Deutsche Wirtschaft legt zu Flüchtlinge erweisen sich als Segen für die Konjunktur

Die deutsche Wirtschaft hat ihr Wachstum 2016 abermals gesteigert. Gleichzeitig ist die Unsicherheit derzeit besonders hoch. Klar ist: Früher oder später geht Deutschland die zahlungskräftige Nachfrage aus. Eine Analyse.

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Einen überdurchschnittlichen Wachstumsbeitrag leistete der Staat, weil dieser wegen des starken Zustroms Schutzsuchender seine Ausgaben kräftig ausweitete. Quelle: dpa

Angetrieben von zusätzlichen Ausgaben für die Bewältigung des Flüchtlingszustroms und niedrigen Zinsen hat die deutsche Wirtschaft ihr Wachstum im abgelaufenen Jahr nochmals gesteigert. Das Bruttoinlandsprodukt legte 2016 das dritte Jahr in Folge auf inflationsbereinigte 1, 9 Prozent zu. Das meldete das Statistische Bundesamt Destatis am Donnerstag. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre fiel das Wirtschaftswachstum mit 1,4 Prozent einen halben Prozentpunkt geringer aus. 2015 war die Wirtschaft um 1,7 Prozent gewachsen.

Einen überdurchschnittlichen Wachstumsbeitrag leistete, was die Nachfrageseite angeht, der Staat. Weil dieser wegen des starken Zustroms Schutzsuchender seine Ausgaben kräftig ausweitete, nahm der sogenannte Staatskonsum um 4,2 Prozent zu. „Einen stärkeren Zuwachs des Staatskonsums hatte es zuletzt 1992 in Folge der deutschen Wiedervereinigung gegeben“, sagte der Präsident des Statistischen Bundesamts, Dieter Sarreither bei der Vorstellung der Zahlen. Außerdem trieb der Boom der Bauwirtschaft das Wachstum.

Der Wohnungsbau boomt einerseits wegen der Bevölkerungszunahme, andererseits wegen der rekordniedrigen Zinsen für Hypothekenkredite. Diese erleichtern es Familien und Investoren erheblich die finanzielle Belastung aus dem Kauf oder Bau einer Immobilie zu tragen. „Die kontrovers diskutierte Flüchtlingskrise und die ultra-laxe Geldpolitik der EZB haben sich als Segen für die Konjunktur erwiesen“, kommentierte Analyst Carsten Brzeski von der ING-Diba die Wachstumszahlen.

Insgesamt war die Entwicklung der verschiedenen Bereiche der Wirtschaft jedoch relativ ausgewogen. Der private Konsum stieg mit zwei Prozent fast genauso stark wie die Wirtschaftsleistung insgesamt. Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen fiel mit 1,7 Prozent nur etwas weniger aus.

Der Außenhandel leistete, gemessen am preisbereinigten Überschuss der Exporte über die Importe, keinen Wachstumsbeitrag. Dieser Überschuss nahm leicht ab. Das heißt allerdings nicht, dass der immer wieder kontrovers diskutierte deutsche Überschuss im Außenhandel ebenfalls gesunken wäre. Denn in tatsächlichen Werten gerechnet, also ohne Preisbereinigung, nahmen die Ausfuhren mit 1,5 Prozent stärker zu als die Einfuhren mit 0,7 Prozent.

Diese Prognose sei noch mit Unsicherheiten behaftet, erläuterten die Statistiker, da bislang nur die Hälfte aller Konjunkturindikatoren für das vierte Quartal vorlägen. Das Statistikamt geht anhand dieser Indikatoren davon aus, dass das BIP im vierten Quartal gegenüber dem dritten preisbereinigt um 0,5 Prozent zugenommen hat. Eine erste offizielle Schätzung zum vierten Quartal wird am 14. Februar veröffentlicht. Auf das Jahresergebnis haben kleinere Korrekturen für das letzte Quartal normalerweise kaum noch Einfluss.


Experten: Aufschwung schwächt sich 2017 ab

Für die Arbeitnehmer war 2016 ein gutes Jahr, auch im Vergleich zu den Empfängern von Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Ohne Abzug der Inflation stiegen die Arbeitnehmereinkommen um 3,6 Prozent, die Kapitaleinkommen nur um 3,1 Prozent. Diese hohen Einkommenszuwächse, die auch mit den niedrigen Notenbankzinsen zusammenhängen, relativieren die Diskussion um die „Enteignung“ der Sparer durch die niedrigen Zinsen, die sie auf ihre früheren Ersparnisse bekommen.

Gegenstück zur guten Entwicklung der Finanzen des Staatssektors, der mit einem Plus von 19 Milliarden Euro abschloss, war allerdings, dass die verfügbaren Ausgaben der privaten Haushalte mit 2,8 Prozent deutlich schwächer zulegten als die Einkommen vor Steuern und Transfers.

Für das laufende Jahr rechnen die meisten Prognostiker damit, dass sich der Aufschwung abgeschwächt fortsetzt. Die Gemeinschaftsdiagnose der großen Forschungsinstitute und die Bundesregierung gehen von einer Wachstumsrate von 1,4 Prozent aus. Der Rückgang des Wachstums ist aber überzeichnet dadurch, dass das Jahr 2017 drei Arbeitstage weniger hat als 2016. Arbeitstäglich bereinigt betrug die BIP-Zunahme 2016 nicht 1,9 Prozent, sondern 1,8 Prozent und die Prognosen für 2017 sind arbeitstäglich bereinigt etwas höher anzusetzen.

Etwas skeptischer ist die Deutsche Bank. Ihr Konjunkturexperte Oliver Rakau sagte, das Wachstumstempo sei überzeichnet, weil die Kosten für die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge den staatlichen und auch privaten Konsum nach oben getrieben hätten. „2017 wird dies wohl nicht mehr in gleichem Maße der Fall sein. Wir erwarten daher nur noch ein Wachstum von 1,1 Prozent“, dämpfte er die Erwartungen.

Die Unsicherheit für die weitere Wirtschaftsentwicklung ist derzeit besonders hoch. Einerseits erwarten viele vom neuen US-Präsidenten Donald Trump eine Konjunkturbelebung durch steigende Staatsausgaben, von der auch die deutsche Wirtschaft profitieren könnte. Andererseits drohen durch ihn auch importbeschränkende Maßnahmen, die die Exportwirtschaft der Bundesrepublik besonders hart treffen würden. Hinzu kommt die schwelende Krise des Euroraums, die jederzeit wieder akut werden könnte.

Klar ist, dass Deutschland nicht auf Dauer einen Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von 8,5 Prozent der Wirtschaftsleistung aufrecht erhalten kann. Irgendwann geht die zahlungskräftige Nachfrage aus. Früher oder später muss also entweder von der Außenwirtschaft ein beträchtlicher Wachstumsdämpfender Effekt auf die deutsche Wirtschaft zukommen oder die aufgelaufenen Forderungen an überschuldete Handelspartner wie Griechenland und andere Südländer müssen abgeschrieben werden.

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