Unternehmertum Darum verliert Deutschland den Anschluss

Deutschlands Wirtschaft läuft so gut wie nie. Aber wie sieht das in Zukunft aus? Beängstigend, sagt eine neue Studie. Demnach schwächelt das Gründertum hierzulande und auch bei unternehmensinternen Innovationen sind andere Länder besser. Nur Spanier, Italiener, Griechen und Franzosen haben noch weniger zukunftsfähige Ideen als Deutsche. Europas industrielles Herz droht zu verkümmern.

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ein Mann malt verschiedene Symbole auf eine Wand. Quelle: Fotolia

Alessandro Petazzi hat schon als Berater gearbeitet. Er war in London und in den USA hat er auch schon beruflich Zeit verbracht. Dann aber wollte Petazzi, heute Mitte 30, ein Unternehmen gründen. Und er zog nach Mailand.

„Die Bedingungen sind vielleicht manchmal schwierig“, sagt Petazzi, während er den Blick aus den Fenstern der neuen Unternehmenszentrale auf das Mailänder Häusermeer wendet und sich an die letzte Diskussion mit einer Mailänder Behörde erinnert. „Aber Mailand hat einen Vorteil: Viele junge Menschen aus aller Welt würden hier gerne mal ein Jahr leben und arbeiten – und wenn man ihnen einen Arbeitsplatz in englischer Sprache bietet, dann kommen sie.“ Und so schreiben mittlerweile knapp 100 Leute aus 13 Ländern an der Erfolgsgeschichte von Musement – einem Onlineportal, das Touristen Programme für ihre Reisen verkauft und in 55 Ländern aktiv ist.

So schön allerdings die Geschichte von Gründung und Aufstieg von Musement ist, so ungewöhnlich ist sie auch im Italien dieser Tage. Denn Petazzi und seine beiden Mitgründer haben etwas getan, was in Italien in diesen Zeiten nahezu niemand macht: Sie hatten eine frische Idee und haben daraus ein Geschäftsmodell geformt. Dass sie nach wie vor existieren, dass sie gerade sogar eine neuerliche Kapitalrunde erfolgreich bestritten haben, grenzt an ein mittleres Wunder. Denn eigentlich ist Italien so unattraktiv für Innovatoren und Gründer wie kein anderes Industrieland. Zu dem Ergebnis kommt jedenfalls eine Studie des Weltwirtschaftsforums, die heute veröffentlicht wird.

Zukunftsfähigkeit: Diese Länder schneiden besonders gut ab

Aus deutscher Sicht freilich ist das kein Grund zur Überheblichkeit. Denn um Innovationsfreude und Gründergeist steht es in der größten Volkswirtschaft der Eurozone nicht wesentlich besser als in der drittgrößten.

Das Weltwirtschaftsforum hat für seine Studie „Europe’s Hidden Entrepreneurs“ alle 28 EU-Staaten verglichen auf Aktivitäten von Gründern und Anzahl der Innovationen, die aus bestehenden Unternehmen entstehen. Und über beides hinweg schneiden nur Italien, Griechenland, Spanien und Frankreich schlechter ab als Exportweltmeister Deutschland.

Zwei Erkenntnisse stechen dabei hervor: Europa ist unternehmerisch besser als sein momentaner Ruf, vor allem bei der unternehmensinternen Innovation. Gleichzeitig sind die größten Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien in Gefahr, wirtschaftliches Potenzial ungenutzt zu lassen, da die Zahl der Unternehmer in Neugründungen niedrig liegt. Oder anders formuliert: Viele kleine europäischen Länder sind in Sachen Zukunftsfähigkeit gut aufgestellt, ganz an der Spitze Estland und Schweden – aber ausgerechnet die bisherigen industriellen Schwergewichte schwächeln. Was heißt das nun?

Starke Erfinder, zögernde Gründer

Insgesamt, argumentieren die Autoren der Studie, stehe es ja um Europa tatsächlich besser als gedacht. Aber, schreiben sie: „Die Ergebnisse variieren stark und sind wirklich schlecht in Europas industriellem Herz.“ Gerade Deutschlands schlechtes Abschneiden überrascht angesichts der Erfolgswelle, auf der die Wirtschaft seit einigen Jahren schwimmt. Tatsächlich schlagen sich die Unternehmen bei Innovationen, die aus bestehenden Firmen kommen, noch vergleichsweise gut. Beim so genannten Intrapreneurship belegt Deutschland Rang 16 von 28. In Sachen Gründergeist dann aber landet die Bundesrepublik auf Platz 24 recht abgeschlagen, was auch den schlechten Gesamtplatz erklärt.

Zukunftsfähigkeit: Diese Länder schneiden besonders schlecht ab

Für ihre Studie haben die Schweizer zwei ihrer eigenen Indizes in Beziehung zueinander gesetzt: Den Index über die globale Wettbewerbsfähigkeit und ihren weltweiten Gründermonitor, der in mehr als 100 Ländern weltweit die Gründungsabsicht und -einstellungen von jeweils mehr als 2000 jungen Menschen erfragt. Die Kombination beider Übersichten soll nun zum einen nachweisen, wie zukunftsfähig die einzelnen Volkswirtschaften sind und zum anderen wie nationale und internationale Politik selbige heben können.

Zwar gründen tatsächlich in europäischen Ländern – egal ob bei Spitzenreitern wie Estland, Schweden und Lettland oder Schlusslichtern wie Griechenland und Italien – weniger junge Menschen ein völlig neues Unternehmen (angesichts vergleichsweise gut entwickelter Arbeitsmärkte haben sie oft schlicht nicht die absolute Not, sich in die Selbstständigkeit zu wagen). Allerdings betätigen sich Europäer weit überdurchschnittlich häufig als Entwickler von Ideen, Innovationen und neuen Geschäftsmodellen innerhalb bestehender Unternehmen. Bei dieser Kennziffer liegen unter den Regionen dieser Welt nur Nordamerika und Kanada vor den Europäern.

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