Sparen in der Euro-Zone Schulden, Schulden, Schulden

Die ewige Forderung an die Euro-Krisen-Staaten, zu sparen und ihre Haushalte zu konsolidieren, gerät zum Dauer-Rohrkrepierer. Eine Commerzbank-Analyse zeigt: Schuldenmachen ist immer noch in – auch bei den Euro-Rettern.

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Europa verschlingt Geld ohne Ende, Für viele Euro-Länder gilt die Devise: „Sparen ist out – Wachstum ist in.“ Quelle: dpa

Berlin Europa bekommt seine Schuldenberge nicht in den Griff – obwohl die EU-Kommission nicht müde wird, ihr Mantra zu predigen, die öffentliche Verschuldung zurückzufahren. Auf ein Maß, dass die Euro-Staaten selbst einmal festgelegt haben. Doch in den wirtschaftspolitischen Planungen vieler Länder spielt die Drei-Prozent-Defizitgrenze kaum noch eine Rolle.

Brüssel musste jüngst selbst einräumen, dass die Neuverschuldung in einigen Krisenländern die Maastrichter Schuldengrenze übersteigen wird. Bei Griechenland moniert die Kommission eine „Verschlechterung verglichen zu den Zielen von 2012“. Demnach wird Athen in den nächsten Jahren seine Schulden gemessen an der Wirtschaftsleistung noch nicht auf ein tragbares Niveau drücken können. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Euro-Sorgenkind weitere Erleichterungen bei der Rückzahlung seiner Schulden benötigt.

Bis zum Jahr 2020 wird der Schuldenstand laut Bericht auf 125 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts sinken, bis 2022 auf 112 Prozent. Angepeilt waren für 2022 aber „deutlich weniger als 110 Prozent“, als kritische Marke gelten 100 Prozent. Im vergangenen Jahr meldete Athen mit 175 Prozent den Spitzenwert aller 28 EU-Staaten. Andere Länder stehen zwar nicht so tief in der Kreide. Doch lassen auch sie kaum Sparwillen erkennen, wie eine Analyse der Commerzbank zeigt.

Die Experten stellen nüchtern fest, dass die Bereitschaft zum Sparen und zum Treffen dazu notwendiger unpopulärer Entscheidungen im Euro-Raum seit längerem abgenommen hat. Dass die Staaten treu dem Motto handeln „Sparen ist out – Wachstum ist in“, beobachteten die Commerzbanker schon im Frühjahr 2013. Daran hat sich wenig geändert. Kaum eine Regierung dürfte daher auf sich abzeichnende Zielverfehlungen mit nennenswerten zusätzlichen Konsolidierungsmaßnahmen reagieren, sind die Experten überzeugt.

Dies zeige sich unter anderem in den schon jetzt wenig ambitionierten Konsolidierungszielen für dieses Jahr. „Wurden die Defizitquoten 2012 in einigen Ländern trotz Gegenwinds von der Konjunktur noch um zwei Prozentpunkte und mehr gesenkt, sind für 2014 trotz einer teilweise noch immer recht hohen Neuverschuldung allenfalls noch Rückgänge der Defizitquoten um rund 1 Prozentpunkt geplant“, schreiben die Analysten in ihrem Bericht. In den Niederlanden – und auch in Griechenland, wenn man den Sondereffekt der Belastung des Staatshaushaltes im Jahr 2013 durch die Bankenrekapitalisierung berücksichtigt – soll das Haushaltsdefizit 2014 sogar wieder zulegen.

Viele Länder, so die Experten, machten auch gar keinen Hehl daraus, dass sie die – sowieso schon deutlich weniger strikten – Konsolidierungsvorgaben der EU-Kommission weiter aufweichen wollen. So habe der neue italienische Ministerpräsident Matteo Renzi angekündigt, dies während der Ratspräsidentschaft Italiens in der zweiten Jahreshälfte auf die Tagesordnung zu bringen. Renzi dürfte in Frankreich einen Verbündeten finden, glauben die Commerzbank-Ökonomen. Obwohl sich der neue Ministerpräsident Manuel Valls zum Drei-Prozent-Defizitziel 2015 bekennt, habe er in seiner Antrittsrede vor der Nationalversammlung am 8. April klargestellt, dass die Ausgabenkürzungen keinesfalls das Wirtschaftswachstum zerstören dürften. Vielmehr sehe er die Verantwortung bei der Europäischen Zentralbank (EZB), deren Politik seiner Ansicht nach zu wenig expansiv sei.


Starker Euro macht Europas Exporteuren das Leben schwer

Hinter Valls‘ Äußerungen steht auch die zunehmende Sorge über den starken Euro. Gegenüber anderen Währungen hat er in den vergangenen Wochen an Wert gewonnen und liegt inzwischen bei knapp unter 1,40 US-Dollar. Das macht Europas Exporteuren zusätzlich das Leben schwer, weil ihre Waren im außereuropäischen Ausland teurer werden.

Valls forderte daher jüngst ein Eingreifen der EZB gegen eine zu starke Gemeinschaftswährung. EZB-Chef Mario Draghi wies eine solche Einmischung aber strikt zurück: „Wir sind wirklich dankbar für jeden Rat, aber wir sind laut EU-Vertrag unabhängig.“ Für die Notenbank ist der starke Euro ein Problem, weil dann importierte Waren billiger werden und das Preisniveau weiter unter Druck gerät. Der EZB-Rat sei „sehr besorgt“ über die Wechselkurse, sagte Draghi.

Hinzu kommen die Schuldenquoten der Euro-Länder. Insbesondere für Frankreich und Italien besteht aus Sicht der Commerzbank-Analysten die Gefahr, dass der für 2015 angepeilte Rückgang der Staatsschuldenquoten erneut verpasst wird. Auch in Spanien wird sie weiter zulegen, allerdings wohl nicht stärker als derzeit schon geplant.

Auch Irland dürfte aus Sicht der Experten von der Konjunktur weniger Schub bekommen, als die Regierung erwartet. Allerdings will diese die Schuldenquote zusätzlich drücken, indem Staatseigentum veräußert wird. Auch stünden die Chancen gut, dass dem irischen Staat zusätzliche Einnahmen aus der Rückzahlung von Bankenhilfen zufließen. „Deshalb könnte es der irischen Regierung gelingen, trotz der schwächer als erwarteten Konjunktur ihre Schuldenquote wie geplant ab 2014 zu senken“, schätzen die Commerzbanker.

Die Experten sind jedoch davon überzeugt, dass den Märkten an einem zügigen Schuldenabbau derzeit nicht viel gelegen ist. Für Anleger steht derzeit vielmehr die grundsätzlich moderate Erholung der Wirtschaft des Euro-Raums im Vordergrund. Für sie sei dies ein wichtiges Argument gegen eine mögliche Deflation. Und: „Die Märkte verstehen eine laxere Konsolidierung der Haushalte als eine Maßnahme, die die Konjunktur stärkt“, heißt es in der Commerzbank-Expertise. Dies zusammen mit der extrem lockeren Geldpolitik der EZB könne demnach dazu führen, dass sich die Renditeabstände der Peripheriestaaten gegenüber den Kernländern weiter einengen, insbesondere gegenüber Frankreich.


Griechenland und Italien sind größte Sorgenkinder

Schon jetzt stellen die Experten fest, dass die Risikoaufschläge für Anleihen der Krisenländer immer weiter fallen, obwohl deren Staatsschulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt weiter gestiegen sind. Fast könnte man beim Blick auf den Rentenmarkt meinen, es habe die Euro-Krise nie gegeben.

Griechenland, vor zwei Jahren noch dem finanziellen Kollaps nahe, fand bei einer Auktion Anfang April für seine Papiere reißenden Absatz. Auch spanische oder italienische Bonds gehen wieder weg wie warme Semmeln - im Gegenzug markieren deren Renditen ein Tief nach dem anderen. Aus Sicht einiger Analysten riecht das inzwischen stark nach Übertreibung: „Das Risiko, das Anleger bei Investments in Peripherie-Bonds eingehen, steht in keinem Verhältnis mehr zu den Renditen“, sagte kürzlich Felix Düregger, stellvertretender Direktor im Assetmanagement bei der österreichischen Schoellerbank.

Auch wenn das Gros der Experten den südeuropäischen Staaten konjunkturelle Fortschritte attestiert – „über den Berg sind sie längst noch nicht“, meint Düregger. Nach Einschätzung der EU-Kommission dürften Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung trotz eines zarten Wirtschaftswachstums hoch bleiben.

Heraus stechen vor allem Griechenland und Italien. Auf dem Hellas-Staat, der mit zwei internationalen Kreditpaketen von rund 240 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt wird, lastet ein Schuldenberg von 320 Milliarden Euro. Das entspricht 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die großen Ratingagenturen schätzen die Gefahr eines erneuten Zahlungsausfalls immer noch als sehr hoch sein. Bei einem Schuldenschnitt 2012 verloren private Anleger bereits 130 Milliarden Euro.

In Italien ist der Schuldenstand mit 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ebenfalls gewaltig, die Arbeitslosenquote verharrte im März mit 12,7 Prozent nahe dem Rekordniveau. Vielen Analysten fehlt es an durchgreifenden Reformen: „Während Spanien oder Portugal in puncto Arbeitsmarkt strukturelle Änderungen in Angriff genommen haben, hinkt Italien bislang deutlich hinterher“, urteilt Commerzbank-Analyst Michael Leister.

Dennoch sind die Risikoaufschläge gerade italienischer Bonds zuletzt immer stärker zurückgegangen. Die Renditen der zehnjährigen Titel rutschten Anfang Mai unter die Drei-Prozent-Marke. Ende 2011, zu den Hochzeiten der Krise, hatten sie noch bei über sieben Prozent gelegen und die Refinanzierungskosten für Italien deutlich in die Höhe geschraubt. Sascha Rehbein, Portfoliomanager bei der Weberbank in Berlin, verfolgt den drastischen Zinsrückgang mit Skepsis: „Der große Vertrauensvorschuss, der vielen Peripherie-Staaten entgegengebracht wird, kann auch nach hinten losgehen - vor allem wenn es zu konjunkturellen Rückschlägen kommen sollte.“


Ziele nur bei gut laufender Konjunktur erreichbar

Auch die Commerzbank kommt in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass die niedrigen Risikoaufschläge angesichts immer höher werdender Schuldenberge kaum gerechtfertigt sind. Schließlich sei etwa im Fall Irlands die Schuldenquote – also dessen Staatsschulden in Prozent des Bruttoinlandsproduktes – seit 2007 um fast 100 Prozentpunkte auf 123,7 Prozent  gestiegen. In Griechenland belaufe sich das Plus trotz des zwischenzeitlichen Schuldenschnitts auf 68 Prozentpunkte, in Spanien und Portugal auf rund 60 Prozentpunkte. Inzwischen wiesen auch Italien, Portugal und Irland eine Schuldenquote auf, die mehr als doppelt so hoch ist, wie nach dem Maastricht-Vertrag eigentlich erlaubt, in Griechenland betrage sie sogar fast das Dreifache dieser Obergrenze.

Die Schuldenberge werden in diesem Jahr aber wohl noch weiter wachsen - mit dem Segen der EU-Kommission, sind die Experten sicher. So wollten Italien und Griechenland erst im kommenden Jahr beginnen, ihre Staatsschuldenquote zu senken, in Frankreich solle sie sich zumindest stabilisieren. Spanien plane die Wende sogar erst für 2016. Bis Ende 2015 soll demnach die spanische Staatsschuldenquote um weitere 9 Prozentpunkte auf 103 Prozent steigen.

Die Commerzbank hält es jedoch für fraglich, ob selbst diese wenig ambitionierten Ziele erreicht werden. Das hänge zu einem „beträchtlichen Teil“ von der Konjunktur ab. „Denn das in allen Stabilitätsprogrammen unterstellte stärkere Wachstum hilft zum einen bei der Rückführung der Budgetdefizite und bremst damit den Anstieg der Staatsschulden“, schreiben die Analysten in ihrer Expertise. Zum anderen drücke es die Schuldenquoten zusätzlich dadurch, dass deren Nenner – das nominale Bruttoinlandsprodukt – schneller zulege.

Konterkariert wird diese Entwicklung jedoch durch die derzeitige Geldpolitik. Dass viele Investoren beherzt bei den Bonds südeuropäischer Staaten zugreifen, liegt nach Einschätzung von Experten vor allem an der anhaltenden Niedrigzinspolitik der EZB. Da die Suche nach Rendite immer schwieriger werde, seien Anleihen aus Griechenland, Italien oder Portugal für viele Anleger eine attraktive und oftmals auch einzige Alternative, erklärt Weberbank-Analyst Rehbein.

Deutlich wurde dies erst vor einigen Wochen, als Griechenland für die erste Anleihe seit Beginn der Schuldenkrise 2010 einen Zinssatz von 4,75 Prozent zahlte. Die Titel mit fünf Jahren Laufzeit spülten drei Milliarden Euro in die Staatskassen - Insidern zufolge hätte der Staat auch mehr als 20 Milliarden Euro einsammeln können, so hoch war die Nachfrage. Eine deutsche Anleihe gleicher Laufzeit wirft derzeit gerade einmal 0,5 Prozent ab.

Mit Material von Reuters

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