Max Aengevelt "Der Westen verhält sich falsch gegenüber Russland"

Max Aengevelt ist der Sohn von einem der größten Gewerbeimmobilienmakler Deutschlands und arbeitet für eine Handelskette in der Ukraine. Im Interview äußert er sich kritisch über die Politik der EU.

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Max Aengevelt im Interview mit der WirtschaftsWoche. Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Herr Aengevelt, Sie arbeiten seit Anfang des Jahres in Odessa in der Süd-West-Ukraine, wo Sie für die Handelskette TavriaV bei der Neuordnung ihrer Immobilien beraten. Was halten Sie davon, dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder heute bei einem Wirtschaftstreffen in Rostock erklärt: „Ich stehe dazu, dass ich Russland, seine Menschen und seine politische Führung verstehen will. Ich schäme mich dafür nicht, im Gegenteil: Ich bin stolz darauf.“?
Max Aengevelt: Ich unterstütze das. Schröder sollte seine Freundschaft mit Russlands Staatspräsidenten Wladimir Putin nutzen, um die Wogen zu glätten und den Kontakt aufrecht zu halten. Je größer der Austausch zwischen Russland und Deutschland ist, desto mehr kann man auf eine Entspannung der Lage hoffen.

Zur Person

Wie sehr spüren Sie in Odessa die Spannungen mit Russland?
Zurzeit merken wir hier weniger davon als im Vergleich zu anderen Regionen der Ukraine. Odessa war größtenteils stabil. Wir hatten, trotz der schlechten Lage im Land, vor allem in der Region Odessa einen positiven Geschäftsverlauf über den Sommer. Dies liegt auch daran, dass Odessa wirtschaftlich nicht so abhängig von Russland ist wie zum Beispiel der Osten des Landes, wo die Schwerindustrie beheimatet ist. Allerdings muss ich sagen, dass es auffiel, das es in diesem Jahr praktisch keine russischen Touristen in Odessa gab. Normalerweise trifft man hier in den Sommermonaten auf viele gut betuchte Russen, die hier Urlaub machen.

Der Hauptgesellschafter Ihres Auftraggebers TavriaV gilt nicht nur als wohlhabendste Person der Region Odessa. Er ist nebenbei auch seit kurzem Ihr Schwiegervater. Wie beurteilen Sie in dieser Doppelrolle die Sanktionsspirale zwischen dem Westen und Russland?
Erst einmal ist mir wichtig zu sagen, dass der Hauptgesellschafter Boris Muzalev keiner jener sogenannten Oligarchen ist, die ihr  Vermögen aus teilweise fragwürdiger Privatisierung von Staatsbetrieben nach dem Ende der Sowjetunion zu verdanken hat. Er war vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion Arzt und hatte damals erkannt, dass es im zukünftigen System keine Nachfrage nach weiteren Ärzten geben wird und hat sich deshalb umorientiert. Er hat dann klein angefangen, zum Teil sogar selbst in den ersten Läden seine Ware verkauft und dann nach und nach sein Unternehmen zu  einem Konzern ausgebaut, der heute der größte private Arbeitgeber und Steuerzahler der Region ist.

Was wollen Sie damit sagen?
Dass TraviaV niemandem in der Ukraine politisch verpflichtet ist und dass dies ohne Einschränkung auch für mich gilt. Von mir können Sie eine ehrlich gemeinte Einschätzung der Ukraine-Krise erwarten.

Und die wäre?
Dass Deutschland, die EU und der Westen sich falsch und provozierend gegenüber Russland verhalten.

Wie kommen Sie zu dieser Meinung?
Lassen Sie mich mit einem Beispiel beginnen. Der heutige russische Staatspräsident Wladimir Putin hat zwölf Jahre lang die Olympischen Winterspiele in diesem Jahr in Sotschi am Schwarzen Meer vorbereitet. Und dann hat kein westliches Staatsoberhaupt die Wettkämpfe besucht. Das wäre so, als wenn zu einem Ihrer runden Geburtstage niemand Ihrer Freunde kommen würde.

„Wir müssen Russland abholen und an die EU heranführen“

Die Begründung für das Fernbleiben war damals die Verstöße gegen die Menschenrechte, darunter das harte Vorgehen gegen die Punkband Pussy Riot oder die Diskriminierung von Schwulen. Hinzu kam die Unterstützung Russlands für die ukrainische Regierung in ihrem harten Auftreten bei den Maidan-Unruhen.
Die Frage ist doch, wie ich als Westen da reagiere, ob ich eskaliere oder deeskaliere. Für Putin muss das Fernbleiben westlicher Regierungschefs ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Ich bin überzeugt, dass Putin eine Integration mit dem Westen will. Er hat schon 2007 Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Russland und der  EU begonnen. Das war lange bevor die USA das Freihandelsabkommen TTIP ins Spiel gebracht haben, das nun mit der EU praktisch endverhandelt ist. Das zeigt, welches Hirngespinst im Westen verbreitet wird, wenn es heißt, Putin wolle so etwas wie die alte Sowjetunion neu aufleben lassen. Er weiß er genau, dass eine Freihandelszone mit Weißrussland, Kasachstan, Armenien und der Ukraine ohne eine Integration mit der EU für Russland nicht das Ziel sein kann. Die Stärkung der sogenannten Customs Union aus Russland, Weißrussland und Kasachstan bedient vorrangig das Sicherheitsbedürfnis Russlands nach einer Pufferzone.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Wie hätte der Westen denn reagieren sollen, nachdem Putin entschieden hatte, die militärische Karte zu spielen?
Ich denke, dass hier nicht der Westen, sondern dass Russland reagiert hat. Es ging los mit den Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew, wo die Menschen die korrupte und verfilzte Regierung – nebenbei: eine gewählte – loswerden wollten. Hier ist der Westen eindeutig auf die Entwicklung aufgesprungen und hat die Installation einer prowestlichen Regierung unterstützt, ohne Russland mit ins Boot zu nehmen und dessen Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen. Dass der Westen glaubte, im Hinterhof Russlands eine tendenziell antirussische Rebellion mit lostreten zu können, ohne dass Russland reagieren würde, war mindestens naiv.

Die Forderung, Russland einzubinden, klingt nicht viel überzeugender als die Worte vieler westlicher Politiker, gegenüber Russland Stärke zu zeigen.
Deutschland hat über Jahrzehnte mit Russland verhandelt, hat friedliche Beziehungen aufgebaut, die Teilung unseres Landes überwunden und Geschäfte gemacht. Und das zum Teil mit Regierungschefs, die wesentlich radikalere Ansichten vertreten haben, als Putin dies heute tut. Wir müssen Russland abholen und an die EU heranführen und dürfen uns nicht einen Konflikt aufzwingen lassen. Denken Sie doch mal drüber nach, dass die EU – zusammen mit Russland – auf lange Zeit der größte Wirtschaftsblock der Welt wäre. Das würde für uns bedeuten: Energiesicherheit, unbegrenzten Zugang zu einem noch nicht entwickelten hochlukrativen großen Wirtschaftsraum und am allerwichtigsten Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent. Russland ist unserer geografischer Nachbar, nicht die USA, also müsste doch eine Ost-Partnerschaft unserer vornehmliches Interesse seien, und wir sollten dahin gehend auch unsere außenpolitischen Bemühungen vorrangig entfalten.

Geschäfte mit Russland

Wie sehen Sie die Rolle der Bundesregierung in dieser Frage?
Die Bundesregierung vertritt das stärkste Land in der EU und hat bestimmt am meisten Einfluss auf Russland. Die unabhängigen Meinungsbildner in der Ukraine erwarten, dass die Bundesregierung diese Position innerhalb der EU nutzt sowie gegenüber Russland, um einen Kompromiss zu finden. Auch sollte Deutschland hier somit die Schlüsselrolle übernehmen und nicht die USA, denen viele Ukrainer misstrauen. Man ist der Überzeugung, dass die USA Russland als seinen natürlichen Gegenspieler sieht und dass die Ukraine lediglich den USA als ein Keil zwischen dem vermeintlichen Westen und Osten dient.

„Für Deutschland stehen die Türen im Kreml weiterhin sehr weit offen“

Ist die Chance dazu nicht schon vertan?
Nein, die Chance ist noch nicht vertan. Russland braucht unverändert eine Annäherung an Europa, um seine Wirtschaft zu modernisieren. Ich denke, dass für Deutschland die Türen im Kreml weiterhin sehr weit offen stehen. Man muss nur hineingehen, statt sich seine Außenpolitik diktieren zu lassen.

Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland

Und was soll die Bundesregierung Ihrer Ansicht nach den Russen sagen?
Ich denke, wenn man Putin glaubhaft versichert, dass die Nato sich nicht bis in die Ukraine ausdehnen wird, wäre den Sicherheitsinteressen Russlands Genüge getan. Die Russen erinnern sich, dass man ihnen schon beim Zusammenbruch der Sowjetunion zugesagt hat, dass sich die NATO nicht weiter östlich als nach Deutschland erweitert, dieses Misstrauen muss man also erst einmal überwinden. Gerne erinnert man auch daran, dass die USA doch auch nicht wollte, dass die Sowjets Raketen bei ihren Verbündeten auf Kuba stationieren. Dann könnte Russland den nächsten Schritt im Verhältnis zur Ostukraine tun und die EU daraufhin die Sanktionen lockern. Zusätzlich muss sich die Regierung in Kiew dazu bekennen, die Ukraine zu dezentralisieren. Ich verstehe die russisch geprägten Industrieregionen im Osten, die genau wie andere Regionen einen großen Teil ihrer Steuereinnahmen an die Zentralregierung in Kiew überweisen und davon relativ wenig zurückbekommen. Auch benötigt die Ukraine einfach mehr Selbstbestimmung in den Regionen, zum Beispiel werden die Gouverneure der Oblast, also der Regionen, von der Zentralregierung bestimmt. Ohne hier ins Detail zugehen, würde dies auch positive wirtschaftliche Impulse in der Ukraine setzen.

Wie wichtig erachten Sie die Assoziierung der Ukraine mit der EU?
Für die ukrainischen Unternehmen sind der Hauptabsatzmarkt Russland und die Ex-Sowjetstaaten. Wenn die ukrainische Regierung riskiert, sich diesen Märkten zu verschließen, wäre das die totale Katastrophe für das Land. Ein Beispiel dafür ist der ukrainische Flugzeughersteller Antonow in der Nähe von Kiew, der unter anderem das größte Flugzeug der Welt entwickelt hat, die An-225. Einer der großen Abnehmer von Antonow-Transportflugzeugen ist das russische Militär. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Militärs in den USA oder in der EU Maschinen von Antonow kaufen. Antonow baut auch Passagierflugzeuge. Die gehen auch nach Russland oder zum Beispiel nach Armenien, aber nicht an die Lufthansa. Wenn durch ein Abkommen mit der EU ohne Zufriedenstellung von Russland der Markt in den Ex-Sowjetstaaten zerschossen wird, wäre das sicher unterm Strich sehr nachteilig für eine Vielzahl ukrainischer Unternehmen. Also eine erfolgreiche Assoziierung mit der EU kann für die Ukraine meiner Meinung nach nur unter Einbindung von Russland funktionieren.

Der Knackpunkt für ein Ende der Sanktionen dürfte die Krim sein, deren Anschluss an Russland Außenminister Walter Steinmeier vor der Uno noch einmal ausdrücklich als völkerrechtswidrig einstufte. Was halten Sie von solchen Reden an die Weltöffentlichkeit?
Ich glaube, das war eine Fensterrede. Meine Überzeugung ist, dass der Westen akzeptiert, dass die Krim wieder russisch geworden ist. Ich folgere daraus, dass man daran auch nicht noch etwas rütteln kann. Außerdem kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern, dass der Großteil der Bevölkerung ethnische Russen sind, die lieber wieder ein Teil von Russland sind als ein Teil der Ukraine, die von einer Regierung vertreten wird, die in ihren Augen gegenüber Russland feindlich agiert und die es offensichtlich nicht als erste Priorität ansieht, die Beziehungen nach Moskau zu normalisieren.

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