Weltwirtschaft Finanzkrise: Wer muss noch büßen?

Je mehr die Finanzkrise die globale Wirtschaft bedroht, desto lauter werden die Rufe nach dem Staat. Kann er jetzt die Krise noch stoppen? Und vor allem: Wie kann er dafür sorgen, dass sie sich nicht wiederholt?

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Der Rückgang der Quelle: dpa

Ulrich Hartmanns Verteidigung hatte genau 2826 Wörter, dauerte knapp 45 Minuten und wiederholte sinngemäß immer nur das eine: Der Aufsichtsrat habe nichts gewusst. Die Ratingagenturen und Wirtschaftsprüfer hätten nichts bemerkt. Und: „Wir hatten keine Chance.“

In fast schon gespenstiger Ruhe hörten die Aktionäre der Mittelstandsbank IKB am Donnerstag auf der Hauptversammlung in Düsseldorf den Beteuerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden zu. Dann brach aus vielen blanke Wut heraus. Das einstige Witwen- und Waisenpapier ist abgestürzt. Viele haben ihr mühsam Erspartes verloren. Jetzt wollen die Aktionäre wissen, wer dafür büßen muss.

Doch es hat nicht nur die Aktionäre der IKB erwischt. 13 Monate nach den ersten Anzeichen von Problemen mit bestimmten US-Immobilienfinanzierungen, sogenannten Subprime-Hypotheken, ist das globale Finanzsystem ins Wanken geraten. Was als Finanzkrise begann, vermeintlich begrenzt und beherrschbar, hat sich längst zu einer tief greifenden Vertrauenskrise im globalen Finanzsektor entwickelt und droht jetzt in einer Weltwirtschaftskrise zu münden. Weil sich die Banken untereinander kein Geld mehr leihen, da sie nicht wissen, wem als Nächstem die Pleite droht, werden auch den Unternehmen die Kredite knapp.

Das zeigt sich zum Beispiel an den Risikoaufschlägen für die Absicherung amerikanischer Unternehmensanleihen: Sie haben sich seit einem Jahr verfünffacht. Die Schockstarre in der Finanzwelt droht so auch die Realwirtschaft zu erfassen. Weltweit werden die Wachstumsprognosen nach unten revidiert. Der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan spricht schon von der „schlimmsten Finanzkrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“. Vergleiche wie diese wecken Erinnerungen: An die große Weltwirtschaftskrise 1929, als in den USA die Börse krachte und an die deutsche Bankenkrise 1931, als die Menschen Schlange standen vor der Danat-Bank, um ihr Erspartes zu retten.

Nicht nur in New York, auch in London und Frankfurt steigt die Nervosität. Nur so erklärt sich, dass Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der bisher nicht als sonderlich staatsgläubig auffiel, Zweifel an den Selbstheilungskräften des Marktes äußerte und ein Eingreifen der Politik forderte.

Damit ist er nicht allein. Nouriel Roubini von der New York University warnt: „Für diese Krise existiert keine Marktlösung.“ Sein Horrorszenario ist eine gewaltige „Finanzschmelze“, in der sich die Krise durch alle Bereiche des US-Finanzsystems hindurch frisst und zu einer schweren Rezession führt – nicht nur in Amerika, sondern in der ganzen Welt.

Er könnte durchaus recht behalten. Die US-Wirtschaft dürfte sich jedenfalls schon in einer Rezession befinden: Mehr als 60.000 Jobs gingen im Februar in der Wirtschaft verloren, das Verbrauchervertrauen befindet sich im freien Fall. In Deutschland ist davon zwar noch immer erstaunlich wenig zu spüren. Der Frühindikator des Münchner ifo Instituts stieg sogar im März leicht an. Doch ifo-Chef Hans-Werner Sinn bezweifelt, dass Deutschland sich dauerhaft von der US-Krise abkoppeln kann.

„Im Export sieht man schon jetzt Bremsspuren“, sagt auch Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Die Sorgen wachsen auch im mächtigsten Finanzzentrum Europas, der Londoner City. Hier, wo das Herz des britischen Kapitalismus schlägt, ist die Stimmung gekippt. Gründonnerstag traf sich Notenbankchef Mervyn King mit der Creme der britischen Bankenwelt, aber von vorösterlicher Harmonie war wenig zu spüren. Die Bankchefs fühlen sich von der Zentralbank im Stich gelassen. „King kapiert es einfach nicht“, schimpfte ein Banker hinterher. „Während in den USA alles für die Sicherung des Finanzsystems getan wird, wissen wir immer noch nicht, was er zu tun gedenkt.“

Zwar sind die Politiker alarmiert, aber noch agieren sie hilflos. Wenn sich Ende dieser Woche die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister im slowenischen Brdo zum Ecofin-Rat treffen, will Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wenigstens für mehr Transparenz auf den Finanzmärkten werben – vor allem bei Hedgefonds, die sich bisher staatlicher Regulierung entziehen. Das war für London bislang des Teufels.

Dafür will die britische Regierung in Brdo ein Papier vorgelegen, das die europäische Aufsicht schlagkräftiger machen soll. In dem Dokument, das der WirtschaftsWoche vorliegt, schlägt der britische Finanzminister Alistair Darling vor, die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden bei Finanzdienstleistern, die in mehr als einem Land tätig sind, zu stärken. Er will, dass alle betroffenen Aufsichtsbehörden in einem Team, einem sogenannten „Supervisory College“, zusammenkommen. „Damit wird Doppelarbeit vermieden, was die Effizienz der Aufsicht erhöht und die Kosten für Unternehmen und Behörden senkt“, heißt es in dem Papier.

Vorschläge dieser Art werden auch in der kommenden Woche die Agenda beherrschen, wenn sich die Finanzminister der sieben führenden Industrienationen in Washington anlässlich der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) treffen. Denn die Banker in aller Welt treibt die Angst vor weiteren schweren Einschlägen in der Branche um. Dabei hat der Staat schon einiges getan, besonders in den USA.

Dort hat die Notenbank die Zinsen seit vergangenem September von 5,25 in großen Schritten auf 2,25 Prozent heruntergeschleust. Noch ist zwar die Europäische Zentralbank (EZB) diesem Beispiel nicht gefolgt und hält noch immer beharrlich am Vorkrisen-Zins von 4,0 Prozent fest. Doch dafür hat sie immer wieder über sogenannte Offenmarktgeschäfte riesige Mengen Geld in den Finanzmarkt gepumpt – allein in diesem Jahr waren es schon mehr als 400 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt für dieses Jahr liegt bei 283 Milliarden Euro.

Auch wurden schon einige Banken mit staatlicher Hilfe vor dem sicheren Ruin gerettet: Bei der IKB sprang der Finanzminister mit 1,2 Milliarden Euro ein, nachdem bei der Mutter, der Staatsbank KfW, die 5,3 Milliarden Euro Reserven aus dem Katastrophenfonds aufgebraucht waren. Auch für die WestLB und die Sachsen LB wurden staatliche Rettungspakete geschnürt. In den USA half der Staat bei der Rettung der Investmentbank Bear Stearns, in Großbritannien wurde Northern Rock verstaatlicht, um sie vor der Pleite zu bewahren.

Einigen Ökonomen geht dies alles zu weit. Sie kritisieren, dass immer der Staat einspringen muss, um mit Steuergeldern das Missmanagement hoch bezahlter Vorstände auszugleichen. Nach Ansicht des Bonner Wirtschaftsprofessors Manfred Neumann hätte man auch die trudelnde IKB fallen lassen sollen. „Es ist nicht so tragisch, wenn mal eine Bank pleitegeht.“

Fakt ist: Die bisherigen Aktionen mögen zwar Schlimmeres verhütet haben, doch eine Wende zum Besseren haben sie bislang nicht bewirkt. Die Zinssenkungen in den USA und die Liquiditätsspritzen der wichtigsten Notenbanken sorgten allenfalls für ein kurzes Aufatmen an den Märkten, die Risikoaufschläge gingen vorübergehend zurück, die Aktienkurse legten kurzfristig zu. Doch der generelle Abwärtstrend bleibt intakt. Unbeirrt zieht die Krise weiter ihre Kreise. Die Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass sich die Verluste allein am US-Immobilienmarkt am Ende auf bis zu 500 Milliarden Dollar summieren könnten. Bisher haben die Banken in Europa und den USA erst 200 Milliarden Dollar abgeschrieben.

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