WirtschaftsWoche: Herr Jennings, das Weltwirtschaftsforum hat vor dem Jahrestreffen in Davos eine Studie veröffentlicht, wonach die digitale Revolution schon in den nächsten Jahren sieben Millionen Jobs in Industrieländern vernichten wird. Ist das nicht etwas Panikmache oder geht Ihnen als Gewerkschaft wirklich die Zielgruppe verloren?
Phillip Jennings: Ich denke, dass die Zahl realistisch ist. Das ist ein Weckruf. Wir müssen aus der digitalen Revolution endlich Konsequenzen für den Arbeitsmarkt ziehen. Die Zahlen sind sehr substanziell.
Was meinen Sie denn mit Weckruf? Die Digitalisierung lässt sich ja nicht einfach stoppen, nur weil Sie schreien.
Aber wir nehmen das Szenario schon zum Anlass, nun auf allen Ebenen Lärm zu schlage. Der Wandel, der da auf uns zukommt wird dramatisch. Es droht die Kannibalisierung von Jobs und Jobinhalten. Es gibt da viel zu tun.
Naja. Bisher hat jeder technische Fortschritt für mehr statt weniger Arbeit gesorgt.
Das stimmt. Es gibt Leute, die das auch dieses mal annehmen, dass es eine Art Digi-Doppel gibt: Also mehr und bessere Jobs durch Technik. Wir glauben aber, diesmal ist es anders.
Anders muss nicht schlechter sein.
Es werden neue Jobs entstehen, natürlich. Aber nicht in der Zahl und Art wie die, die wegfallen. Darauf müssen wir schauen. Leute, die nicht arbeiten, konsumieren auch nicht. Der Ökonom Josef Stiglitz nennt es die große Seuche der Weltwirtschaft, dass Nachfrage wegbricht. Ich haben heute morgen eine Konzernchef gesprochen der sagt: Ich habe keinen Markt mehr, weil keine Nachfrage da ist.
Eigentlich nicht das Problem von Politik.
Letzte Woche haben wir in Paris als Gewerkschaften im OECD-Kreis mit Organisationen, Unternehmern und Arbeitsministern zusammengesessen und die Herausforderung diskutiert. Wir waren uns einig: Es ist ein Sturm, der auf unser Arbeitsmodell zukommt. Was ist der politische Rahmen dafür? Was heißt es für Gesellschaften? Arbeit ist zentral für Menschen, die Qualität der Arbeit ist zentral.
Auf welche Bereiche wirkt sich die Digitalisierung im Arbeitsalltag aus?
47 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, dass sich die Digitalisierung positiv auf das eigenständige Arbeiten auswirkt. 37 Prozent spüren keine Auswirkung, zehn Prozent beklagen negative Einflüsse.
Quelle: Edenred-Ipsos-Barometer 2015, "Wohlbefinden & Motivation der Arbeitnehmer"
45 Prozent sagen, dass die Digitalisierung die Zusammenarbeit verbessert, 13 Prozent sehen eine Verschlechterung.
43 Prozent spüren einen positiven Einfluss der Digitalisierung auf ihre Lebensqualität im Job, 36 Prozent merken gar keine Veränderung und 15 Prozent spüren negative Einflüsse auf die Teamarbeit.
Die Zusammenarbeit mit Kunden verbessert sich laut 42 Prozent der Befragten. Neun Prozent sehen hier eine Verschlechterung.
Eine Verbesserung durch die Digitalisierung erleben 41 Prozent, elf Prozent beklagen negative Einflüsse.
43 Prozent sagen, dass die Digitalisierung an den Kompetenzen nichts verändert hat. 40 Prozent sehen einen positiven Einfluss und acht Prozent einen negativen.
40 Prozent fühlen sich durch die Digitalisierung bei der Arbeit motivierter, bei elf Prozent sehe es durch die Digitalisierung schlechter aus mit ihrer Motivation. Für 43 Prozent hat sich durch die Digitalisierung nichts an ihrer Motivation verändert.
Dank der Digitalisierung können 34 Prozent der Befragten berufliches und privates leichter vereinen. Bei 16 Prozent ist es dagegen schwieriger geworden, beides unter einen Hut zu bekommen. 42 Prozent spüren keine Veränderung.
Bessere Chefs dank Digitalisierung? Keine Veränderung bemerkten 42 Prozent. Einen positiven Einfluss glauben 28 Prozent bei ihren Vorgesetzten bemerkt zu haben, eine Verschlechterung beklagten 28 Prozent.
Wie könnte eine politische Antwort darauf aussehen?
Wir wollen wissen: Wo und wie entstehen Jobs und sind es qualitativ hochwertige Jobs. Es gibt eine Tendenz zum Lohn-Prekariat in Tech-Jobs. Das wollen wir nicht. Ich sehe eine neue Bereitschaft, sich damit auseinander zu setzen. Die zweite Frage ist, wie kriegen wir Leute dazu, sich weiterzubilden. Wir brauchen da aber ein ganz anderes Niveau als bei bisheriger Weiterbildung. Die OECD-Minister sagen, dass 50 Prozent der westlichen Arbeitnehmer jetzt schon von IT überfordert sind. Das geht nicht.
Das klingt vor allem erstmal danach, als wollten sie der öffentlichen Hand als Geld dafür.
Wir haben auch ein Verteilungsproblem. Wir müssen die digitale Revolution so gestalten, dass nicht nur wenige profitieren. Stephen Hawking sagt, wenn nur Kapitalbesitzer gewinnen, dann wird die Welt schlechter. Also müssen wir Steuerpolitik, Einkommensverteilung, Arbeitsmarktpolitik gestalten. Die Nadellas und Zuckerbergs dieser Welt reden da nicht gerne drüber, deswegen sollten wir das tun.
"Diese Gig-Wirtschaft ist keine Lösung"
Die Gefahr ist groß, durch staatliche Regulierung sofort Innovation durch Disruption abzuwürgen.
Die Sozialpartner müssen dafür etwas tun, das kann natürlich nicht nur vom Staat kommen. Die IG Metall ist da schon relativ weit. Man könnte sich auch Vorbild an den Klimaverhandlungen von Paris nehmen: DA wurden Daten gesammelt, alle Wissenschaftler zusammengetrommelt, dann wurden Ziele vereinbart und dann über die Umsetzung gesprochen.
Führen Sie nicht die falsche Debatte. Müsste man nicht eher Bezahlung sichern, nicht klassische Jobs?
Klassische Jobs sind doch nicht altmodisch. Leute sagen: Wir beenden das Zeitalter der Vollbeschäftigung. Das ist doch quatsch. Wenn digitale Wirtschaft heißt, dass du morgens nicht weißt, wo du nachmittags arbeitest oder morgen Deinen Kaffee bezahlst, ist das sicher keine Zukunft. Es gibt diese Tendenz bei den Firmen, die sich nur als Plattformen sehen und Arbeitsbedingungen verschlechtern. Aber diese Gig-Wirtschaft ist keine Lösung.
Im Gegensatz zu den Gewerkschaften wirken Uber, Airbnb und Co aber in den Augen vieler ziemlich modern.
Das ist eine echte Herausforderung, weswegen wir auch mit den Politikern sprechen: Unsere Frage ist doch, wenn ich für dich arbeite, was tust du für mich? Das ist der klassische Ansatz der Arbeitnehmerbewegung. Wenn die IT-Größen soziale Absicherung verhindern, sieht die vermeintlich neue Wirtschaft aus wie der ganz alte Kapitalismus. Sie wollen die Risiken auslagern auf die Menschen, die die Arbeit machen. Das geht nicht.
Wo wollen denn die Gewerkschaften Konzessionen machen. Für viele Arbeitnehmer ist es doch ganz angenehm, wenn Arbeitszeit oder Präsenzpflicht flexibel gehandhabt werden.
Wir müssen keine Konzessionen machen sondern uns anpassen. Und wir haben ja gezeigt, dass wir das können. Als die große Finanzkrise ausbrach, haben wir in Deutschland doch gute flexible Möglichkeiten gefunden. Wo wir aber unnachgiebig bleiben ist der Punkt: Unternehmen tragen Verantwortung für ihre Leute.
A propos Verantwortung: Was beunruhigt sie eigentlich mehr, die Digitalisierung oder die Flüchtlingskrise, die ja auch enormen Druck auf die Arbeitsmärkte schaffen wird.
Mich beunruhigt mehr, dass der Flüchtlingsstrom dazu führt, dass die Standards am Arbeitsmarkt gesenkt werden. Wir müssen die Qualität unserer Arbeitsstandards beibehalten. Dennoch gilt: Merkels Entscheidung war bewundernswert. Wir sollten die Auswirrungen auch nicht dramatisieren. Wir müssen nun konkret schauen, wie wir die Menschen in Arbeit bekommen. Das ist eine Herausforderung, auch kulturell. Aber machbar.