Korruption in Griechenland Der mühsame Wettlauf mit der griechischen Justiz

Leandros Rakintzis ist der oberste Korruptionsjäger des Krisenlandes. Kaum jemand kennt die Untiefen des Staats wie er. Doch auch unter der neuen Regierung gilt: Gegen das Grundübel Griechenlands ist er machtlos.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Korruption ist das Grundübel Griechenlands. Quelle: Getty Images, imago-images

Erst neulich kam wieder so ein Anruf ins Athener Büro von Leandros Rakintzis. „Ich habe 3000 Euro zugesteckt bekommen“, erzählte der Beamte der staatlichen Versicherungen an der anderen Leitung und wollte von Leandros Rakintzis wissen, ob er das Geld behalten dürfe. „Selbstverständlich nicht, Sie geben das sofort zurück.“ Doch den bestochenen Beamten befriedigte das nicht: „Die anderen Beamten nehmen das Geld doch auch, dann bin ich ja der Dumme, wenn ich es nicht nehme.“ Da platzte Rakintzis der Kragen: „Hören Sie, Sie verschwenden meine Zeit, ich kämpfe nicht gegen Dummheit, sondern gegen Korruption.“

Zur Person

Griechenland rangiert im Korruptionsindex von Tranparency International noch hinter Mazedonien auf einem der letzten Plätze. Nur in Italien ist innerhalb der Währungsunion das Vertrauen der Bürger in das ordnungsgemäße Funktionieren seiner Institutionen ähnlich erschüttert wie in Griechenland. „Fakelaki“ nennt der Volksmund die „Beschleunigungsgelder“, zu Deutsch: „kleine Umschläge“.

Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands

Ministerpräsident Alexis Tsipras hat die Eindämmung von Korruption und Vetternwirtschaft zur Chefsache erklärt. Alles gut also. Oder?

Leandros Rakintzis, 77 Jahre, rundes Gesicht und insgesamt fast so breit wie hoch, kämpft seit Jahren gegen den Filz. Seit 2004 ist er Generalinspektor für die öffentliche Verwaltung und damit gewissermaßen der oberste Korruptionsbekämpfer von Hellas. Weit mehr als 1000 Eingängen und Hinweisen geht die Behörde jedes Jahr nach. Alleine im vergangenen Jahr untersuchte sie 1565 Fälle möglicher Korruption in der Verwaltung. Dazu stehen dem ehemaligem Verfassungsrichter Rakintzis insgesamt 300 Inspektoren zur Verfügung, die er für weitere Investigationen vor Ort schicken kann.

von Andreas Macho, Melanie Bergermann, Mark Fehr, Silke Wettach

In Griechenlands Öffentlichkeit genießt Rakintzis enormes Prestige. Im Ansehen der Mächtigen steht er nicht ganz so hoch. Immer wieder versuchen Minister und Staatsanwälte, ihn auszubremsen. Kann der Retter im Rentneralter überhaupt etwas gegen die zementierten Strukturen der Korruption ausrichten? Gerade in diesen Wochen, wo mal wieder Griechenlands Verlässlichkeit in Sachen Reformzusagen zur Debatte steht, eine nicht ganz unwichtige Frage.

Rakintzis stützt die Ellbogen auf den massiven Schreibtisch seines Athener Büros und legt das Gesicht auf die Handflächen. Seine Augen blicken aus den zusammengekniffenen Lidern. „Offiziell sind alle gegen Korruption“, murmelt er, „aber die wenigsten ergreifen Maßnahmen.“ Mitarbeiter von Rakintzis wittern in der Schaffung des Antikorruptionsministers eine heimliche Entmachtung ihrer Behörde. Rakintzis selbst gibt sich diplomatisch: „Wenn die Regierung mich in Ruhe arbeiten lässt, bin ich zufrieden.“

"Das Problem ist die Justiz"

Anfeindungen und Widerstände ist der Mann gewohnt. Fast scheint es ihm Freude zu bereiten, wenn er von seinen Entdeckungen in den Untiefen der griechischen Bürokratie erzählt. Lachend erzählt er etwa von jenem Beamten, der in einem der Mauthäuschen auf der Autobahn seinen Dienst versah und zwischen dem Öffnen der Schranken und dem Ausgeben der Autobahntickets einen Nebenverdienst entdeckte: Weil viele der Autofahrer den Beleg nicht entgegennahmen, sammelte der Beamte die Tickets. Wenn nun andere Beamte kamen und ein Ticket wollten, bot er ihnen einen Deal an: Er verkaufte die gesammelten Tickets, womit die Beamten einen Beweis für ihre Dienstfahrt hatten – die sie dann freilich nie antraten, aber abrechnen konnten.

Doch auch weitreichende Fälle von Korruption deckte Rakintzis auf. Etwa ein Netzwerk von Ärzten, die Schönheitsoperationen als Notfälle deklarierten und über die Krankenkasse abrechneten. Vor großen Namen schreckt Rakintzis nicht zurück. Auch mit dem staatlichen Energieunternehmen DEI und Ministern legte er sich bereits an. Doch nicht immer erreicht Rakintzis mit seinen Berichten an die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung. „Das Problem“, sagt Rakintzis, „ist die Justiz. Viele Verfahren werden so lange verschleppt, bis sie verjährt sind.“

Beim Verkauf deutscher Panzerhaubitzen nach Griechenland 2001 soll Bestechungsgeld geflossen sein. Einem Ex-Manager des Panzerbauers KMW wird vorgeworfen, sich dabei bereichert zu haben. Nun beginnt der Prozess.

Von den Parteien erwartet Rakintzis keine Verbesserung des Rechtswesens. „Es ist letztlich ganz gleich, wer regiert. Lösen kann das Problem der ineffizienten Justiz nur die Justiz selbst.“ Dabei würden schon kleine Verbesserungen viel bewirken: „Der Athener Gerichtshof hat von 9 bis 15 Uhr geöffnet. Es würde das Rechtswesen schon schneller machen, wenn er zumindest bis 17 Uhr offen hätte.“

Der Korruptionsbekämpfer muss es wissen: 38 Jahre arbeitete Rakintzis als Richter, zuletzt als Verfassungsrichter am Obersten Gerichtshof, dem Areopag. Hürden haben ihm die Mächtigen schon damals in den Weg gelegt. Als er 1994 kurz davor stand, einen Minister zu verurteilen, wurde kurzfristig das Gesetz geändert, und der Angeklagte ging frei.

Vielleicht waren es diese Kränkungen aus seiner Richterzeit, die Rakintzis noch heute befeuern. „In dieser Funktion kann ich etwas für die Allgemeinheit erreichen, und ich habe hier die Macht, Dinge zu verändern“, sagt er. Seine Mitarbeiter sind geradezu stolz auf ihren Chef. Einer der Inspektoren erzählt, dass kaum jemand in Griechenland den Namen der Behörde wüsste. „Ich sage dann einfach, dass ich für den Dicken aus dem Fernsehen arbeite.“ Die Leute seien dann meist sehr freundlich zu ihm.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%