Schotten-Votum, Ebola, Ukraine-Krise „Die Gemengelage ist hoch explosiv“

Die Häufung an internationalen Krisen alarmiert Ökonomen, ebenso mögliche Risiken wie der unsichere Ausgang des Schotten-Referendums. Im Fall der Fälle droht ein empfindlicher Konjunkturrückschlag.

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Die Häufung internationaler Krisen versetzt Ökonomen in Alarmstimmung. Quelle: dpa

Berlin Mehrere Ökonomen fürchten angesichts aktueller internationaler Krisen mit einem empfindlichen Dämpfer für die Weltkonjunktur. „Eine Reihe von geopolitischen Konflikten und Problemen deuten auf eine schwächere Weltwirtschaft hin“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, Handelsblatt Online.

Der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier, sprach von einer Häufung an Krisen und möglichen Gefahren für die Weltkonjunktur, wie sie in den vergangenen Jahren selten zu sehen gewesen seien. „Der Einfluss auf die Weltkonjunktur hält sich derzeit zwar noch in Grenzen, ist aber durchaus schon spürbar“, sagte Bielmeier dem Handelsblatt. „Bei einer Eskalation einer der Krisenherde, wie der Russland/Ukraine-Konflikt und die damit verbundene Sanktionsspirale oder der Ebola-Ausbruch in Afrika, kann die weltwirtschaftliche Wachstumsdynamik jedoch empfindlich gestört werden.“ Der dann zu erwartende Wachstumsrückgang könne „deutlich ausfallen, da das Wirtschaftswachstum, insbesondere im Euro-Raum, nicht sonderlich stabil ist“, so Bielmeier.

Sorgen bereiten den Ökonomen auch die Irak-Krise, die Quasi-Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die wirtschaftlichen Problem großer Euro-Länder wie Frankreich sowie der unsichere Ausgang des Schottland-Referendums. „Die Wachstumsprognosen für Deutschland und Europa sind deutlich schlechter als noch vor ein paar Monaten angenommen“, sagte DIW-Chef Fratzscher. Auch wenn die Prognosen für Deutschland weiterhin gut ausfielen, seien die Risiken für die Konjunktur doch „sehr groß“.

Fratzscher gab zu bedenken, dass das deutsche Wachstum entscheidend von der europäischen und globalen Wirtschaft abhängig sei. „Eine erneute Vertiefung der Krise in der Euro-Zone, aber auch ein Einbruch der Wirtschaft in den Schwellenländern würde die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen“, warnte der DIW-Chef. Das Wirtschaftswachstum in Deutschland werde zurzeit fast ausschließlich durch den guten Arbeitsmarkt und den privaten Konsum getrieben. „Dies wird jedoch nicht von Dauer sein, wenn es nicht gelingt auch die Investitionen und Exporte deutscher Unternehmen in den kommenden Quartalen zu stärken“, sagte Fratzscher.

Der Wormser Wirtschaftsprofessor Max Otte warnte: „Die Gemengelage ist hoch explosiv.“ Viele Krisen seien durch die Politik der USA zumindest mit verursacht: Der Aufstieg des Islamischen Staats (IS) und die Ukraine-Krise zum Beispiel, ebenso der Konjunktureinbruch in Europa aufgrund des vom Westen initiierten Wirtschaftskrieges gegen Russland. „Das schottische Referendum kommt in einer Lage der allgemeinen Unsicherheit dazu“, sagte Otte. Auch die Euro-Krise und die Staatsschuldenkrise seien keinesfalls gelöst. In den meisten Industrienationen stiegen die Schulden weiter. „Es sieht aus wie das Endspiel“, sagte Otte.


Fed warnt vor Europa, IWF vor Ebola und Schottland

Zuletzt hatte die Chefin der US-Zentralbank Federal Reserve, Janet Yellen, deutlich vor den Gefahren aus Europa für die Weltwirtschaft gewarnt. Die Lage im Euro-Raum sei ein „Risiko“ für die globale Konjunktur, sagte Yellen am gestrigen Mittwoch in Washington. Die Fed-Direktorin beklagte dabei insbesondere die niedrige Inflation und das schwache Wachstum in Europa. Im ersten Quartal 2014 war das Bruttoinlandsprodukt im Euro-Raum nur um 0,2 Prozent gewachsen, im zweiten Quartal stagnierte die Wirtschaft in der Währungsunion.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank sehen in den möglichen wirtschaftlichen Folgen der Ebola-Epidemie in Westafrika ein Problem. Das Virus werde das Wirtschaftswachstum deutlich bremsen, da wichtige Branchen wie Landwirtschaft, Bergbau und Dienstleistungen betroffen seien, warnte der IWF. Die ausbleibende Produktion von Lebensmitteln sowie fehlende Arbeitskräfte würden die ärmsten Menschen am härtesten treffen. Für alle drei Länder rechnet die Sonderorganisation der Vereinten Nationen in den nächsten sechs bis neun Monaten mit einer Finanzierungslücke von rund 300 Millionen Dollar.

Die Weltbank befürchtet angesichts der Ebola-Epidemie einen „katastrophalen“ Rückschlag für die wirtschaftlich ohnehin fragilen westafrikanischen Länder. Allein die Wirtschaft Liberias, des am härtesten betroffenen Landes, könnte bei einer Ausweitung des Virus im kommenden Jahr um 11,7 Prozent zurückgehen, teilte die Weltbank mit. Sierra Leone müsse beim schlimmsten Szenario mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 8,9 Prozent rechnen und Guinea mit einem Rückgang von 2,3 Prozent.

Äußerst kritisch sieht der IWF auch das dem Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands, das im Falle eines Abspaltungsvotums kurzfristige Turbulenzen an den Finanzmärkten auslösen könnte. Der größte unmittelbare Effekt einer Abspaltung dürfte die Unsicherheit beim Übergang zu möglicherweise neuen und unterschiedlichen Rahmenbedingungen im Währungs-, Finanz- und Steuersystem in Schottland sein, sagte kürzlich IWF-Sprecher Bill Murray. Die langfristigen Auswirkungen hingen indes von den Entscheidungen ab, die während dieser Phase getroffen würden.

Die Furcht vor einem „Ja“ der Schotten zur Unabhängigkeit hatte die Finanzmärkte erst vor wenigen Tagen in Aufregung versetzt. Sie erholten sich später wieder, als die Spekulationen auf eine baldige Unabhängigkeit nachließen. Die Schotten stimmen am heutigen Donnerstag über eine Loslösung ab.


„Die europäische Konjunktur bleibt anfällig“

Ebenfalls problematisch eingeschätzt wird die Krise in der Ukraine. Diese birgt nach Ansicht des IWF ein großes Risiko für die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung des Landes. „Eine weitere Verschärfung der geopolitischen Spannungen könnte erhebliche ökonomische Konsequenzen haben“, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht von IWF-Experten. Das Land werde möglicherweise mehr Finanzhilfen benötigen als bisher erwartet. Es sei zu befürchten, dass sich die Rezession durch den Konflikt im industriellen Osten des Landes vertiefe und die Wirtschaft in diesem Jahr um bis zu 7,25 Prozent schrumpfe.

Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, hält die Krisen in der Summe für noch nicht so gravierend, dass sie die Weltkonjunktur in Mitleidenschaft ziehen könnten. Jede  der Krisen  sei für die Betroffenen dramatisch, sagte Horn. In den entsprechenden  Regionen zeichneten sich auch schon schwerwiegende  Wirtschaftskrisen ab. „Aus einer  weltwirtschaftlichen Perspektive sind die Ereignisse  auch in ihrer Kumulation aus heutiger Sicht noch nicht prägend für die  globale Konjunktur“, betonte der IMK-Chef. „So sind die hausgemachten  Probleme des Euro-Raums aus  deutscher  Sicht  immer noch bedeutsamer als  diese Krisen.“

Ähnlich äußerte sich der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater. Er wies darauf hin, dass die Finanzmärkte und auch die Konjunktur in Euro-Land die geopolitischen Belastungen bislang „erstaunlich gut weggesteckt“ hätten. Überdies müssten Märkte und Wirtschaft mit geopolitischen Unsicherheiten immer leben. „Das geht auch, sofern die bisherigen Planungsgrundlagen von Wirtschaft und Finanzmärkten nicht komplett zerstört werden“, sagte Kater. Das sei durch die Ereignisse dieses Jahres bisher zumindest nicht geschehen. „Allerdings dürfen wir nicht den Blick dafür verlieren, dass der europäische Aufschwung ohnehin sehr schwach ist und die Nachwirkungen von Finanz- und Eurokrise noch längst nicht vorbei sind“, fügte der Volkswirt hinzu. „Die europäische Konjunktur bleibt daher anfällig.“

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