Strafzins

Negative Zinsen sind Fluch und Segen

Bislang zahlen nur Firmen- und Privatkunden mit hohen Einlagen in Deutschland negative Zinsen. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Privatkunden mit weniger Geld drankommen - ein einmaliger Vorgang.

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Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Quelle: dpa

"Einmalig" ist in diesen Zusammenhang genau das richtige Wort. Denn die deutschen Banken reagieren mit ihrer Geschäftspolitik auf eine einmalige Entwicklung bei der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Diese hat am 4. September ihren Einlagesatz auf minus 0,2 Prozent gesenkt. Damit müssen Banken, wenn sie liquide Mittel bei der EZB deponieren, negative Zinsen zahlen.

Die EZB ist die einzige Stelle, bei der Banken ihr Geld aufbewahren können. Damit hat die EZB für die kurzfristigen Zinsen eine Preissetzungsmacht. Sie ist quasi ein Monopolist. Das ergibt sich aus ihrer Rolle als Bereitsteller von Liquidität für das Bankensystem.

Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe

Banken haben innerhalb des Bankensystems nur wenige Möglichkeiten, liquide Mittel aufzubewahren. Da Banken ihre Liquiditätsüberschüsse nicht bei sich selbst anlegen können, unterhalten sie ihr "Girokonto" bei der entsprechenden Landeszentralbank.

Wenn man also einen Überschuss auf diesem Konto belässt, wird dieser nun automatisch mit negativen Zinsen versehen. Alternativ kann eine Geschäftsbank überschüssige Liquidität an andere Banken verleihen und würde dann auch wieder positive Zinsen bekommen.

Das Problem: Im Bankensystem gibt es aktuell einen Liquiditätsüberschuss von 83 Milliarden Euro. Banken mit guter Bonität haben kaum Bedarf, sich mit Liquidität im Bankenmarkt zu versorgen.

Der Instrumentenkasten der EZB

Dieser Liquiditätsüberschuss ist von der EZB beabsichtigt und wird auch noch einige Zeit Bestand haben. Alternativ könnte eine Geschäftsbank natürlich Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel nutzen.

Kaum Alternativen

Hierbei entstehen aber große logistische und sicherheitstechnische Herausforderungen, da diese großen Summen natürlich viel Raum benötigen sowie auch entsprechend transportiert und bewacht werden müssen.

Als weitere Alternative bietet sich für eine Bank natürlich an, die überschüssige Liquidität in Gold oder in Fremdwährung anzulegen. Die Devisen können dann auch, bei entsprechender Zentralbankfähigkeit, bei der entsprechenden Notenbank geparkt werden. Jedoch ergibt sich hiermit ein Wertänderungsrisiko, das eine Bank natürlich eigentlich auch nicht eingehen möchte.

Wenn eine Geschäftsbank ihre Liquidität nicht geschäftlich nutzt, wie beispielsweise für Kredite, und sie die Liquidität ohne Risiko aufbewahren möchte, dann kostet das Geld - etwa in Form negativer Zinsen oder sonstigen Aufwands.

Entsprechend ist es nicht wirklich verwunderlich, dass die Banken mit der Zeit dazu übergehen, sich der Praxis der EZB anzuschließen und die Geldhaltung mit negativen Zinsen oder sonstigen Gebühren zu bepreisen.

Warum die EZB negative Zinsen berechnet

Damit drängt sich aber die Frage auf, warum die EZB negative Zinsen berechnet? Letztendlich möchte die EZB genau das erreichen, was oben beschrieben wurde. Geldhaltung soll unattraktiv sein, überschüssige Liquidität soll wirtschaftlich genutzt werden.

So sollen Geschäftsbanken einen größeren Anreiz bekommen, mehr Kredite zu vergeben, die Einlagen ihrer Kunden also als Kredite an private Haushalte oder Unternehmen weiterzugeben, was eine ihrer grundlegenden Aufgaben im Wirtschaftssystem darstellt.

Denn die Kreditvergabe im Euroraum ist rückläufig. Diese ungünstige Entwicklung möchte die EZB mit den negativen Zinsen beheben oder zumindest lindern. Das Problem dabei ist jedoch, dass in Deutschland das Kreditangebot der Banken die Kreditnachfrage deutlich übersteigt. Es ist also in der Realität sehr schwer, das Kreditengagement auszuweiten.

Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag

Gleichzeitig ist im südlichen Währungsraum zwar die Kreditnachfrage sehr hoch, jedoch ist hier das wirtschaftliche Risiko eines Kredites auch um einiges höher, da diese Länder aus einer tiefen Rezession kommen und die Unternehmen teilweise wirtschaftlich auf keinem guten Fundament stehen. Entsprechend sollten hier auch die Kreditraten entsprechend höher sein, was aber wiederum die Kostentragfähigkeit vieler Unternehmen übersteigt.

Paradoxe Situation

Es liegt also die paradoxe Situation vor, dass in Deutschland zu wenig Nachfrage für das Kreditangebot vorliegt und im Süden des Währungsraums die Banken aus risikopolitischen Überlegungen einen Teil der Kreditnachfrage nicht bedienen können. Die Zurückhaltung in diesen Ländern wird zudem auch noch durch das regulatorische Umfeld begünstigt.

Entsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass die negativen Notenbankzinsen die Kreditvergabe im Euroraum bislang nur in einem sehr geringen Ausmaß positiv beeinflusst haben.

Die negativen Einlagezinsen der EZB wirken sich aber auch noch auf andere Felder der Realwirtschaft aus. Naturgemäß sind bei negativen Zinsen die Schuldner die größten Profiteure.

Aktuell sind die Staaten die größten Schuldner im Euroraum. Daher überrascht es kaum, dass die Staatshaushalte der Euro-Länder von der Entwicklung der Notenbankzinsen in den vergangenen Monaten am stärksten profitiert haben.

So sollten die Zinsausgaben von Italien bis 2019 im Vergleich zu einer Phase mit "normalen" Zinsen um rund 43 Milliarden Euro niedriger ausfallen, und in Frankreich beläuft sich die Ersparnis auf rund 20 Milliarden Euro.

Selbst Deutschland kann hier einen nicht unerheblichen Rückgang der Zinsausgaben verzeichnen, der es letztendlich auch ermöglichte, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt für 2015 vorzulegen.

Das Problem dabei ist natürlich, dass sich dieses für die Staaten sehr günstige Umfeld zukünftig auch wieder ändern dürfte. Zwischenzeitlich sinkt jedoch der Konsolidierungsdruck für die betreffenden Länder, und die politischen Entscheidungen für eigentlich notwendige strukturelle Reformen fallen umso schwerer.

Daher mahnt die EZB auch in regelmäßigen Abständen, dass sie den Ländern nur die Zeit geben könne, um strukturelle Reformen anzupacken. Der politische Prozess muss natürlich in den jeweiligen Ländern vorangetrieben werden.

Falls die Länder es versäumen, die ihnen geschenkte Zeit zu nutzen, wird die Phase steigender Zinsen umso schmerzhafter werden. Es könnte dann auch leicht wieder zu einem Verlust des Investorenvertrauens kommen, mit den bekannten Auswirkungen auf die Risikoprämien der entsprechenden Staatsanleihen.

Hierin liegt auch die Gefahr begründet, dass die EZB, vor die Entscheidung gestellt, die Zinsen aus makroökonomischen Gründen wieder anzuheben, zu lange wartet, mit unangenehmen Folgen für die Inflation und den Kapitalmarkt.

Investoren gehen höheres Risiko

Die negativen Einlagenzinsen der EZB haben nicht nur Auswirkungen auf die Geschäftsbanken, sondern wirken sich ebenfalls stark auf die internationalen Kapitalmärkte aus. Dabei sind die Reaktionen der Investoren in solchen Phasen immer ähnlich und auch bekannt.

In Phasen niedriger Zinsen gehen Investoren in der Regel ein immer höheres Risiko ein, um für ihre jeweilige Zielsetzung eine akzeptable Rendite zu erhalten. Investoren, die normalerweise in Staatsanleihen mit einem guten Rating investieren, neigen dann dazu, beispielsweise Staaten mit einem schwächeren Rating zu kaufen oder man sucht stattdessen relativ sichere Unternehmensanleihen.

Stimmen aus dem Ausland zur EZB-Politik

Nach einer gewissen Zeit sind dann alle Assetklassen hoch bewertet und aus einer historischen Risiko-Ertrag Betrachtung nicht mehr attraktiv. So ist gegenwärtig der komplette Euro-Rentenmarkt sehr ambitioniert bewertet ist, was auch für die Aktienmärkte gilt.

Man hört jedoch immer das Argument, dass es eigentlich keine Alternative hierzu gibt, da die relativ risikolose Anlage keine Rendite mehr abwirft. Die Kapitalmärkte entfernen sich also zunehmend von den realwirtschaftlichen Grundlagen.

Dies geht in der Regel solange gut, wie die Notenbanken ihren Kurs nicht ändern. Wenn die Währungshüter aber später den Kurs straffen müssen, kann es an den Kapitalmärkten sehr leicht zu merklichen Anpassungen und somit zu deutlichen Bewertungskorrekturen kommen.

Umso wichtiger ist es für Investoren, einen guten Blick auf die anstehenden Aktionen der Zentralbank zu haben, da die Performance der jeweiligen Assetmärkte hiervon maßgeblich abhängt und weniger von der jeweiligen fundamentalen Entwicklung.

Je länger diese Phase der negativen EZB-Zinsen anhalten wird, desto stärker werden die Auswirkungen auf das Bankensystem und die Kapitalmärkte sein. Die EZB verfolgt mit den niedrigen Zinsen klare realwirtschaftliche Ziele und geht dabei Risiken ein.

Es ist jedoch zumindest fraglich, ob im derzeitigen wirtschaftlichen und regulatorischen Umfeld die möglichen Erfolge einer solchen Zinspolitik die Risiken extrem niedriger Zinsen kompensieren.

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