Der Stahl steckt in der Krise. Überkapazitäten, fallende Preise, gefährdete Jobs. Deutschland ist dabei kein Einzelfall – überall in der Welt leiden die Stahlunternehmen. In dieser Woche war die britische Stahlindustrie in den Schlagzeilen.
Dennoch lohnt ein Blick auf die deutschen Zahlen, um das Problem zu verstehen. Die Stahlproduktion der deutschen Unternehmen stagniert seit Jahren; das beste Jahr war 2007 mit über 48 Millionen Tonnen Rohstahlproduktion. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise fiel die Produktion in 2009 auf knapp 33 Millionen Tonnen und erholte sich im Jahr darauf wieder auf etwa 43 Millionen Tonnen; das Niveau hält die Branche. (Weitere Infos hier.)
Allerdings sinken die Umsätze, die bis zur Weltwirtschaftskrise in 2008 stark gestiegen waren (von etwa 26 Mrd. Euro in 2003 auf knapp das Doppelte in 2008). Dieser Umsatz wurde 2011 nahezu wieder erreicht (49,7 Mrd. Euro). Seit 2001 fallen die Umsätze; im Jahr 2015 waren es noch 37,8 Mrd. Euro. Die deutschen Hersteller, aber auch Unternehmen aus anderen Ländern schreiben deshalb rote Zahlen. Insgesamt weist die Branche Überkapazitäten auf, was zu einem Preiskampf führt. Als Konsequenz wird in Deutschland gefordert, dass die Europäische Union Anti-Dumping Zölle auf chinesischen Importstahl erhebt. Dort, so der Vorwurf, werde mit Subventionen gearbeitet. Außerdem seien die chinesischen Unternehmen dadurch bevorteilt, dass der Klimaschutz hierzulande ernster genommen wird.
Das Argument kann nicht überzeugen, denn wenn der fossile Energieverbrauch gesenkt werden soll, dann muss energieintensive Produktion eben verringert werden. Ansonsten ist jede Energiesparpolitik unglaubwürdig. Vier Gründe sprechen überdies gegen Anti-Dumping Zölle auf chinesische Stahlerzeugnisse.
Erstens ist die weltweite und auch in Europa praktizierte Anti-Dumping Praxis überholt. Sie setzt überhaupt nicht am räuberischen oder strategischen Dumping (also dem Verkauf unter Kosten) an, sondern an Preisdifferenzierung zwischen Heimmarkt (oder Vergleichsmarkt) und dem europäischen Markt. Wenn das Produkt in Europa billiger verkauft wird, wird Dumping vermutet. Preisdifferenzierung mag aber auch und vor allem etwas mit der unterschiedlichen Preiselastizität der Nachfrage zu tun haben. Darüber hinaus lädt die gängige Praxis der Verfahren zur Kartellbildung zwischen Anbietern aus dem Inland und dem Ausland ein. Dazu gibt es in der Praxis zahlreiche Beispiele.
Zweitens ist die gegenwärtige „Stahlkrise“ das Ergebnis vieler Faktoren, so zum Beispiel einerseits der geringen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in der OECD und den Schwellenländern und andererseits der politischen Großwetterlage (Stichwort Sanktionen). Insofern würden Anti-Dumping Zölle gegen China der deutschen Stahlindustrie kaum oder gar nicht helfen. Sie würden nur Arbeitsplätze entlang der nachgelagerten Wertschöpfungskette gefährden, weil Stahlpreise künstlich stiegen. Statt die allgemeine Wirtschaftspolitik der Geldpolitik einzugliedern und Zollkriege zu führen, sollte die EU an ihrer Wirtschaftspolitik arbeiten, dabei insbesondere die Angebotsbedingungen stärken und die Staatsausgaben vom Konsum zu Investitionen umlenken, das hilft nicht nur, aber auch der Stahlindustrie.
Drittens bemüht sich die chinesische Regierung bereits um eine Korrektur der Kapazitäten und sollte darin unterstützt werden. Auch China leidet unter den Überkapazitäten und dem Preiskampf. Strafzölle würden die Bereitschaft Chinas zur Kooperation nicht befeuern, sondern eher Retorsionsmaßnahmen gegen andere Sektoren (mit mehr Beschäftigten?) hervorrufen. Angesichts der weltwirtschaftlichen Lage sind solche Zollkriege kontraproduktiv und müssen vermieden werden. Vor diesem Hintergrund sollten die Europäer gerade nicht protektionistisch reagieren.
Schließlich sollte sich, viertens, die deutsche Stahlindustrie weiterhin auf das obere Marktsegment konzentrieren, in denen die Massenstahlhersteller sicher nicht reüssieren können.
Schutzmaßnahmen reduzieren womöglich die Innovationsanstrengungen der deutschen Stahlindustrie, ohne dabei wirklich zu helfen. Bereits in der Vergangenheit war die Branche sehr innovativ und produktiv. Seit 1980 hat die Stahlindustrie 70 Prozent der Beschäftigten verloren, aber die Produktivität pro Beschäftigten um 226 Prozent gesteigert. Insofern sollte gerade die deutsche Stahlindustrie von solchen allzu vordergründigen Forderungen nach Schutzzöllen absehen. Sie stellt damit ihr Licht unter den Scheffel. Für Massenstahl ist der komparative Kostenvorteil schon vor Dekaden abgewandert. Die deutsche Industrie wird sicherlich weiterhin auf Spezialstähle setzen. So wird sie die Krise ohne weitere Protektion überstehen.