ist.

Insofern ist die kleine Begebenheit, die sich vor einiger Zeit am Rande eines Abendempfangs in Frankfurt zutrug, von einigem Interesse. Denn wie gut der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Chef der Deutschen Bundesbank miteinander auskommen, könnte über die Zukunft Europas entscheiden.

Prinzipienfrage zwischen Draghi und Weidmann

Die Krise hat eine Phase erreicht, in der Regierungserklärungen und Manifeste der Opposition niemanden mehr beeindrucken. In der der Gang der Ereignisse nicht mehr von den Beschlüssen der Politiker in Paris, Berlin oder Rom abhängt. Sondern davon, was die Notenbanker tun.

Sie sind die Einzigen, die jetzt kurzfristig noch frisches Geld aufbieten können. Am vergangenen Donnerstag beschloss die EZB, die Anleihen der Krisenstaaten aufzukaufen, um die hohen Zinsen im Süden Europas zu drücken, die der Wirtschaft dort das Leben schwer machen. Alle anwesenden Mitglieder des Zentralbankrats - des Beschlussorgans der Notenbank - stimmten zu. Bis auf Weidmann.

Die Auseinandersetzung zwischen Jens Weidmann und Mario Draghi reicht in ihrer Bedeutung weit über einen Methodenstreit in der Welt der Zentralbanken hinaus. Es geht um die Frage, welche Prinzipien der Währungsunion zugrunde liegen und ob überhaupt noch Prinzipien gelten. Um die Frage also, wie weit Europa gehen darf, um den Euro zu retten.

Der Instrumentenkasten der EZB

Für die Antwort bleibt nicht mehr viel Zeit. In diesen Tagen wurde bekannt, dass große Konzerne ihr Geld aus dem Euro-Raum abziehen.

Was so eine Situation für die Politik bedeutet, darüber streiten die Experten, seit die Schweden Mitte des 17. Jahrhunderts erstmals auf die Idee kamen, einer Bank das Recht einzuräumen, Papiergeld auszugeben. Soll sie davon ausgiebig Gebrauch machen, um die Krise einzudämmen? Oder soll sie sich zurückhalten? So rabiat wie derzeit in Europa aber ging es selten zur Sache - und das hat etwas mit den handelnden Personen und Institutionen zu tun.

Gemeinsamkeiten und Gegensätze

Die zehn größten Euro-Lügen
Ex-EZB-Chef Jean-Claude Trichet Quelle: dpa
Wolfgang Schäuble Quelle: dpa
Giorgios Papandreou Quelle: dpa
Wolfgang Schäuble Quelle: dapd
Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker Quelle: dapd
Angela Merkel mit Draghi Quelle: dapd
Mariano Rajoy Quelle: REUTERS

Auf der einen Seite: Jens Weidmann, der langjährige Wirtschaftsberater der Kanzlerin. Seit einem guten Jahr ist er Präsident der Bundesbank, jener Währungsbehörde, die wie vielleicht keine andere öffentliche Einrichtung in Deutschland für Stabilität und Solidität steht.

Wenn Weidmann in München, Düsseldorf oder Berlin unterwegs ist, dann fragen die Menschen, wann denn endlich Schluss sei mit dem ewigen Retten.

Wenn der Euro scheitern und die D-Mark wieder eingeführt werden sollte, dann wäre Weidmann noch einflussreicher als jetzt, und die Bundesbank hätte ihre alte Machtfülle zurück.

Auf der anderen Seite: Mario Draghi, ehemaliger Generaldirektor im italienischen Finanzministerium und Vizepräsident der Investmentbank Goldman Sachs, ausgebildet an amerikanischen Eliteuniversitäten, wo traditionell ein recht lockerer Umgang mit dem Geld der Zentralbanken gelehrt wird.

Wenn Mario Draghi in New York, London oder Tokio unterwegs ist, dann fragen ihn die Investoren, wann Europa endlich Ernst mache mit dem Retten.

Wenn der Euro scheitern sollte, dann wäre Draghi seinen Job los, und die Europäische Zentralbank würde abgewickelt.

Bundesbank in alter Herrlichkeit

Die Geschichte von dem sturen Deutschen und dem biegsamen Italiener ist einfach zu gut, als dass sie nicht erzählt würde. Es sei doch auffällig, dass Draghi immer dann aktiv werde, "wenn es in Italien mal wieder eng wird", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt am vergangenen Freitag. Und hat der Italiener nicht auf eine Abstimmung mit Jens Weidmann verzichtet, als er seine Rettungsabsichten vorvergangene Woche auf einer Investorenkonferenz in - ausgerechnet - London erstmals öffentlich machte?

Es sei doch klar, dass Weidmann der Bundesbank wieder zur "alten Herrlichkeit" verhelfen wolle, sagte dieser Tage ein europäischer Notenbanker. Hat sie nicht zwei Tage vor der Sitzung des Zentralbankrats ein Gespräch mit Helmut Schlesinger über die Rolle der Notenbanken auf ihre Website gestellt? Ausgerechnet Schlesinger, der wie kein Zweiter für monetäre Arroganz der Deutschen steht, weil er als Bundesbankchef in den neunziger Jahren ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage im Rest Europas die Zinsen in Deutschland erhöhte. In der Folge floss Kapital aus Italien und Frankreich ab, und die dortigen Währungen kamen ins Trudeln.

Aber stimmt die Geschichte von den beiden gegensätzlichen Bankern auch?

Köln, im September 2011. Jens Weidmann steht auf einer kleinen Bühne im Barcelo-Hotel, vor sich ein 23-seitiges Redemanuskript. Der Verband der Familienunternehmer hat ihn eingeladen. Die Familienunternehmer sind die freien Radikalen der deutschen Wirtschaft. Sie haben eine Allianz gegen den Rettungsschirm ESM ins Leben gerufen und fordern eine "ordnungspolitische Weichenstellung" auf dem Kontinent. Es ist nicht der Ort, um mit Europa zu punkten. Aber genau das versucht Weidmann. Er macht sich für die "Übertragung von finanzpolitischen Kompetenzen auf die europäische Ebene" stark - und schließt in einem zweiten Schritt die "Vergemeinschaftung bestehender Schulden" nicht aus.

Es droht ein Desaster

Wo die Schuldenländer schon Erfolge erzielen
Griechenland: Die Lohnstückkosten sinkenStillstand in Griechenland? Nicht ganz. Bei der Sanierung der Staatsfinanzen hat Athen durchaus Erfolge vorzuweisen: Um sechs Prozentpunkte vom Bruttoinlandsprodukt wurde das Haushaltssaldo in nur zwei Jahren verbessert. Eine solche Konsolidierungsleistung hat kein anderes Euro-Land geschafft. Und im ersten Halbjahr liegt Griechenland beim Defizitabbau sogar vor dem Plan. Auch dem Ziel, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, kommt das Land näher: Die Lohnstückkosten sind seit 2009 rückläufig. Aber bei den Strukturreformen, die für eine international konkurrenzfähige Wirtschaft zumindest ebenso bedeutend sind, bleibt noch viel zu tun.
Zwar hat das griechische Parlament seit 2010 Dutzende von Reformgesetzen verabschiedet. Aber es hapert bei der Umsetzung, weil die zuständigen Ministerien die notwendigen Durchführungsbestimmungen schuldig bleiben. Das geschieht weniger aus Nachlässigkeit als gezielt, um die Reformen zu hintertreiben. Denn die Politiker scheuen immer noch die Konfrontation mit den Kartellen, Gewerkschaften und Zünften, die sich gegen eine Deregulierung der Wirtschaft sträuben, weil sie sich dann dem Wettbewerb stellen müssten. Ein Beispiel: Die Öffnung der "geschlossenen Berufe", Hunderter Tätigkeiten, deren Ausübung strikt reglementiert ist, wie der Rechtsanwaltsberuf. Weil die Anwälte im Parlament stark vertreten sind konnten sie die Liberalisierung für ihren Berufsstand bisher verhindern. Manche Reformen ist Griechenland seit über einem Jahr schuldig geblieben. Die Wahlen vom Frühsommer haben das Land weiter in Verzug gebracht. Umso energischer drängen jetzt die Delegationschefs der Troika in Athen darauf, bei den Reformen endlich Gas zu geben.Text: Gerd Höhler, Athen
Italien: Die Erfolge sind sichtbarDie Technokraten-Regierung von Mario Monti hat in Italien innerhalb von neun Monaten mehr Reformen durchgesetzt als Silvio Berlusconi in allen seinen Legislaturperioden zusammen. Gleich nach seinem Amtsantritt im November hatte Monti noch vor Weihnachten das Maßnahmenpaket "Salva Italia" (Rette Italien) durchgepaukt, das jährlich Mehreinnahmen von 26 Milliarden Euro bringen soll. Zudem beschloss das Kabinett innerhalb kürzester Zeit eine Rentenreform, die das früher sehr großzügig ausgestaltete Rentensystem für die kommenden Jahrzehnte auf sichere Beine stellen soll. Es folgten zaghafte Liberalisierungen einiger Berufsstände und schließlich die große Arbeitsmarktreform im Frühsommer: Sie setzt auf mehr Flexibilität bei Einstellungen, ermöglicht aber auch ein leichteres Kündigen.
In Italien, wo die Arbeitslosigkeit im Juni mit 10,8 Prozent auf ein neues Rekordhoch seit 2004 stieg, ist der Arbeitsmarkt bislang zweigeteilt: Während sich ältere Angestellte meist über fast unkündbare Arbeitsverhältnisse freuen können, hangeln sich viele junge Menschen oft von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Diese befristeten Verträge liefen in der Krise einfach aus. Diese Zweiteilung soll durch die Reform überwunden werden. Um die ausufernden Staatsausgaben zu drosseln, hat Monti (rechts) eigens den Parmalat-Sanierer Enrico Bondi als Spar-Kommissar an Bord geholt. Er sollte alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Das Ergebnis: 26 Milliarden Euro sollen innerhalb von drei Jahren eingespart werden. Die Ausgabenkürzungen sind wichtig, da die Regierung nicht ohne Grund in der Kritik steht, bisher vor allem durch Steuererhöhungen den Haushalt saniert zu haben.Text: Katharina Kort, Mailand Quelle: dpa
Portugal: Auf dem rechten WegPortugal macht alles richtig - aber die Euro-Schuldenkrise und die Abhängigkeit von Spanien bergen weiter Risiken. So begründete die Ratingagentur Standard & Poor's den negativen Ausblick für das Land. Ähnlich war der Tenor im Juli bei der vierten Überprüfung des Kreditprogramms durch die Troika. Die portugiesische Regierung unter Premier Pedro Passos Coelho hat in einem Jahr enorm viel erreicht. Steigende Exporte und fallende Einfuhren brachten das Handelsdefizit fast ins Gleichgewicht, das Haushaltsdefizit schrumpfte von fast zehn auf 4,2 Prozent Ende 2011. Auch 2012 sei ein Defizit von 4,5 Prozent machbar, meint die Troika.
Die Arbeitsgesetzgebung wurde reformiert, Arbeitszeit und Löhne wurden flexibilisiert, die Kündigungskosten gesenkt. Nun soll die Regierung auf Geheiß der Troika eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge prüfen, um die Beschäftigung zu beleben. Bis September muss Premier Passos Coelho (im Bild zu sehen) zudem die Lohnverhandlungen weiter flexibilisieren. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde teilweise umgesetzt, ein neues Wettbewerbsrecht verabschiedet, diverse Berufe wurden liberalisiert. Der Mietmarkt mit extrem niedrigen fixen Mieten und entsprechend verfallenen Gebäuden wurde dereguliert, eine Reform des teuren, trägen Rechtssystems ist angeschoben. "Wir glauben, dass all diese mikroökonomischen Reformen dazu beitragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Produktivität statt durch sinkende Löhne verbessert wird", urteilt S&P. Immerhin lag der durchschnittliche Stundenlohn in Portugal mit 12,10 Euro Ende 2011 bereits 41 Prozent unter Spanien.Text: Anne Grüttner, Madrid
Spanien: Das Sparpaket ausgeweitetSpaniens Premier Mariano Rajoy gönnt sich derzeit ein paar Tage Urlaub in seiner Heimat Galizien. Kurz zuvor brach er ein bis dahin geltendes Tabu. Auf die stets eisern verneinte Frage, ob er den EU-Rettungsfonds in irgendeiner Weise anzuzapfen gedenke, antwortete Rajoy nun: "Ich habe keine Entscheidung getroffen, ich werde tun, was im allgemeinen und im spanischen Interesse ist." Er wolle zunächst alle Bedingungen kennen. Rajoy gab damit den Ball an EZB-Chef Mario Draghi zurück, der klargemacht hatte, die bedrängten Südländer müssten zunächst die Anleihekäufe des EFSF aktivieren, bevor die EZB den Rettungsfonds mit eigenen Maßnahmen unterstützen könne.

Der Bundesbankpräsident als Wegbereiter für die Vereinigten Staaten von Europa - das passt so gar nicht zum Bild des gestrengen Währungsideologen. Auch Jens Weidmann weiß, was auf dem Spiel steht. Seine Leute haben versucht, die Kosten eines Zusammenbruchs der Währungsunion abzuschätzen. Das Ergebnis: Es droht ein Desaster, für Deutschland und ganz Europa.

Wenige Tage später hat auch Draghi einen großen Aufritt. Er hat sich dafür einen Festakt der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Berlin ausgesucht. An der Wand ein überlebensgroßes Foto von Ludwig Erhard, im Publikum Mittelständler und Koalitionspolitiker. So stellt man sich als italienischer Notenbanker wahrscheinlich die Höhle des Löwen vor.

Draghi lässt die Einführungsworte von Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser über sich ergehen. Als er an der Reihe ist, warnt er davor, die Krise durch billiges Geld der Notenbank lösen zu wollen. Vielleicht war das nur so dahingesagt, um die Vorbehalte der Deutschen gegen einen Italiener an der Spitze der Notenbank auszuräumen, aber Draghi lässt seinen Worten Taten folgen. Ein noch von seinem Vorgänger angeordnetes Anleiheankaufprogramm legt er nach Amtsantritt auf Eis, zur Politik hält er in den ersten Wochen seiner Amtszeit bewusst Distanz. Die Bild- Zeitung setzt Draghi in einer Fotomontage eine Pickelhaube auf. Weil er "so deutsch" sei.

Uneinigkeit über den Weg zur stabilen Währungsunion

Selbst jetzt, auf dem Höhepunkt der Krise, schreckt der Italiener vor bedingungslosen Hilfsleistungen zurück, die an den Finanzmärkten wahrscheinlich einen maximalen Effekt erzielen würden. Wenn ein Land die Unterstützung der EZB in Anspruch nehmen will, muss es nach dem neuen Plan der Notenbank vorher einen genehmigten offiziellen Hilfsantrag bei der EU vorweisen und seine Haushalte überwachen lassen.

Die Maßnahmen der Notenbanken gegen die Krise

Dieses Junktim soll sicherstellen, dass die Aussicht auf das Geld der Notenbank nicht dazu führt, dass die Regierungen das Reformieren einstellen. Und es soll gewährleisten, dass die Technokraten in den Geldtürmen nicht allein darüber entscheiden, ob ein Land gerettet wird. Denn auch für die Risiken, die die Zentralbank eingeht, muss am Ende der Steuerzahler aufkommen - nur dass die unabhängigen Zentralbanker anders als gewählte Politiker nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.

Es ist der Versuch, demokratische Legitimität und ökonomische Effizienz in Einklang zu bringen. Und es ist eine Enttäuschung für die Südeuropäer im Zentralbankrat, die sich für Käufe ohne Auflagen ausgesprochen hatten.

Es gibt zwischen Mario Draghi und Jens Weidmann wahrscheinlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Doch in dieser Phase der Krise zählen die Unterschiede mehr. Beide sind der Auffassung, dass sich eine Zentralbank darauf beschränken sollte, die Inflation zu bekämpfen. Beide wollen die Währungsunion erhalten. Für beide heißt das: mehr Reformen und mehr Europa. Aber über den Weg dorthin sind sie sich uneinig - und auf diesen Weg kommt es jetzt an.

Vergebliche Suche nach dem Kompromiss

Draghi glaubt, dass sich politische Prozesse kontrollieren lassen. Wenn die Regierungen nicht mehr können, springt die Notenbank ein, auch wenn das eigentlich so nicht vorgesehen war. Ist das Problem gelöst, zieht sie sich wieder zurück. Weidmann fürchtet, dass alles ins Rutschen gerät, wenn die Notenbank einmal nachgegeben hat. Deshalb bleibt er hart, auch wenn die Konsequenz daraus ist, dass Länder die Währungsunion verlassen müssen.

Wie viel Prinzipientreue verträgt Europa, und wie viel Pragmatismus erträgt es - das ist die Frage im Endspiel um den Euro.

Fieberhaft suchten die beiden am vorvergangenen Montag in einem Gespräch unter vier Augen nach einer Kompromisslinie - vergeblich. Drei Tage später versuchten mehrere Ratsmitglieder, Weidmann noch umzustimmen. Sie verwiesen darauf, dass auch die Bundesbank in den siebziger Jahren öffentliche Anleihen aufgekauft hatte - damals, um die Zinsen für die deutsche Wirtschaft zu senken. Draghis ursprünglicher Plan wurde sogar noch einmal abgeschwächt. Weidmann blieb bei seinem Nein.

Mario Draghi und Jens Weidmann haben sich geschworen, die Stabilität der Währungsunion zu erhalten. Weidmann meint damit vor allem die Stabilität der Währung, Draghi die Stabilität der Union. Beide werden sie ihre Anhänger enttäuschen müssen.

Ein Fall für zwei

Als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) ist Mario Draghi der oberste Währungshüter in Europa. Das bedeutet aber nicht, dass er allein das Sagen hätte. Alle wichtigen geldpolitischen Entscheidungen werden vom Zentralbankrat getroffen. Nötig ist dazu in der Regel eine einfache Mehrheit. Der Rat setzt sich aus den sechs Mitgliedern des Direktoriums der EZB zusammen, dem aus Deutschland der frühere Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen angehört. Außerdem sind in ihm die 17 Präsidenten der nationalen Notenbanken der Euro-Staaten vertreten. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat formal nur eine Stimme wie seine Kollegen aus Malta oder Österreich. Tatsächlich aber ist sein Einfluss als Chef der wichtigsten Notenbank größer.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%