Freytags-Frage

Anti-Dumping-Zölle zum Schutz der Stahlindustrie?

Billiger Stahl aus China macht deutschen Unternehmen das Geschäft kaputt? Nein, die deutsche Stahlkrise hat viele Ursachen, Anti-Dumping-Zölle wären daher falsch. Wie Deutschland reagieren sollte und wie nicht.

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Diese Rohstoffpreise sind im freien Fall
Platz 20: StahlKein anderer Rohstoff hat seit Jahresanfang so stark nachgegeben wie Stahl. Die Verluste belaufen sich auf fast 40 Prozent. Verantwortlich für den Preisverfall ist die absackende Nachfrage aus China. Zudem etabliert sich das Reich der Mitte immer mehr als Stahlanbieter, denn -nachfrager. Der Preis für eine Tonne des Rohstoffs nähert sich daher dem tiefsten Stand seit zehn Jahren. Eine Stabilisierung der Preise ist dennoch nicht in Sicht. Die Stahlhersteller rechnen auch im kommenden Jahr mit fallenden Preisen.Preisentwicklung (seit Jahresanfang): - 38,5 Prozent Quelle: dapd
Platz 19: ErdgasDer bisher milde Winter sorgt für einen Nachfragerückgang beim Erdgas. Industriegaseunternehmen leiden darunter. In Deutschland kommt Linde ins Straucheln. Die Aktien verzeichneten am Dienstag mit einem Verlust von über 13 Prozent den stärksten Kursrückgang seit über 14 Jahren.Preisentwicklung: - 33,4 Prozent Quelle: dpa
Platz 18: PlatinDie hohen Fördermengen südafrikanischer Minen drücken den Platinpreis. Im laufenden Jahr hat sich das Edelmetall um über 30 Prozent verbilligt. Rohstoffexperten erwarten jedoch im kommenden Jahr eine Preiserholung. Denn die Nachfrage nach Platin aus dem Automobil- und Industriesektor wird 2016 aller Voraussicht nach steigen.Preisentwicklung: - 32,4 Prozent Quelle: obs
Platz 17: PalladiumNach dem VW-Abgasskandal erlebte Palladium eine kurzfristige Hausse. Denn Palladium ist einer der Bestandteile, die die Autohersteller in ihre Dieselkatalysatoren verbauen. Die Kurserholung hielt allerdings nicht lange an. Denn wie Platin leidet auch Palladium unter einem Überangebot. Doch im Gegensatz zu Platin rechnen Analysten im kommenden Jahr nicht mit einer Erholung der Palladiumpreise, da die Nachfrage in China wahrscheinlich zurückgehen wird.Preisentwicklung: - 31,7 Prozent Quelle: obs
Platz 16: EisenerzDer Nachfragerückgang bei Stahl wirkt sich unmittelbar auf die Eisenerzpreise aus. Denn Eisenerz ist ein elementarer Bestandteil bei der Stahlproduktion. Der Preis rutschte daher mit 39,28 Dollar pro Tonne auf den tiefsten Stand aller Zeiten. „Die Stabilisierung der chinesischen Stahlpreise sind der Schlüssel für einen Stimmungsumschwung am Eisenerz-Markt“, schrieben die Analysten der ANZ Bank in einem Kommentar. „Um dies zu erreichen, muss die Branche aber ihren Ausstoß verringern.“ Doch genau das tut sich nicht. Dahinter steckt ein Verdrängungswettbewerb. Das Kalkül: Die größeren Rohstoffunternehmen wollen kleine Rivalen entweder aus dem Markt drängen oder einverleiben.Preisentwicklung: - 29,8 Prozent Quelle: dpa
Platz 15: KaffeeDie Baisse an den Rohstoffmärkten macht auch vor Kaffee nicht halt. Doch die Zeichen stehen gut, dass sich der Preis künftig erholen könnte. Denn aufgrund des Wetterphänomens El Niño wird die Produktion in Kolumbien zurückgehen. Die weltweite Nachfrage hingegen geht kaum zurück und dürfte in den Wintermonaten noch steigen, da der Kaffeekonsum in der kalten Jahreszeit in der Regel zunimmt.Preisentwicklung: - 28,7 Prozent Quelle: dpa
Platz 14: KupferChina fragt nicht nur weniger Stahl nach. Auch Kupfer ist bei chinesischen Unternehmen nicht mehr so begehrt. Das liegt vor allem am Wachstumsrückgang im Reich der Mitte. Selbst chinesische Kupferunternehmen drosseln bereits ihre Kupferproduktion, weil sie im eigenen Land immer weniger Abnehmer finden. 200.000 Tonnen wollen die Konzerne im kommenden Jahr weniger produzieren. Aus diesem Grund ist 2016 allenfalls mit einer Stabilisierung des Preises zu rechnen.Preisentwicklung: - 27,6 Prozent Quelle: dpa

Der Stahl steckt in der Krise. Überkapazitäten, fallende Preise, gefährdete Jobs. Deutschland ist dabei kein Einzelfall – überall in der Welt leiden die Stahlunternehmen. In dieser Woche war die britische Stahlindustrie in den Schlagzeilen.

Dennoch lohnt ein Blick auf die deutschen Zahlen, um das Problem zu verstehen. Die Stahlproduktion der deutschen Unternehmen stagniert seit Jahren; das beste Jahr war 2007 mit über 48 Millionen Tonnen Rohstahlproduktion. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise fiel die Produktion in 2009 auf knapp 33 Millionen Tonnen und erholte sich im Jahr darauf wieder auf etwa 43 Millionen Tonnen; das Niveau hält die Branche. (Weitere Infos hier.)

Allerdings sinken die Umsätze, die bis zur Weltwirtschaftskrise in 2008 stark gestiegen waren (von etwa 26 Mrd. Euro in 2003 auf knapp das Doppelte in 2008). Dieser Umsatz wurde 2011 nahezu wieder erreicht (49,7 Mrd. Euro). Seit 2001 fallen die Umsätze; im Jahr 2015 waren es noch 37,8 Mrd. Euro. Die deutschen Hersteller, aber auch Unternehmen aus anderen Ländern schreiben deshalb rote Zahlen. Insgesamt weist die Branche Überkapazitäten auf, was zu einem Preiskampf führt. Als Konsequenz wird in Deutschland gefordert, dass die Europäische Union Anti-Dumping Zölle auf chinesischen Importstahl erhebt. Dort, so der Vorwurf, werde mit Subventionen gearbeitet. Außerdem seien die chinesischen Unternehmen dadurch bevorteilt, dass der Klimaschutz hierzulande ernster genommen wird.

Das Argument kann nicht überzeugen, denn wenn der fossile Energieverbrauch gesenkt werden soll, dann muss energieintensive Produktion eben verringert werden. Ansonsten ist jede Energiesparpolitik unglaubwürdig. Vier Gründe sprechen überdies gegen Anti-Dumping Zölle auf chinesische Stahlerzeugnisse.

Erstens ist die weltweite und auch in Europa praktizierte Anti-Dumping Praxis überholt. Sie setzt überhaupt nicht am räuberischen oder strategischen Dumping (also dem Verkauf unter Kosten) an, sondern an Preisdifferenzierung zwischen Heimmarkt (oder Vergleichsmarkt) und dem europäischen Markt. Wenn das Produkt in Europa billiger verkauft wird, wird Dumping vermutet. Preisdifferenzierung mag aber auch und vor allem etwas mit der unterschiedlichen Preiselastizität der Nachfrage zu tun haben. Darüber hinaus lädt die gängige Praxis der Verfahren zur Kartellbildung zwischen Anbietern aus dem Inland und dem Ausland ein. Dazu gibt es in der Praxis zahlreiche Beispiele.

Zweitens ist die gegenwärtige „Stahlkrise“ das Ergebnis vieler Faktoren, so zum Beispiel einerseits der geringen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in der OECD und den Schwellenländern und andererseits der politischen Großwetterlage (Stichwort Sanktionen). Insofern würden Anti-Dumping Zölle gegen China der deutschen Stahlindustrie kaum oder gar nicht helfen. Sie würden nur Arbeitsplätze entlang der nachgelagerten Wertschöpfungskette gefährden, weil Stahlpreise künstlich stiegen. Statt die allgemeine Wirtschaftspolitik der Geldpolitik einzugliedern und Zollkriege zu führen, sollte die EU an ihrer Wirtschaftspolitik arbeiten, dabei insbesondere die Angebotsbedingungen stärken und die Staatsausgaben vom Konsum zu Investitionen umlenken, das hilft nicht nur, aber auch der Stahlindustrie.

Schaufelräder, Zementwerke und U-Boote
Künftig soll das reine Stahlgeschäft wie etwa die Produktion von veredelten Blechen für die Automobilindustrie nur noch 30 Prozent des Konzern-Geschäfts ausmachen. Dennoch bleiben Blechrollen wie diese ein Kernprodukt. Quelle: PR
Rolltreppen und Fahrsteige – etwa in Flughafen-Terminals – gehören ebenfalls zum ThyssenKrupp-Produktspektrum. Dieses Foto ist in einem Essener Einkaufszentrum aufgenommen worden. Quelle: PR
Allen Negativ-Schlagzeilen zum Konzern trotzt das Aufzuggeschäft von ThyssenKrupp. Vor allem starke Absatzzuwächse in Asien erfreuen das Unternehmen. Das Bild zeigt ein System mit zwei Kabinen in einem Aufzugschacht beim Einbau in der Essener Konzernzentrale Anfang 2010. Quelle: PR
Für die Automobilindustrie bietet ThyssenKrupp auch den Aufbau von Anlagen, die etwa automatisch Fahrwerke oder andere Komponenten einbauen. Quelle: PR
ThyssenKrupp setzt vermehrt auf Planung und Bau ganzer Chemie- und Industrieanlagen. Im Bild ein Zementklinkerwerk im Senegal. Quelle: PR
Dieses Schaufelradladgeärt steht im Hafen von Rotterdam und wird zur Verladung von Eisenerz eingesetzt. Geliefert wurde es von der ThyssenKrupp-Sparte „Plant Technology“. Quelle: PR
Großwälzlager von ThyssenKrupp kommen etwa in Kränen zum Einsatz, die schwere Lasten bewegen. Quelle: PR


Drittens bemüht sich die chinesische Regierung bereits um eine Korrektur der Kapazitäten und sollte darin unterstützt werden. Auch China leidet unter den Überkapazitäten und dem Preiskampf. Strafzölle würden die Bereitschaft Chinas zur Kooperation nicht befeuern, sondern eher Retorsionsmaßnahmen gegen andere Sektoren (mit mehr Beschäftigten?) hervorrufen. Angesichts der weltwirtschaftlichen Lage sind solche Zollkriege kontraproduktiv und müssen vermieden werden. Vor diesem Hintergrund sollten die Europäer gerade nicht protektionistisch reagieren.
Schließlich sollte sich, viertens, die deutsche Stahlindustrie weiterhin auf das obere Marktsegment konzentrieren, in denen die Massenstahlhersteller sicher nicht reüssieren können.

Schutzmaßnahmen reduzieren womöglich die Innovationsanstrengungen der deutschen Stahlindustrie, ohne dabei wirklich zu helfen. Bereits in der Vergangenheit war die Branche sehr innovativ und produktiv. Seit 1980 hat die Stahlindustrie 70 Prozent der Beschäftigten verloren, aber die Produktivität pro Beschäftigten um 226 Prozent gesteigert. Insofern sollte gerade die deutsche Stahlindustrie von solchen allzu vordergründigen Forderungen nach Schutzzöllen absehen. Sie stellt damit ihr Licht unter den Scheffel. Für Massenstahl ist der komparative Kostenvorteil schon vor Dekaden abgewandert. Die deutsche Industrie wird sicherlich weiterhin auf Spezialstähle setzen. So wird sie die Krise ohne weitere Protektion überstehen.

 

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