Philipp Jennings "Auf unser Arbeitsmodell kommt ein Sturm zu"

In Davos träumen viele Manager von den Chancen der Digitalisierung. Philipp Jennings, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsverbandes, sieht sieben Millionen Jobs gefährdet. Nur Alarmismus? Ein Interview.

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Philip J. Jennings beim World Economic Forum in Davos. Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Herr Jennings, das Weltwirtschaftsforum hat vor dem Jahrestreffen in Davos eine Studie veröffentlicht, wonach die digitale Revolution schon in den nächsten Jahren sieben Millionen Jobs in Industrieländern vernichten wird. Ist das nicht etwas Panikmache oder geht Ihnen als Gewerkschaft wirklich die Zielgruppe verloren?

Phillip Jennings: Ich denke, dass die Zahl realistisch ist. Das ist ein Weckruf. Wir müssen aus der digitalen Revolution endlich Konsequenzen für den Arbeitsmarkt ziehen. Die Zahlen sind sehr substanziell.

Was meinen Sie denn mit Weckruf? Die Digitalisierung lässt sich ja nicht einfach stoppen, nur weil Sie schreien.

Aber wir nehmen das Szenario schon zum Anlass, nun auf allen Ebenen Lärm zu schlage. Der Wandel, der da auf uns zukommt wird dramatisch. Es droht die Kannibalisierung von Jobs und Jobinhalten. Es gibt da viel zu tun.

Berufe mit Zukunftsgarantie
Ein Turm aus Styropor-Bausteinen, der vor dem Arbeitsministerium in Berlin aufgebaut wird, soll den ohne Fachkräfte zusammenbrechenden Arbeitsmarkt symbolisieren. Quelle: dpa
Ein junger Mann bedient einen Gasschweißer Quelle: dpa
Eine Dialyseschwester überprüft in Hamburg im Marienkrankenhaus die Einstellungen eines Dialysegerätes. Quelle: dpa
Ein Schiff fährt in Köln an den Kranhäusern und dem Dom vorbei den Rhein hinunter. Quelle: dpa
Einen Aufkleber mit dem offiziellen Slogan der Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." hält eine junge Frau in der Hand. Quelle: AP
Der Reichstag in Berlin Quelle: REUTERS
Besucher aus Holland in bayerischem Blauweiß prosten sich beim Münchner Oktoberfest zu. Quelle: dpa

Naja. Bisher hat jeder technische Fortschritt für mehr statt weniger Arbeit gesorgt.

Das stimmt. Es gibt Leute, die das auch dieses mal annehmen, dass es eine Art Digi-Doppel gibt: Also mehr und bessere Jobs durch Technik. Wir glauben aber, diesmal ist es anders.

Anders muss nicht schlechter sein.

Es werden neue Jobs entstehen, natürlich. Aber nicht in der Zahl und Art wie die, die wegfallen. Darauf müssen wir schauen. Leute, die nicht arbeiten, konsumieren auch nicht. Der Ökonom Josef Stiglitz nennt es die große Seuche der Weltwirtschaft, dass Nachfrage wegbricht. Ich haben heute morgen eine Konzernchef gesprochen der sagt: Ich habe keinen Markt mehr, weil keine Nachfrage da ist.

Eigentlich nicht das Problem von Politik.

Letzte Woche haben wir in Paris als Gewerkschaften im OECD-Kreis mit Organisationen, Unternehmern und Arbeitsministern zusammengesessen und die Herausforderung diskutiert. Wir waren uns einig: Es ist ein Sturm, der auf unser Arbeitsmodell zukommt. Was ist der politische Rahmen dafür? Was heißt es für Gesellschaften? Arbeit ist zentral für Menschen, die Qualität der Arbeit ist zentral.

Auf welche Bereiche wirkt sich die Digitalisierung im Arbeitsalltag aus?

Wie könnte eine politische Antwort darauf aussehen?

Wir wollen wissen: Wo und wie entstehen Jobs und sind es qualitativ hochwertige Jobs. Es gibt eine Tendenz zum Lohn-Prekariat in Tech-Jobs. Das wollen wir nicht. Ich sehe eine neue Bereitschaft, sich damit auseinander  zu setzen. Die zweite Frage ist, wie kriegen wir Leute dazu, sich weiterzubilden. Wir brauchen da aber ein ganz anderes Niveau als bei bisheriger Weiterbildung. Die OECD-Minister sagen, dass 50 Prozent der westlichen Arbeitnehmer jetzt schon von IT überfordert sind. Das geht nicht.

Das klingt vor allem erstmal danach, als wollten sie der öffentlichen Hand als Geld dafür.

Wir haben auch ein Verteilungsproblem. Wir müssen die digitale Revolution so gestalten, dass nicht nur wenige profitieren. Stephen Hawking sagt, wenn nur Kapitalbesitzer gewinnen, dann wird die Welt schlechter. Also müssen wir Steuerpolitik, Einkommensverteilung, Arbeitsmarktpolitik gestalten. Die Nadellas und Zuckerbergs dieser Welt reden da nicht gerne drüber, deswegen sollten wir das tun.

"Diese Gig-Wirtschaft ist keine Lösung"

Die Gefahr ist groß, durch staatliche Regulierung sofort Innovation durch Disruption abzuwürgen.

Die Sozialpartner müssen dafür etwas tun, das kann natürlich nicht nur vom Staat kommen. Die IG Metall ist da schon relativ weit. Man könnte sich auch Vorbild an den Klimaverhandlungen von Paris nehmen: DA wurden Daten gesammelt, alle Wissenschaftler zusammengetrommelt, dann wurden Ziele vereinbart und dann über die Umsetzung gesprochen.

Führen Sie nicht die falsche Debatte. Müsste man nicht eher Bezahlung sichern, nicht klassische Jobs?

Klassische Jobs sind doch nicht altmodisch. Leute sagen: Wir beenden das Zeitalter der Vollbeschäftigung. Das ist doch quatsch. Wenn digitale Wirtschaft heißt, dass du morgens nicht weißt, wo du nachmittags arbeitest oder morgen Deinen Kaffee bezahlst, ist das sicher keine Zukunft. Es gibt diese Tendenz bei den Firmen, die sich nur als Plattformen sehen und Arbeitsbedingungen verschlechtern. Aber diese Gig-Wirtschaft ist keine Lösung.

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von Oliver Voß, Dieter Dürand, Jürgen Rees

Im Gegensatz zu den Gewerkschaften wirken Uber, Airbnb und Co aber in den Augen vieler ziemlich modern.

Das ist eine echte Herausforderung, weswegen wir auch mit den Politikern sprechen: Unsere Frage ist doch, wenn ich für dich arbeite, was tust du für mich? Das ist der klassische Ansatz der Arbeitnehmerbewegung. Wenn die IT-Größen soziale Absicherung verhindern, sieht die vermeintlich neue Wirtschaft aus wie der ganz alte Kapitalismus. Sie wollen die Risiken auslagern auf die Menschen, die die Arbeit machen. Das geht nicht.

Wo wollen denn die Gewerkschaften Konzessionen machen. Für viele Arbeitnehmer ist es doch ganz angenehm, wenn Arbeitszeit oder Präsenzpflicht flexibel gehandhabt werden.

Wir müssen keine Konzessionen machen sondern uns anpassen. Und wir haben ja gezeigt, dass wir das können. Als die große Finanzkrise ausbrach, haben wir in Deutschland doch gute flexible Möglichkeiten gefunden. Wo wir aber unnachgiebig bleiben ist der Punkt: Unternehmen tragen Verantwortung für ihre Leute.

A propos Verantwortung: Was beunruhigt sie eigentlich mehr, die Digitalisierung oder die Flüchtlingskrise, die ja auch enormen Druck auf die Arbeitsmärkte schaffen wird.

Mich beunruhigt mehr, dass der Flüchtlingsstrom dazu führt, dass die Standards am Arbeitsmarkt gesenkt werden.  Wir müssen die Qualität unserer Arbeitsstandards beibehalten. Dennoch gilt: Merkels Entscheidung war bewundernswert. Wir sollten die Auswirrungen auch nicht dramatisieren. Wir müssen nun konkret schauen, wie wir die Menschen in Arbeit bekommen. Das ist eine Herausforderung, auch kulturell. Aber machbar.

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