Energiemarkt Frust über Strompreise bringt Wettbewerb in Gang

Seit November vergangenen Jahres wechselten 520.000 Stromkunden zu neuen Anbietern. Der Frust über hohe Preise macht die Deutschen plötzlich wechselmutig. Und sorgt dafür, dass Unternehmen wie E.On und RWE Tariferhöhungen zunächst zurückstellen.

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Strompreise sind in Bewegung, AP

Über Jahrzehnte war der deutsche Energiemarkt fest zementiert: Ein Leben lang überwiesen die Verbraucher Monat für Monat einen festen Betrag an die Stromkonzerne. Auch mit der Liberalisierung vor neun Jahren änderte sich wenig, nur für Großkunden wie BASF lohnte sich das komplizierte Wechselprozedere. Seit der Regulierung der Netze kommt der Wettbewerb in Schwung: In den vergangenen Monaten haben viele hunderttausend Kunden ihren Stromlieferanten gewechselt - zu spüren bekamen dies Stadtwerke und Schwergewichte wie RWE und Vattenfall. Neben Frust über immer neue Preiserhöhungen spielen bei der Wechselentscheidung zunehmend Umweltaspekte eine Rolle, haben Experten beobachtet. Einige Unternehmen - zuletzt RWE und E.On - haben Tarifanhebungen zurückgestellt, um ihr angekratztes Image aufzupolieren. Der Kundenschwund ist aber nicht zu stoppen: „Der Wettbewerb in Deutschland beim Endverbraucher ist in Gang gekommen“, sagt E.On-Chef Wulf Bernotat. Preisnachlässe durch Billiganbieter Nach Angaben des Branchenverbands VDEW wechselten seit November vergangenen Jahres 520 000 Stromkunden zu einem neuen Anbieter. „Das ist der stärkste Anstieg seit 2001“, sagt VDEW-Geschäftsführer Eberhard Meller. Experten erwarten, dass die Dynamik zunehmen wird. Denn der Regulierer hat den Zugang zu den Stromnetzen vereinfacht und damit die Chancen für alternative Lieferanten verbessert. Eine Parallele zum Telekommarkt, der Preisrückgänge von über 90 Prozent verzeichnete, lässt sich aber nicht ziehen. „Energie bleibt teuer und wird teurer, insbesondere, weil bei der Preisgestaltung zunehmend klima- und umweltpolitische Ziele verfolgt werden“, sagt Stephan Werthschulte, Energieexperte der Unternehmensberatung Accenture. Der Wettbewerb lockt ausländische Unternehmen an. Zu spüren bekam dies Vattenfall Europe, die nach einer Preiserhöhung in Hamburg und Berlin mehrere zehntausend Kunden an die niederländische Nuon verlor. Über einen Einstieg in das Stromgeschäft denken auch Unternehmen aus anderen Branchen nach, hat Werthschulte beobachtet. „Denkbar ist, dass eine Billiganbieter aus einem anderen Bereich kommt.“ Entsprechende Planspiele soll es bereits bei den Discountern Aldi und Lidl geben. Dann könnten die Preise „erdrutschartig“ nachgeben, sagt Werthschulte. Große Ex-Monopolisten kontern mit Billigmarken Um neuen Konkurrenten einen Riegel vorzuschieben, haben die Platzhirsche Ableger gegründet. So schickte EnBW seine Tochter Yello ins Rennen, E.On und RWE folgten mit eigenen Zweitmarken. Mit unterschiedlichem Erfolg: E.On habe mit der Vertriebstochter „E wie einfach“ seit dem Start im Februar 106 000 Kunden unter Vertrag genommen und damit den Rückgang im Kundenbestand, der bei 60 000 lag, mehr als ausgeglichen, sagt E.On-Chef Bernotat. RWE muss hingegen einen Schwund von „unter 100 000“ Kunden seit Jahresbeginn einräumen. Während die Großkonzerne die Belastungen durch den Wettbewerb durch ihr Auslandsgeschäft abfedern können, steigt der Druck auf die rund 800 Stadtwerke. „Der Markt wird sich weiter konsolidieren; jedes Jahr werden es weniger werden“, prognostiziert Accenture-Experte Werthschulte. Neben dem Kundenrückgang belasten geringere Netzentgelte die Bilanz. Derzeit läuft der Verkaufsprozess für die Stadtwerke Leipzig. Die besten Chancen für einen Zuschlag werden der französischen Veolia und der französisch-belgischen Electrabel eingeräumt. Die beiden Unternehmen wollen Leipzig als Plattform für ihre Expansion in Deutschland nutzen.

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