Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser "Irgendwann geht es nicht mehr"

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser über die tiefe Krise in der Metall- und Elektroindustrie – und warum die Löhne der dort Beschäftigten auch sinken könnten.

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Martin Kannegiesser, Quelle: AP

WirtschaftsWoche: Herr Kannegiesser, haben Sie 2009 Mitarbeiter entlassen müssen?

Kannegiesser: Nein. Mein Unternehmen hat bisher auch keine Kurzarbeit beantragt. Die Auftragseingänge lagen im ersten Quartal zwar 20 Prozent unter Vorjahr. Zum Glück aber waren die Arbeitszeitkonten der Mitarbeiter noch prall gefüllt aus dem vorangegangenen Boom. Davon können wir jetzt zehren, wenn nötig bis zum Spätherbst.

Da geht es Ihnen besser als vielen anderen Unternehmen. Wie ernst ist die Lage insgesamt für die Metall- und Elektroindustrie?

Da müssen Sie sich nur die nackten Zahlen anschauen: Die Produktion lag im ersten Quartal fast 30 Prozent unter dem Vorjahreswert. Die Umsatzrendite wird 2009 erstmals seit vielen Jahren ins Minus rutschen. Im ersten Quartal sind die Erträge durchschnittlich auf minus 1,0 bis 1,5 Prozent geschrumpft...

...und von 250.000 neuen Jobs ist fast die Hälfte schon wieder weg.

In Relation zu den Gesamtbeschäftigten ist das keine Horrorzahl. Obwohl die Kapazitätsauslastung auf einem Tiefstand liegt, ist die Beschäftigtenzahl im Vergleich zum Vorjahr nur um moderate 2,5 Prozent gesunken. Dass viele Unternehmen trotz desaströser Geschäftslage die Beschäftigung über fast neun Monate hinweg weitgehend halten, hat es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte noch nie gegeben.

Liegt das nicht vor allem an der von den Sozialkassen subventionierten Kurzarbeit?

Sicher, die Kurzarbeit spielt eine wichtige Rolle. Fast jeder vierte Beschäftigte in der Metallindustrie ist davon betroffen. Dieses Instrument macht aber nur temporär Sinn. Wir können durch Kurzarbeit keine Strukturprobleme lösen. Insofern glaube ich zwar, dass im Herbst viele Betriebe ihre Anträge auf Kurzarbeit verlängern. Es wird aber auch zu Entlassungen kommen, wenn Unternehmen feststellen, dass sie ihre Kapazitäten dauerhaft anpassen müssen. Irgendwann geht es eben nicht mehr.

Warum trifft die Krise die Metall- und Elektroindustrie stärker als andere Branchen?

80 Prozent unserer Produkte sind Investitionsgüter, die stärker finanzierungsabhängig sind als Konsumgüter. Wenn die Finanzierung einer Investition nicht gesichert ist, etwa weil die Gewinne sinken oder Banken keinen Kredit geben, verzichten die Kunden darauf, eine neue Anlage zu bauen oder eine Maschine zu kaufen. Insofern trifft uns das Zusammenspiel von Finanz- und Wirtschaftskrise doppelt hart.

Sollte Deutschland vielleicht generell sein exportfixiertes Wachstumsmodell überdenken?

Nein. Was da derzeit einige Experten erzählen, ist hanebüchen! Zur Strategie, die Kunden weltweit zu streuen, gibt es keine Alternative. Wir haben 100 Jahre gebraucht, um zur führenden Exportnation der Welt zu werden – nicht, weil es der Kaiser verordnet hat, sondern weil die Kunden unsere Produkte haben wollen.

Sind Sie sicher, dass dies trotz Krise so bleibt?

Absolut. Die langfristigen Perspektiven der Metallindustrie sind ausgezeichnet. Fast alle globalen Megatrends bringen uns Rückenwind. Angesichts der Rohstoffknappheit wird es einen weltweiten Hunger nach Technologie geben – da sind unsere Maschinen- und Anlagenbauer vorn mit dabei. Der Kampf gegen den Klimawandel bringt Aufträge für die Energie- und Umwelttechnik, die Medizintechnik profitiert schon jetzt vom demografischen Wandel.

Das Geschäftsklima im verarbeitenden Gewerbe ist zuletzt gestiegen. Ist die Talsohle vielleicht schon erreicht?

Das ist zum jetzigen Zeitpunkt reine Kaffeesatzleserei und kein stabiler Trend. Wir stehen eher am Übergang von einer konjunkturellen zu einer strukturellen Krise. Die kommenden ein, zwei Jahre werden für unsere Industrie ganz entscheidend, dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer mit seinen Produkten und seinem Geschäftsmodell nicht gut aufgestellt ist und über keine solide Kapitalbasis verfügt, wird vom Markt verschwinden.

Verhält sich die IG Metall kooperativ?

Na ja, das wäre vielleicht zu viel des Lobes. Sagen wir lieber: pragmatisch und in der Regel konstruktiv. Wir haben zum Beispiel vereinbart, dass befristete Verträge sechsmal in vier Jahren verlängert werden dürfen; bisher ging das nur zweimal.

Wenn es den Betrieben so schlecht geht, warum haben dann nur 25 Prozent die mit der IG Metall vereinbarte Möglichkeit genutzt, die jüngste Lohnerhöhung zu verschieben?

Diese Zahl stammt von der IG Metall. Wir gehen von einer höheren Prozentzahl aus. Tatsache ist, dass dieses Element entscheidend zur Lösung der schwierigen letzten Tarifrunde beigetragen hat. Herr Huber hat gesagt, dass sich die Verschiebbarkeit als Flexibilisierungsinstrument bewährt habe. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Die nächste Tarifrunde steht 2010 an. Drohen den Beschäftigten dann sinkende Löhne?

Es ist zu früh, darüber zu spekulieren. Fakt ist aber, dass die klassische Lohnformel der Gewerkschaften zunächst ausgedient hat. Danach sollen sich die Tariferhöhungen ja an Inflationsrate und Produktivitätszuwachs orientieren. Die Produktivität der Metallindustrie ist wegen der geringen Auslastung in den ersten vier Monaten um 17,6 Prozent gefallen, die Inflationsrate lag zuletzt bei null. Die Lohnpolitik muss darauf reagieren. Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel.

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