Resiliente Lieferketten Wie Europas Anti-Risiko-Strategie ins Leere läuft

Im Tagebau werden im chinesischen Ganxian seltene Erden gefördert. Quelle: dpa

Europa will seine Abhängigkeit von einzelnen Handelspartnern reduzieren, setzt jedoch weiter auf die Globalisierung. In China dagegen ist der Protektionismus auf dem Vormarsch. Das könnte gefährlich werden.

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Europa kann nicht mehr so tun, als sei der globalisierte Welthandel eine Selbstverständlichkeit: Der Beginn des Krieges in der Ukraine hat Deutschland bereits schmerzhaft aus seinen Träumen gerissen. Aber auch bekannte Bedrohungen scheinen sich schneller als erwartet zu verschärfen.

Seit dem wirtschaftlichen Schock nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor zwei Jahren hat die EU-Wirtschaftspolitik ein neues Lieblingswort: De-Risking. Kein Land soll mehr so leicht wie Russland die Volkswirtschaften der Union aus dem Gleichgewicht bringen können. Mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) hat die Union am 18. März nun ihre Strategie für widerstandsfähigere Lieferketten bei besonders wichtigen kritischen Rohstoffen auf den Weg gebracht.

Aber hat Deutschland, hat die EU schon genug getan, um das zu verhindern? Russland geht bei der Abkopplung vom Westen derzeit aufs Ganze, in den USA könnte mit Donald Trump wieder ein eher protektionistisch gesinnter Präsident das Ruder übernehmen und China handelt anders, als es spricht – und das auch noch im Eiltempo. Die EU-Handelskammer in der Volksrepublik schlägt daher Alarm.

Die neue chinesische Unabhängigkeit

Der 14. Fünfjahresplan der Volksrepublik markiere einen strategischen Wandel, heißt es in einer Analyse, die die Interessenvertretung gemeinsam mit der China Macro Group veröffentlicht hat: „Den politischen Entscheidungsträgern steht heute ein umfassendes Instrumentarium zur Verfügung, das darauf ausgerichtet ist, Risiken zu mindern und die Sicherheit der chinesischen Wirtschaft zu fördern, was über die bloße Förderung der Autonomie hinausgeht“, sagt Markus Herrmann Chen, Mitbegründer und Geschäftsführer der China Macro Group.

Die Entwicklung, die die chinesische Regierung anschieben will, hat jedoch bereits begonnen. Bereits im Jahr 2022 schrieb das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln in einer Analyse: „China hat seine Bedeutung als Zulieferer und Absatzmarkt für Deutschland ausgebaut, ist aber selbst nur noch im abnehmenden Maße von Vorleistungsprodukten aus Deutschland angewiesen.“ Diese Entwicklung könnte nun Fahrt aufnehmen.

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Um zu verstehen, wieso das für Deutschland besonders gefährlich werden könnte, lohnt es, sich klarzumachen, was sich hinter dem Begriff „Kritische Rohstoffe“ verbirgt. Dazu gehören Seltene Erden, Nickel, Platin, Lithium und Wolfram: Diese Rohstoffe werden in vielen Branchen benötigt, etwa in der Luft- und Raumfahrt, in der Verteidigung oder im Bereich der erneuerbaren Energien. Sie sind daher für die Transformation der Wirtschaft unverzichtbar. Einen großen Teil dieser Materialien bezieht die Bundesrepublik aus China.

Wird der Zugang zu diesen Materialien abgeschnitten, könnte beispielsweise die Versorgung der neuen Intel-Chipfabrik in Magdeburg schwierig werden. Die deutsche Rohstoffagentur DERA warnte bereits 2023 vor den Folgen von chinesischen Exportkontrollen für Gallium und Germanium, wichtigen Rohstoffen für die Chipfertigung. Die Produktion von Primärgallium und -germanium ist mit Anteilen von 90 beziehungsweise 80 Prozent stark in China konzentriert.

Auch über die eigenen Vorkommen hinaus versucht China, wichtige Fördergebiete für kritische Rohstoffe außerhalb der eigenen Grenzen unter seine Kontrolle zu bringen. Darauf wies auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Analyse zu kritischen Rohstoffen aus Afrika hin. Die Alternativen im Sinne der Diversifizierung könnten also schnell ausgehen.

Der Status Quo ist bereits gefährlich

Daten des IW zufolge schwankt die Marktmacht der Volksrepublik im Bereich der Rohstoffe je nach Material. Vergleicht man den Anteil der chinesischen Produktion am Weltmarkt mit dem Anteil der chinesischen Importe an der deutschen Versorgung, zeigt sich: Deutschland ist teils abhängiger von China, als es sein müsste.

Bei den Seltenen Erden beispielsweise hatte China im Jahr 2022 einen Marktanteil von rund 34 Prozent, deckte aber 45 Prozent des deutschen Bedarfs. Bei weniger bekannten Materialien wie Zirkon ist das Missverhältnis noch krasser: Das Land hatte nur einen Anteil von fünf Prozent an der Weltproduktion, Deutschland bezog laut IW-Analyse aber mehr als ein Fünftel seines Bedarfs von dort.

Dass sich das Problem eher noch verschärft, zeigt auch eine Warnung der Deutschen Rohstoffagentur DERA von Ende 2023 vor einer Marktkonzentration Chinas im Bereich Silizium. „China bereitet sich auf eine weiter stark wachsende weltweite Nachfrage nach Solarmodulen vor und investiert daher bereits Milliarden auch in die vorgelagerte Silizium- und Polysiliziumproduktion“, erläuterte der Experte Harald Elsner. Untersuchungen zufolge werde die Produktionskapazitäten bis Ende 2027 um weitere 66 Prozent steigen, die Nachfrage aber nur um 37 Prozent. Die Folge: potenziell sinkende Weltmarktpreise, die den Ausbau der Solarmodulproduktion in Europa zum Erliegen bringen könnten.

Mit steigender Marktmacht bei sinkender eigener Außenabhängigkeit schwinden die Druckmittel des Westens gegenüber der Volksrepublik. Tritt das Schreckensszenario einer einseitigen Abhängigkeit ein, könnten sich die Europäer erneut erpressbar machen: Diesmal nicht mit Gas, sondern eben mit kritischen Rohstoffen.

Die EU-Handelskammer in China mahnt jedoch mit Blick auf den CRMA zur Vorsicht bei Markteingriffen, auch wenn diese dazu dienen, Abhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen zu reduzieren. Die Wirtschaftsvertreter schätzen den zielgerichteten Ansatz der EU und empfehlen, diesen auch in Zukunft beizubehalten. Inwieweit die jüngst beschlossenen Maßnahmen greifen werden, könne zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht abgeschätzt werden. Sobald dies jedoch möglich sei, solle dies „für jede Ware und von Fall zu Fall beurteilt werden und in Absprache mit den Unternehmen erfolgen.“

EU-Gesetz keine Dauerlösung

Grundsätzlich zielen die Maßnahmen der EU darauf ab, das Abhängigkeitsproblem anzugehen und zu verhindern, dass sich die EU-Staaten bei der Suche nach Bezugsquellen für wichtige Rohstoffe gegenseitig schaden. Aus Sicht der Deutschen Handelskammer in Schanghai (AHK Schanghai) liegt eine langfristige Lösung jedoch an anderer Stelle.

AHK-Vorstandsmitglied Maximilian Butek sieht es als zentral an, die Entwicklung alternativer Verfahren – die ohne kritische Rohstoffe auskommen – zu forcieren, zum Einsatz kommen könnten auch neue Substitutionsprodukte. „Die Attraktivität des Standorts Europa muss gestärkt werden, um deutsche Unternehmen zu ermutigen, entsprechende Technologien innerhalb der EU zu entwickeln“, sagt er.

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Kritiker des aktuellen CRMA sehen das Gesetz auf derartige Veränderungen nicht vorbereitet. Simon Glöser-Chahoud von der TU Bergakademie Freiberg hält es an wichtigen Stellen für unflexibel. Rohstoffmärkte seien hoch dynamisch: „So können neue Technologien kurzfristig die Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen stark erhöhen, während die Nachfrage nach anderen, bisher als knapp und kritisch eingestuften Rohstoffe durch Substitutionseffekte rasch zurückgehen kann.“ Glöser-Chahoud plädiert daher für eine sehr enge und häufige Überprüfung der entsprechenden Regeln und gegen starre Quoten.

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