Europawahl Darum wähle ich "Die Partei"

Bei der Europawahl am 25. Mai kommt für mich nur eine Partei in Frage: "Die Partei". Die obskure Splitterorganisation um Ex-Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn ist das Beste, was der EU passieren kann.

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Wer in Europa mitreden will
Jean-Claude Juncker Quelle: dapd
Martin Schulz Quelle: dpa
David McAllister Quelle: dpa
Rebecca Harms Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms, ist die Spitzenkandidatin der deutschen Grünen für die Wahl zum Europa-Parlament im Mai. Die 57-Jährige setzte sich beim Parteitag der Grünen in Dresden mit 477 Stimmen gegen die weithin unbekannte Europa-Abgeordnete Franziska (Ska) Keller durch, die 248 Stimmen erhielt. Keller hatte ihre Kandidatur für den ersten Platz der deutschen Grünen bekanntgegeben, nachdem die 32-Jährige bei einer Internet-Abstimmung über die Spitzenkandidaten der europäischen Grünen überraschend mehr Stimmen als Harms erhalten hatte. "Mir ist sehr bewusst, dass ich schon weit über 30 bin, aber ich bin immer noch die Gorleben-Aktivistin und ich will immer noch die Welt verändern", schloss Harms ihre Bewerbungsrede unter Anspielung auf die Atomkraftgegner in der Region um das ursprünglich in Gorleben geplante Atommülllager. Quelle: dpa
Bernd Lucke Quelle: REUTERS
Alexander Graf Lambsdorff  Quelle: dpa
Guy Verhofstadt Quelle: REUTERS

Ich meine es ernst: Diesmal wähle ich Spaßpartei. Meine Stimme bei der Europawahl am kommenden Sonntag bekommt "Die Partei". Eine obskure Splitterpartei, der politische Arm des Satiremagazins Titanic, angeführt von Spitzenkandidat Martin Sonneborn, dem früheren Titanic-Chefredakteur.

Ein Scherz?

Ganz und gar nicht. Ich setze darauf, dass "Die Partei" die Europäische Union rettet.

Mit Spaß und Spesen

Niemand ist für diese Herkulesaufgabe besser geeignet als Sonneborn. Immerhin hat er für die Rettung der Welt schon einen Grimme-Preis eingeheimst. Nun also die EU. "Auch wenn die Aufgabe unmöglich zu bewältigen scheint, wir haben nach der Rettung der Welt einfach neue, größere Herausforderungen gesucht", schreibt Sonneborn der WirtschaftsWoche auf Anfrage. Er hat einen ausgeklügelten Plan. "EU-Rettung mit Spaß und Spesen" nennt Sonneborn das Vorhaben.

Wenn Europa wählt...
1053 Kandidaten für EuropaBei der Europawahl am 25. Mai 2014 bewerben sich insgesamt 1053 Kandidatinnen und Kandidaten um die der Bundesrepublik Deutschland zugewiesenen 96 Parlamentssitze. Einer von ihnen und gleichzeitig Spitzenkandidat für die CDU ist er ehemalige niedersächsische Ministerpräsident David McAllister. Quelle: dpa
327 FrauenNicht mal ein Drittel von diesen 1053 Kandidaten, nämlich 327, sind Frauen. Eine von ihnen ist Ulrike Müller, Kandidatin für die Freien Wähler. Vor drei Wochen hat die Partei ihr Europawahlprogramm verabschiedet. Quelle: dpa
Appell des BundeswahlleitersDer Bundeswahlleiter Roderich Egeler rief alle Bürgerinnen und Bürger auf, an der Europawahl am 25. Mai 2014 teilzunehmen. Er betonte die besondere Bedeutung der Europawahl für die Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger auf politische Entscheidungen in der Europäischen Union. Quelle: dpa
24 Parteien treten anDie Wahl erfolgt als Verhältniswahl, das heißt, die Zahl der in Deutschland zu vergebenden Sitze wird ausschließlich aufgrund der auf die Listen der Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen entfallenden Stimmanteile ermittelt. Bei der Europawahl 2014 treten insgesamt 25 Parteien (hier SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz) und sonstige politische Vereinigungen mit gemeinsamen Listen für alle Bundesländer beziehungsweise mit Listen für einzelne Länder an. Die Stimmzettel enthalten in jedem Bundesland 24 Wahlvorschläge. Quelle: dpa
Knackpunkt Wahlbeteiligung Bei der jüngsten Europawahl 2009 lag die Wahlbeteiligung in Deutschland bei 43,3 Prozent und damit ganz knapp über dem EU-Durchschnitt (43,0 Prozent). Die niedrigste Wahlbeteiligung verzeichneten die Wahlen in der Slowakei mit nur 19,6 Prozent. Auf mehr Interesse war die Wahl dagegen in Dänemark gestoßen: 2009 wählten mit 59,5 Prozent sogar 11,7 Prozent mehr als bei der vorangegangenen Wahl. Nicht zuletzt deswegen setzen die Parteien auf bekannte Gesichter und länderübergreifend gemeinsame Kandidaten: Hier beglückwünscht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Spitzenkandidaten der konservativen Parteien in Europa, Jean-Claude Juncker. Quelle: dpa
430 DolmetscherAlle wollen ins Europaparlament, hier der Kampagnenplan für Martin Schulz. Im EU-Parlament kommen 24 Amtssprachen zum Einsatz. Jeder Abgeordnete kann sich aussuchen, in welcher der Amtssprachen er sich äußern möchte. Die parlamentarischen Unterlagen werden in allen Amtssprachen veröffentlicht. 430 verbeamtete Dolmetscher arbeiten beim EP, hinzu kommt eine Reserve von etwa 2500 externen Dolmetschern. Quelle: dpa
Wahlleiter wirbt für Info-BroschüreNähere Informationen zu den zugelassenen Wahlvorschlägen und den zur Wahl stehenden Bewerbern und deren Ersatzbewerbern gibt es in dem vom Wahlleiter präsentierten Sonderheft „Die Wahlbewerber für die Wahl zum Europäischen Parlament aus der Bundesrepublik Deutschland 2014“ (kostenloser Download ). Es beinhaltet unter anderem ein Namensverzeichnis sowie zusammenfassende Übersichten, etwa zum Frauenanteil, zum Alter und zu den Berufsgruppen der Kandidaten (hier der Grünen-Spitzenkandidat Sven Giegold). Quelle: dpa

Was das bedeutet, ist klar: "Wir melken die EU fast wie einer dieser kleinen südeuropäischen Staaten!" 60 Kandidaten hat die "Die Partei" – mit vollem Namen "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative" – auf ihre Liste gesetzt. Mit einem einzigen Parlamentssitz wären die Satiriker allerdings schon zufrieden: Sie planen eine Sitzrotation, bei der jeder Abgeordnete nach einem Monat zurücktritt und Platz macht für den nächsten auf der Liste.

"Jeden Monat kann sich also jemand anders Brüssel aus der Nähe ansehen", sagt Sonneborn, "außerdem kommen so 60 Parteimitglieder in den Genuss der rund 30.000 Euro, die man in Brüssel ausgeben muss." Für Bürokosten etwa und Mitarbeiter. Und auch die Übergangsgelder für ausgeschiedene Abgeordnete sollen in die Höhe schnellen.

Die Ein-Prozent-Hürde

Um den Plan in die Realität umsetzen zu können, ist am Sonntag etwa ein Prozent der Stimmen nötig. So viel braucht es für einen Sitz im Europaparlament, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar die Drei-Prozent-Hürde gekippt hat. Meine Stimme bekommt die Partei.

Nicht aus Protest. Auch nicht aus Politik- oder Europaverdrossenheit. Okay, die EU zu retten ist vielleicht ein bisschen zu viel verlangt. Doch ich glaube, dass die Partei, die mit einem Sitz im Europaparlament vertreten ist, das Beste ist, was Europa passieren kann.

Konsequente Absurdität

Wahlumfragen deuten darauf hin, dass diverse rechtspopulistische Parteien den Einzug in das Europaparlament schaffen werden. Die sind eine unangenehme Herausforderung für die etablierten Parteien. Ignorieren ist keine Alternative, eine sachliche Auseinandersetzung kaum möglich. Das Beispiel der NPD in mehreren ostdeutschen Landtagen hat gezeigt, wie schwer sich die etablierten Parteien tun, mit Vertretern extremer Parteien in Parlamenten umzugehen.

Das Europawahl-Programm der Parteien

Satire als Bereicherung

Nichts jedoch ist besser geeignet, Radikale zu entlarven und zur Selbstentblößung einzuladen als Satire. Die "Partei", wenn sie den Einzug schafft, wird schon aus diesem Grund eine Bereicherung für das Europaparlament sein. Sonneborn versichert schon mal glaubhaft: "Es macht mich untröstlich, dass wir nicht die Verrücktesten sein würden in Brüssel."

Das will etwas heißen, denn sein 14-Punkte-Programm für die Europawahl ist zwar einerseits klar wirtschaftsorientiert, folgt aber andererseits ordnungspolitisch der Maxime der konsequenten Absurdität.

Managergehälter will die Sonneborn-Truppe auf das 25.000-Fache eines Arbeiterlohns begrenzen, sie will diverse Mauern – etwa um die Schweiz – errichten, um die Auswüchse der Globalisierung und unkontrollierte Geldströme einzudämmen, das Freihandelskommen mit den USA mit einem "Komitee für antiamerikanische Umtriebe" bekämpfen. Eine Faulenquote von 17 Prozent in Führungspositionen soll auch eingeführt werden, wobei wenigstens 20, vielleicht aber auch 40 Prozent der Faulen Frauen sein sollen.

Die härtesten Attacken im Europa-Wahlkampf
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber kritisiert, dass Schulz sich angesichts der vielen ertrunkenen Afrikaner im Mittelmeer für eine großzügigere Aufnahme von Bootsflüchtlingen ausspricht: „Die Schlepperbanden in Afrika haben damit einen Geschäftsführer bekommen“, sagte Ferber. Schulz zeigte sich empört und forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, polemische Kritik von Unionspolitikern an ihm zu unterbinden. „Frau Merkel sollte ihre Parteifreunde endlich einmal zurückpfeifen“, sagte Schulz. „Immer wenn die Rechte nervös wird, versucht sie, aus Sozialdemokraten Vaterlandsverräter zu machen.“ Quelle: dpa
Auch der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer übte lautstark Kritik an dem SPD-Mann und seinen Vorstellungen zur Euro-Krisenpolitik: „Die Fassade und die Person stammen aus Deutschland, aber die Stimme und die Inhalte stammen aus den Schuldenländern.“ Quelle: dpa
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi warf Seehofer daraufhin vor, diffamierende Attacken auf den Koalitionspartner SPD zu billigen. „Wie verzweifelt muss die CSU sein, dass sie im Europawahlkampf jetzt in persönliche Beleidigungen verfällt“, sagte Fahimi. „Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer findet es völlig "in Ordnung", den Spitzenkandidaten der SPD zur Europawahl, Martin Schulz, als Menschenhändler und Schlepper zu beschimpfen“, kritisierte sie. Das sei ein Zeichen fehlenden Anstands. „Ich bleibe dabei: Die CSU betreibt in diesem Europawahlkampf das Geschäft der Rechtspopulisten in Deutschland“, sagte Fahimi. Quelle: dpa
Auch andere Parteien liefern sich einen Schlagabtausch. Der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahlen, Alexander Graf Lambsdorff, warnte seine Parteifreunde vor einem Siegeszug populistischer Kräften. AfD, Linkspartei oder CSU-Vize Peter Gauweiler schwadronierten herum und verharmlosten Russlands Völkerrechtsbruch auf der Krim, sagte er beim Parteitag der FDP vor den etwa 660 Delegierten. „Hier wird die Axt an den Frieden in Europa gelegt. Wer solche Dinge behauptet, hat in Europa nichts zu suchen.“ Äußerungen von Parteichef Bernd Lucke entlarvten die AfD als „politische Geisterfahrer“. Quelle: dpa
AfD-Kandidat Hans-Olaf Henkel konterte: „Angesichts der schlechten Umfragewerte für ihre Partei gehen dem noch verbliebenen Spitzenpersonal der FDP nun die Nerven durch, anders sind die unqualifizierten Angriffe auf die AfD, ihre Mitglieder und Sympathisanten nicht mehr zu erklären.“ Und weiter: „Für ehemalige Mitglieder und Anhänger der FDP ist es nur noch peinlich anzusehen, wie der Neffe von Otto Graf Lambsdorff versucht, in den für ihn viel zu großen Schuhen seines Onkels zu laufen. Dass die FDP-Spitze so ihren verstorbenen Vorsitzenden zum Kronzeugen ihrer Euro-und Europapolitik machen will, sagt alles über den derzeitigen Zustand dieser einstmals liberalen Partei.“ Quelle: dpa

Es ist allerdings völlig irrelevant, was die Partei in ihr Wahlprogramm schreibt – das wahre Programm lautet: Provokation.

Das allein führt vielleicht noch nicht zu besseren politischen Entscheidungen, auf jeden Fall aber zu mehr Aufmerksamkeit. Gerade bei jüngeren Menschen, gerade bei denjenigen, die sich sonst wenig bis gar nicht für das Europaparlament interessieren. Und mit schlagzeilenträchtigen Aktionen der Partei könnte fest kalkuliert werden, wenn der Einzug ins Parlament gelingen sollte. Sonneborn ist ein Meister-Provokateur, er beherrscht den großen Aufschlag.

Das ZDF etwa reizte er mit einem Wahlwerbespot so sehr, dass der Sender die Ausstrahlung verweigerte. Der Grund: Schleichwerbung für das Magazin Titanic und Verletzungen der Persönlichkeitsrechte von Ex-Papst Benedikt XVI. sowie von ZDF-Moderator Markus Lanz. Der Spot wurde zwar nicht ausgestrahlt, eine Niederlage war das jedoch mitnichten – denn die Berichterstattung über den Zoff mit dem Zweiten brachte der Partei weit mehr Aufmerksamkeit ein als es der Fernsehspot selbst vermocht hätte, von Spiegel Online über den Tagesspiegel bis n-tv.

Moderne Turbosatire

Provokationen haben noch eine weitere Funktion: Sie können Reizpunkte setzen, den politischen Betrieb aufmischen, Institutionen und Politikern den Spiegel vorhalten, sie aus Routinen herausreißen – und Debatten anstoßen. Auch dafür ist die "Partei" in Brüssel überaus brauchbar.

Aber: Darf man eine Spaßpartei überhaupt so ernst nehmen?

"Wenn Sie die Alternativen betrachten, fürchte ich, bleibt Ihnen gar keine andere Wahl", sagt Sonneborn, warnt aber davor, "die Wirkungsmöglichkeiten moderner Turbosatire" zu überschätzen. "Vergessen Sie nicht, wir sind destruktiv tätig."

Doch es braucht keinen Verweis auf Schumpeter um darzulegen, warum Sonneborns subversiv-zerstörerische Tätigkeit auch schöpferisch-konstruktive Potenziale in sich trägt.

Wer jedenfalls im Fernsehduell beobachten musste, wie die Spitzenkandidaten Martin Schulz von den Sozialdemokraten und Jean-Claude Juncker von den Christdemokraten auf Kuschelkurs gingen, der wünschte den beiden schon aus ihrem eigenen Interesse einen Störenfried wie Sonneborn in die Runde, um ein bisschen Feuer in die Debatte zu bringen.

Viele Floskeln

Die Programme der großen Parteien wecken auch nicht viel mehr Begeisterung und Leidenschaft für die EU. Sie enthalten manche gute Idee, aber vor allem jede Menge Floskeln. „Europa eine neue Richtung geben“, hat die SPD über ihr Programm geschrieben, "Gemeinsam erfolgreich in Europa" die CDU.

Niemand nimmt das so gekonnt aufs Korn wie Martin Sonneborn. "Inhalte überwinden" lautet eine Forderung der Partei, die Sonneborn so erklärt: "Ich glaube nicht, dass wir inhaltsleerer und populistischer sind als andere Parteien. Wir sind die modernste und populistischste aller Parteien."

Das ist Satire von ihrer besten Seite.

Kurt Tucholsky schrieb einmal: "Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird."

Genau das ist die Mission, für die ich der Partei meine Stimme geben werde. Übertreiben, ungerecht sein, provozieren. Dafür wähle ich diesmal Spaßpartei.

Ganz im Ernst.

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