Weil kein Bewerber auf Anhieb in der ersten Wahlrunde eine absolute Mehrheit erreichen wird, werden sehr wahrscheinlich Kooperationen in Form von Empfehlungen für die Stichwahl und dann eine Koalitionsregierung notwendig sein. So zerstritten, wie sich die französische Linke momentan zeigt, ist es nur schwer denkbar, wie eine Zusammenarbeit möglich werden soll. „Der Graben zwischen der radikalen und der populistischen Linken, aber auch den Grünen einerseits und den Sozialisten andererseits ist zu groß“, sagt Schild.
Frankreich leidet unter einem strukturellen Schulden-Problem. Schon seit vielen Jahren verletzt das Land die Drei-Prozent-Defizitgrenze des Stabilitätspaktes deutlich. Brüssel hat es mehrfach verpasst wirklich nachdrücklich zu rügen. Im Gegenteil: Die EU-Kommission gewährt der französischen Regierung wiederholt Aufschub. In diesem Jahr will Frankreich die Defizitgrenze zum ersten Mal einhalten. Ob das gelingt, bleibt fraglich. Viele Experten gehen davon aus, dass die Vorgabe aus dem Euro-Stabilitätspakt erst 2018 eingehalten wird.
Das Haushaltsloch in Frankreich sei „bedrohlich hoch“ und zeige, dass „Frankreich in Krisenzeiten verwundbar ist“, gibt Politikwissenschaftler Schild zu bedenken. Derzeit profitiert die französische Volkswirtschaft vor allem von den Niedrigzinsen der EZB. Aber es stelle sich die Frage, so Schild, ob sich die Schuldenrückstände nicht hemmend auf das Wachstum auswirkte.
Stark regulierter Arbeitsmarkt und hohe Lohnkosten
Wirtschaftswachstum braucht Frankreich ganz dringend: „Die französische Wirtschaftspolitik funktioniert über eine Nachfragelogik. Das führt aber auch dazu, dass die Politik etwa auf Veränderungen durch die Globalisierung nicht schnell genug reagieren kann“, sagt Baasner. Hinzu kommt die überbordende Bürokratie, die gerade für kleine und mittelständische Unternehmen zum Problem werden kann.
Konkret heißt das: Das Arbeitsrecht ist so arbeitnehmerfreundlich, dass kleine Betriebe, zum Beispiel Handwerker, große Risiken eingehen, wenn sie zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Aufgrund hoher Abfindungskosten und eines starken Kündigungsschutzes trauen sich das viele kleine Unternehmer nicht mehr, Angestellte einzustellen. Schließlich kann sich ihr persönlicher Verdienst durch fixe Lohnkosten schnell schmälern. Hinzu kommen die hohen Sozialabgaben, die Unternehmen für ihre Beschäftigten zahlen müssen.
Frankreichs Stärken
Der einzige Lichtblick auf dem Arbeitsmarkt ist die hohe Beschäftigungsquote von Frauen. Dank guter Kinderbetreuungsmöglichkeiten und aufgeschlossenen Arbeitgebern sind viele Frauen in Arbeit. Rang 9 im internationalen Vergleich.
Ein gutes Gesundheitssystem, eine gute technische Infrastruktur und hohe Energiesicherheit: Die Grundlagen für erfolgreiches Unternehmertum sind von dieser Seite her gegeben.
Jugendarbeitslosigkeit
Eines der Kernanliegen von Hollande war die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – das ist ihm nur teilweise gelungen: Die Zahl der Arbeitslosen ist seit 2008 zum ersten Mal unter zehn Prozent gesunken und hält sich seit August 2016 konstant unter der magischen Grenze. Das entscheidende Problem ist allerdings die hohe Jugendarbeitslosigkeit von knapp 26 Prozent. Unter Jugendlichen in den Vorstädten, den sogenannten Banlieues, liegt sie sogar bei über 40 Prozent.
Nach den Krisenländern Griechenland, Spanien und Italien sowie Kroatien und Portugal liegt Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union im europäischen Vergleich auf Platz sechs. Die Gründe für die strukturell hohe Arbeitslosigkeit sind offensichtlich tief im französischen Ausbildungssystem verwurzelt: Es fördert vor allem die Eliten und sortiert Jugendliche mit schlechtem oder gar keinen Abschluss direkt aus.
Frankreichs Schwächen
Hohe Arbeitslosigkeit und vor allem wenig Hoffnung auf Besserung am Arbeitsmarkt: 3,5 Millionen Menschen sind in Frankreich arbeitslos und es werden immer mehr. Trotz leichten BIP-Zuwachses stieg die Arbeitslosenquote zuletzt um 0,4 Prozent. Rang 49 im Ranking.
Das Leben in Frankreich ist teuer – für Privatbürger wie für Unternehmen. Die Mieten für Geschäftsimmobilien sind überdurchschnittlich hoch (Rang 38), die Energiepreise ebenso (Rang 40). Da auch die Produktionskosten hoch sind, haben es die Unternehmen schwer, konkurrenzfähig auf den Märkten zu agieren.
Eines der größten Probleme Frankreichs ist die immense Besteuerung. Nur 13 Prozent der Unternehmen bescheinigen dem Steuersystem, „wettbewerbsfähig“ zu sein. Das IMD sieht das ähnlich. Kein Land kommt bei der Steuerpolitik schlechter weg als die Franzosen (Rang 61).
In Frankreich ist – wie oben beschrieben – Arbeit teuer. Das Sozialsystem ist aufgebläht, doch die Bereitschaft der Bürger, Abstriche zu machen, ist nicht vorhanden. Im Gegenteil. Die Franzosen verrennen sich in ihrem Protest gegen die Globalisierung (Einstellung gegenüber der Globalisierung: Rang 60), sie sind wenig flexibel und anpassungsfähig (Rang 60).
Zudem bereitet die Schulbildung nur schlecht auf den Arbeitsmarkt vor. Notwendig wäre also eine tiefgreifende Reform des französischen Schul- und Ausbildungssystems. Dabei verfügt das Land über eine vergleichsweise günstige demografische Situation, mit einer Geburtenquote von rund zwei Kindern pro Frau.
Islamistischer Terror
Der Wahlkampf und die politische Stimmung in Frankreich ist stark durch den islamistischen Terror geprägt. Der Anschlag auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt im Januar 2015, dann im November 2015 die Morde in der Konzerthalle Bataclan und in mehreren Straßencafés: Frankreich ist in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Ziel von Anschlägen geworden - mehr als andere europäische Länder
Während es in Deutschland 550 Gefährder gibt, sollen es in Frankreich – Angaben des Innenministeriums zufolge – 8250 sein. In erster Linie Franzosen mit Vorfahren aus nordafrikanischen Staaten. „Frankreich gelingt es seit Jahren nicht, vor allem muslimische Minderheiten zu integrieren“, sagt Schild. Sie werden auf dem ohnehin angespannten Arbeitsmarkt diskriminiert. Unter Muslimen wächst die Wut auf den Staat. Die Attentäter von Paris wuchsen in den Banlieues auf. So war etwa Samir Amimour, bevor er im Bataclan 90 Menschen ermordete, Busfahrer in einem Vorort im Pariser Norden.
Eine Perspektive für Einwanderer und ihre Nachkommen in den Vorstädten zu entwickeln und Antworten gegen den islamistischen Terror zu finden, wird zu den wohl schwierigsten Aufgabe des kommenden französischen Präsidenten gehören.