Freytags-Frage

Warum brauchen wir Wachstum?

Viele Menschen finden eine Gesellschaft ohne Wachstum erstrebenswert - sie irren. Denn Wachstum ist notwendig, um die Arbeitslosigkeit zu senken, Umweltprobleme zu lösen und Klimaziele zu erreichen.

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In den vergangenen Jahren haben die Regierungen der G20 Gipfelerklärungen unterschrieben, die die Elemente einer wachstumsfreundlichen Politik enthalten – aber nur die wenigsten wurden umgesetzt. Quelle: dpa

Auf der G20 Think Tanks Konferenz in Peking wird aktuell über Strategien für das zukünftige Wachstum der Weltwirtschaft diskutiert - vor dem Hintergrund des im November in Brisbane stattfindenden G20-Gipfels. Die australischen Gastgeber haben das relativ ehrgeizige Ziel ausgegeben, dass die Weltwirtschaft in den kommenden fünf Jahren um zusätzliche zwei Prozent wachsen soll. Es geht also um einen global steileren Wachstumspfad.

Während hierzulande viele glauben, dass eine Welt ohne Wachstum möglich und sogar lebenswert ist, wird die Notwendigkeit einer höheren Wachstumsrate in anderen Ländern überhaupt nicht angezweifelt. Aber warum ist Wachstum wichtig? Wer ist dafür zuständig? Und kann die G20 selber liefern?

Dies sind spannende Fragen, die auch das Kernproblem der europäischen Wirtschaftspolitik berühren - nämlich die enorme Arbeitslosigkeit. Zu dessen Reduzierung, insbesondere unter Jugendlichen, ist Wachstum notwendig.

Wachstum ist außerdem erforderlich, um die Umweltprobleme zu lösen und Klimaziele zu erreichen. Denn Wachstum hat sehr viel mit Strukturwandel, Innovation und geringerem Ressourcenverbrauch zu tun. Ohne Wachstum gibt es keinen Strukturwandel. Länder ohne Wachstum wiesen in der Vergangenheit die größten Umweltprobleme auf.

Hier liegt das große Missverständnis der Wachstumskritiker. Außerdem kann Wachstum nicht leicht gebremst werden - außer mit schlechter Wirtschaftspolitik.

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Letzteres hat damit zu tun, dass wirtschaftliches Wachstum ein angebotsseitiger Prozess ist, der durch Individuen getrieben wird. Es sind die Ambitionen und Wünsche der einzelnen Menschen, die eine Wirtschaft wachsen lassen.

Menschen wollen ihre Situation verbessern. Sie streben nach Wohlstand und Sicherheit. Unternehmer reagieren darauf mit neuen Gütern und Diensten; manchmal begründen sie diese Wünsche auch erst mit ihrem Angebot - das ist die praktische Anwendung des Say’schen Gesetzes.

Damit bedrängen oder verdrängen sie außerdem ihre Konkurrenten, die darauf mit besseren oder preiswerteren Angeboten reagieren können. Diesen Prozess nennt man schöpferische Zerstörung. Neue Arbeitsplätze entstehen, alte verschwinden. Unternehmer und ihre Motivation spielen also eine wesentliche Rolle für den Wachstumsprozess.

Schutz vor den notwendigen Strukturreformen

Wirtschaftspolitik kann den Wachstumsprozess unterstützen. Dazu muss man die Angebotsbedingungen für individuelle Akteure stärken - und zwar durch folgende Aspekte

Bildungspolitik: Gute Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Ziele erreichen können. Das heißt nicht, dass alle Menschen einen Hochschulabschluss brauchen. Bildung ist mehr als ein Abschluss. Unser duales Ausbildungssystem hat sich bewährt. Es kommt heute auf Flexibilität an und auf die Fähigkeit, dauerhaft lernen zu können.

Steuersystem: Es sollte fair sein und unternehmerische Initiativen nicht ersticken.

Haftung: Private Akteure haften für ihre Verluste und behalten – mit Ausnahme einer fairen Steuer – ihre Gewinne. Das sollte auch für Banken, Stahlfirmen, die Bahn und andere gelten.

Regulierung: Sie sollte auf die Beseitigung von Marktversagen beschränkt sein. In der Realität dient sie zu oft dem Schutz der Regulierten vor Wettbewerb.

Wettbewerb: Monopole und andere Formen der Wettbewerbsbehinderung müssen vermieden werden. Es gilt, funktionsfähigen Wettbewerb zu erhalten.

Offenheit: Märkte müssen für inländischen und ausländischen Wettbewerber offen sein.

Bürokratie und Korruption: Verwaltungsprozesse sind notwendig, aber sie sollten effizient, nicht um ihrer selbst Willen und ohne Korruption stattfinden.

Externalitäten: In einem Punkt haben Wachstumskritiker Recht. Wachstumsprozesse müssen nachhaltig sein. Das bedeutet, dass sämtliche Kosten einer Aktivität eingepreist werden müssen. Nur so kann das Verhalten in eine umweltfreundliche Richtung gelenkt werden. Anstatt beispielsweise den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu subventionieren - was viele Regierungen tun -, sollten sie ihn eher besteuern. Das sorgt in einer Welt mit Unternehmern für die benötigten Innovationen - und die EU braucht niemandem vorzuschreiben, welchen Staubsauger er verwendet.

Datenkranz: Die Wirtschaftspolitik setzt langfristige Rahmenbedingungen, die Geldpolitik sorgt für Preisniveaustabilität und einen funktionierenden Preis-, also Zinsmechanismus auf den Finanzmärkten.

Das ist keineswegs Konsens. Viele Politiker in der Europäischen Währungsunion (EWU) glauben, dass die Wachstumschancen steigen, wenn der Zinsmechanismus außer Kraft gesetzt wird und die Unternehmen das Kapital für ihre Investitionen quasi geschenkt bekommen - ohne dass die Wachstumsbedingungen geschaffen werden.

Damit wird der Strukturwandel behindert, wenn nicht verhindert. Denn es scheidet niemand mehr aus dem Markt aus, und es kommen zu wenig neue Akteure hinzu.

Gleichzeitig sollen sich Staaten verschulden, um in die Zukunft zu investieren. Mit Nullzinsen geht das natürlich recht einfach. Staaten übernehmen gleich die unternehmerischen Funktionen, ohne selber wirklich unternehmerische Qualitäten bieten zu können. Das Problem der Anbieter von Kapitel, der Sparer nämlich, wird dabei zudem generös übergangen.

Gleichzeitig schützt diese Sicht die Regierenden vor den notwendigen Strukturreformen, derer es bedarf, um die Angebotsbedingungen wachstumsfreundlich zu gestalten - also freundlich für die individuellen Akteure. Diese Reformen sind natürlich politisch schwer durchzusetzen und haben in Europa in den vergangenen Jahren einige Regierungen aus dem Amt geworfen. Dennoch sind sie notwendig.

Und hier kommt die G20 ins Spiel. Die australische Agenda ist in der Tat wachstumsfreundlich. Insofern kann der Gipfel in Brisbane bedeutsam werden, wenn sich die Regierungen auf eine Wachstumsagenda verpflichten. Die Bindungskraft solcher Erklärung sollte einigermaßen hoch sein.

Allerdings ist Vorsicht geboten. In den vergangenen Jahren haben alle Regierungen der G20, also auch die deutsche, französische und italienische Gipfelerklärungen unterschrieben, die die hier beschriebenen Elemente einer wachstumsfreundlichen Politik enthalten. Umgesetzt haben sie wenig.

Die große Koalition in Berlin hat jüngst sogar eine Reihe potenziell wachstumsfeindlicher Maßnahmen beschlossen. Insofern sollte man nicht ausschließlich auf internationale Foren wie die G20 setzen. Ohne die Bereitschaft zur Wachstumspolitik auf nationaler Ebene wird nicht viel passieren. Deshalb sollten die europäischen Regierungen die zu erwartenden Beschlüsse von Brisbane unbedingt ernst nehmen.

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