Der Schlingerkurse der Bundesregierung hat einen neuen, negativen Höhepunkt gefunden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine Amtskollegen aus der Eurozone haben sich auf eine Aufstockung der Euro-Rettungsmechanismen geeinigt.
Der permanente Rettungsschirm ESM, der den bisherigen Rettungsschirm EFSF ablösen soll, hatte nach bisherigen Vereinbarungen einen Umfang von 500 Milliarden Euro. In dieser Summe sollten aber bisher schon laufende Rettungsprogramme für Krisenländer im Umfang von rund 200 Milliarden Euro enthalten sein. Dies wird jetzt geändert, so dass die Schlagkraft der Krisenfonds allein dadurch auf rund 700 Milliarden Euro steigt. Hinzu kommen weitere rund 100 Milliarden Euro an bilateralen Hilfskrediten an Griechenland und Hilfsgelder aus EU-Töpfen hinzu.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett haben sich damit einmal mehr dem Willen der ausländischen Partner, überwiegend der EU-Südländer, gebeugt. Schließlich hatte die Bundesregierung noch zu Beginn des Jahres eine Aufstockung der Rettungsschirme abgelehnt. Es ist nicht das erste Mal, dass Berlin von einer Grundsatzposition abrückt.
Merkel beschwichtig und leugnet
Rückblick: Von Beginn der Schuldenkrise an haben Merkel & Co. der Bevölkerung über das wahre Ausmaß der Rettungsbeteiligung Sand in die Augen gestreut. Seit Sommer 2010 beschwichtigte die Kanzlerin nach allen wichtigen Euro-Entscheidungen: So sollte Griechenland nur einmal Milliarden-Kredite bekommen. Vor wenigen Wochen aber wurde ein zweites Paket über weitere 110 Milliarden Euro für Athen geschnürt. Dann spannte die Währungszone einen Rettungsschirm auf – der vorübergehend die Krise bekämpfen sollten. Es dauerte nicht lange, und die EU-Finanzminister einigten sich darauf, den EFSF durch einen permanenten Rettungsfonds zu ersetzen, den ESM. Diese Brandschutzmauer sollte mit einer halben Billion Euro ausgestattet werden.
Noch im Januar ließ Merkel über ihren Sprecher Steffen Seibert erklären, dass die Bundesregierung der Meinung sei, „dass es nicht sinnvoll und auch nicht notwendig ist, über eine Erweiterung des Rettungsschirms zu sprechen“. Es ist, glaube ich, gut, wenn in Europa ein größeres Maß an Ruhe eintritt, und man nicht jeden Tag alle möglichen irgendwann in der Zukunft anfallenden Maßnahmen aufs Neue diskutiert", so Seibert weiter.
Doch die Euro-Partner sahen das anders – und drückten dem Finanzministertreffen in Kopenhagen ihren Stempel auf. Die Folge: Deutschlands Haftung steigt.
Deutschland steht für mehrere hundert Milliarden gerade
Der Maximalbeitrag zur Rettung von Pleitekandidaten wird nun von 500 auf 800 Milliarden Euro steigen: Dabei handelt es sich um die 500 Milliarden Euro aus dem ESM plus mindestens 200 Milliarden Euro aus dem EFSF, die noch nicht verplant sind - also die Summe, die theoretisch verfügbar wären, während beide Schirme parallel laufen, sowie weitere 100 Milliarden Euro an EU-Mitteln.
Das finanzielle Risiko für die Bundesrepublik steigt dadurch enorm. Für den EFSF bürgt Berlin mit 211 Milliarden Euro, für den ESM mit 168 Milliarden plus 22 Milliarden Euro an Barkapital. Macht zusammen 401 Milliarden Euro – eine Summe, die höher ist als der gesamte Bundeshaushalt des laufenden Jahres. Die Zeit, in der die Gesamtsumme abgerufen werden könnte, ist zwar bis zum Juli nächsten Jahres begrenzt. Doch sollten Pleitekandidaten wie Italien und/ oder Spanien in dieser Zeit tatsächlich unter die Rettungsschirme schlüpfen müssen, dann würde ein Großteil der Garantien auch fällig.
Bundesbürger lehnen Aufstockung ab
Aber auch ohne dieses Horrorszenario steigt die langfristige Haftung. Denn auf die deutschen Risiken von 190 Milliarden Euro für den ESM werden mindestens 58 Milliarden Euro für die schon verplanten EFSF-Mittel draufgepackt. Und dafür bürgt Deutschland, bis die Kredite zurück gezahlt werden, wenn Griechenland dazu überhaupt je in der Lage sein wird.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stemmt sich mit ihrer Zustimmung zur Aufstockung der Rettungsmechanismen auch gegen den Willen des Volkes. In einer repräsentativen Umfrage des ZDF lehnten zuletzt 74 Prozent der Bürger einen höheren Schutzwall ab. Auch unter den CDU-Wählern lehnten mehr als zwei Drittel der Befragten höhere Bürgschaften ab.
Nicht nur beim Wähler, auch bei führenden Ökonomen stößt der Euro-Schutzwall auf Ablehnung.
"Wir werden Probleme bekommen - finanzielle wie politische"
So kritisierte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann die immer neuen Forderungen nach einem größeren Euro-Rettungsschirm. „Genauso wie der Turm von Babel wird auch die Mauer aus Geld niemals den Himmel erreichen. Wenn wir diese immer höher und höher machen, werden wir hingegen immer neue Probleme bekommen - finanzielle wie politische“, sagte Weidmann am Mittwoch in London. Der Turmbau zu Babel ist in der Bibel ein Sinnbild für menschlichen Größenwahn. In der Erzählung im Alten Testament stoppt Gott schließlich das Projekt – und hinterlässt die Menschen in einem Sprachwirrwarr, so dass sie sich nicht mehr verständigen können.
Weidmann hält einen immer stärker aufgepumpten Euro-Rettungsschirm für gefährlich und ungeeignet, die Krise zu lösen. Die Abschirmung der Euro-Zone sei sicherlich ein „sinnvoller Ansatz“, sagte er. Geld alleine könne die tiefe Vertrauenskrise zwischen Investoren, Banken und den 17 Euro-Staaten aber nicht lösen. „Wir müssen realisieren, dass das Geld, was wir bereits auf den Tisch gelegt haben, uns keine dauerhafte Lösung der Krise erkaufen wird“, sagte Weidmann.
Immerhin sei Zeit gewonnen worden. Diese müsse genutzt werden, um die Ursachen der Krise zu beseitigen, sagte Weidmann: die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger europäischer Länder und ihre Überschuldung
Doch auch nach dem Kompromiss der Euro-Finanzminister droht die Diskussion weiterzugehen. Neben der OECD, die eine Erhöhung des Rettungsvolumens auf eine Billion Euro forderte, kündigte auch Frankreich an, für diese Summe kämpfen zu wollen.
Schäuble erteilte diesem Ansinnen eine Absage. Fragt sich nur, wie lange die Bundesregierung diesmal standhaft bleibt.
(mit Material von dapd und Reuters)