Umfrage zu Europa Alle gegen Deutschland?

Arrogant, herzlos und schon gar nicht vertrauenserweckend: Südeuropäer werfen den Deutschen in einer Umfrage schlechten Charakter vor. Liebe Griechen, Spanier und Italiener: Wir müssen reden!

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Die Politik der deutschen Bundesregierung schadet Europa, finden einige Tausend

Es war zu befürchten. Ja, auch, dass die Europäische Union dramatisch an Zustimmung verliert, wie eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts „Pew Research Center“ unter gut 7600 Menschen in acht europäischen Ländern ergab. Schließlich steckt die überwiegende Mehrheit der Mitgliedsländer der Staatengemeinschaft in einer tiefen Wirtschafts- und Schuldenkrise. Der Frust der Europäer ist groß – und Brüssel traditionell ein willkommener Frustableiter. Immerhin: Trotz allen Ärgers, etwa in Frankreich, wo 58 Prozent der Befragten die Arbeit der Europäischen Union negativ bewerten, will nur eine kleine Minderheit der Befragten raus aus der Gemeinschaftswährung, dem Euro.

Nein, deutlich unangenehmer ist das zweite zentrale Ergebnis der „Pew“-Studie. Vor allem für deutsche Ohren. So wurden die Befragten gebeten, ihre europäischen Nachbarn einzuschätzen und zu bewerten. Deutschland kommt dabei – wie erwartet – schlecht weg. Für Griechen, Italiener und Spanier ist Deutschland die arroganteste Nation Europas. Die Deutschen sehen das naturgemäß anders und zeigen (wie die Briten) mit dem Finger auf Frankreich. Die schießen zurück: "Deutschland ist herzlos!", schallt es aus Paris. Dem stimmt die Mehrheit der Befragten in sechs von acht Ländern zu. Für Griechen und Polen ist Deutschland zudem die am wenigsten vertrauenserweckende Nation.

Ist Deutschland in Europa also isoliert, wie die „Welt“ auf ihrer Website schreibt? Ist Deutschlands Image in der Welt in Gefahr? Ich glaube nicht. Zur Erklärung eine persönliche Anekdote: Ich war Anfang Mai in Brüssel zu einem Seminar der EU-Kommission mit 27 Journalisten. Einer, aus jedem Mitgliedsland der Europäischen Union. Als Deutscher wählt man vor der Begrüßungsrunde freilich nicht den Platz neben der Griechin, sondern freut sich, dass zwischen dem tschechischen und dem niederländischen Kollegen noch ein Platz frei ist. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis in der Eröffnungsdiskussion über die Ursachen und Auswirkungen der Schuldenkrise in Europa die Vorwürfe kommen: Deutschland treibe mit seinem Spardiktat die Länder in den Ruin. Die Austeritätspolitik würge das letzte Quäntchen Wirtschaftswachstum ab. Es gebe nur einen Profiteur dieses Wirtschaftskurses: Deutschland, das sich zum Nulltarif Geld leihen und über Beschäftigungsrekorde freuen kann. Von dieser Feststellung ist es nicht weit bis zur Forderung: Öffnet das Portemonnaie.

So viel zahlt Deutschland für Europa

Das gilt natürlich nicht für das eigene Land. Geschickt verweist der Italiener auf das Leid in Griechenland. Ob man schon einmal seit Ausbruch der Krise in Athen war? Warum wir Deutschen Armut und Leid in dem Euro-Krisenland dulden? Deutschland, erwidere ich, kann nicht für alle zahlen. Wir drohen uns zu übernehmen. Hinzu kommt: Geld allein schafft kein Wachstum. Dazu sind Strukturreformen nötig. Und solidarisch sind wir sehr wohl. Schließlich bürgen wir über die Rettungsschirme und der EZB-Beteiligung für einen großen Teil der Hilfskredite.

"Im nächsten Leben möchte ich Deutscher sein"

Und siehe da: Der italienische Wirtschaftsjournalist lenkt ein. Ja, Reformen seien wichtig, sagt er. Hoffentlich greife die neue Regierung in Rom durch und wage sich an Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Auch die slowenische Kollegin mischt sich ein. Unser Gespräch wird persönlicher. Beide Zeitungsreporter berichten, wie schwer die Situation in ihrem Land ist. Dass Gehälter gekürzt wurden. Dass die Slowenin, die eine vierjährige Tochter hat, aufgrund von Geldnot wieder bei ihren Eltern ins Haus eingezogen ist. Auch der italienische Kollege wohnt noch zu Hause. Zu teuer seien die Mieten für Wohnungen in Mailand. Trotz Studium. Trotz Festanstellung und Wochenend-Diensten.

Und dann wird aus dem vermeintlichen Hass auf Deutschland plötzlich Neid. „Ich würde gerne mit dir tauschen“, sagt der Italiener. „Im nächsten Leben möchte ich als Deutscher geboren werden.“ Das Land sei stabil, demokratisch, wirtschaftlich stark. Die Slowenin schweigt und nickt. Mein Versuch, die Stimmung – mit dem nicht ganz ernst gemeinten Einwand, dass bei uns die Sonne weniger scheint als in Südeuropa – zu lockern, misslingt. Damit könne er leben, so der Mailänder. Genauso, wie mit der deutschen Mentalität.

Was uns diese Begegnung lehrt? Es gibt – bei der überwiegenden Zahl der Bürger – in Südeuropa keinen Hass auf Deutschland. Wir werden mit Argwohn betrachtet, vor allem die Politik der Bundesregierung. Aber auch mit Respekt. Wer in wirtschaftlicher Not ist, der sucht nach einfachen Antworten. Deutschland soll für alle zahlen, ist solch ein Schnellschuss. Bei Anti-Merkel-Demonstrationen auf Zypern mitzumachen, ebenso. Und auch in Umfragen zu sagen, die Bundesrepublik ist herzlos und arrogant. Einen nachhaltigen Deutschland-Hass sollte man daraus nicht ableiten.

Standpunkte müssen erklärt, Solidarität gezeigt werden

Liebe Griechen, Spanier und Italiener: Lasst uns reden! Lasst uns Argumente austauschen, die Position der Nachbarn zu verstehen versuchen und Lösungen finden. Wer miteinander statt übereinander redet, das ist meine Erfahrung aus Brüssel, schafft Vertrauen und Verständnis. Jeder Einzelne ist gefordert, insbesondere aber die Politik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel täte gut daran, ihre Euro-Rettungspolitik öfter und detaillierter zu erklären. Im Inland, wie im Ausland. Sie sollte sich öfter in Südeuropa zeigen, den Bürgern in den Krisenländern ihre Unterstützung zusichern – aber auch ihre Standpunkte und die Notwendigkeit von Spar- und Reformprogrammen erklären. Das tut die Bundesregierung zu wenig. Viel weniger noch machen das die Mitglieder der EU-Kommission in Brüssel oder die Regierungen in den Krisenstaaten. Um von eigenen Fehlern abzulenken, zeigen die politisch Verantwortlichen auf Zypern oder in Griechenland auf Deutschland. Berlin sei Schuld an der Krise und verschlimmere die Lage der Bevölkerung. Eigene Fehler werden totgeschwiegen. Die Erkenntnis: Jeder der vermeintlichen Elite in Europa denkt zuerst an sich.

Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass das Vertrauen der Bürger in die europäischen Staatengemeinschaft so gering ist. Unabänderlich ist dieser Zustand nicht.

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