Mit der Ausnahme der US-amerikanischen Notenbank haben in den vergangenen Monaten alle relevanten Notenbanken die Zinsen weiter gesenkt. Die Begründung war fast immer die gleiche: Schwaches Wachstum und eine Inflation, die unter dem Zielwert liegt. Hinzu kommen noch eine weltweite Investitionsschwäche sowie eine geringe Exportdynamik. Das sind die wichtigsten Gründe für das aktuell unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum.
Ein weiterer möglicher Grund für diesen anhaltenden Zustand könnte das merkliche Nachlassen des Globalisierungstrends sein. Das schwächt den Welthandel deutlich. Zusätzlich gibt es auch noch eine hohe Verunsicherung der Konsumenten und Unternehmen wegen des zunehmenden Terrors und eine Verbreitung von autoritären Regierungssystemen, die den Protektionismus eher fördern.
Müssen wir auf Grund dieser Lage mit weiter fallenden Notenbankzinsen rechnen, die dann letztlich tief im negativen Bereich liegen? Nein, aus meiner Sicht nicht. Die Notenbanken können zwischenzeitlich aus den Erfahrungen der japanischen Notenbank und der Europäischen Zentralbank mit Negativzinsen ihre ersten Schlüsse ziehen. Die Analysen zeigen, dass die Nachteile dieser Geldpolitik überwiegen. Die negativen Effekte dieser Zinspolitik nehmen mit der Zeit zu.
Nachteile der Negativzinsen nehmen zu
Insbesondere die hohen Belastungen des für die Kreditschöpfung wichtigen Bankensektors sind die Folge sein. Überhaupt wird der Bankensektor durch diese Zinspolitik extrem gestresst. Die Banken sind jedoch weiterhin einer der wichtigsten Sektoren für das Funktionieren einer Volkswirtschaft. Entsprechend kann man die Notenbankzinsen nicht beliebig tief senken oder beliebig lange im negativen Bereich belassen.
Andererseits sehen die Notenbanken weiterhin die Notwendigkeit für eine anhaltend lockere Geldpolitik. Da weiter sinkende Zinsen mit zu hohen ökonomischen und gesellschaftlichen Kosten verbunden wären, dürften die Strategen der Notenbanken in Zukunft vorzugsweise auf außerordentliche Maßnahmen einsetzen, um Liquidität in die Märkte zu schleusen und damit das monetäre Umfeld noch weiter zu lockern.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Eine einfache Ausweitung der Anleihekaufprogramme ist aber keine Lösung. Denn eine weitere Erkenntnis der Notenbanken scheint zu sein, dass die Wirksamkeit von Anleihekäufen mit zunehmender Dauer abnimmt. Zuletzt hatte die Bank of Japan, die bei außerordentlichen Maßnahmen unter den Zentralbanken am längsten und tiefsten in den Werkzeugkasten gegriffen hat, angekündigt, die Effektivität ihrer ergriffenen Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen. Dies deutet schon an, dass nach noch wirksameren Instrumenten gesucht wird, die dabei helfen sollen, die Inflation anzukurbeln.
Kurs halten mit anderen Mitteln
Das muss nicht das Helikopter-Geld sein, dessen Konzept und Wirkung doch eher theoretisch erscheinen. Praktikable Alternativen zu dieser Theorie sind aber möglicherweise umsetzbar, wenn die Notenbanken den Weg durch den Kreditkanal der Banken weiter als verstopft ansehen. Beispielsweise könnte eine Notenbank direkt Fiskalmaßnahmen, Steuersenkungen und reformbedingte Haushaltslücken finanzieren oder Anleihen, die speziellen Wachstumsmaßnahmen gewidmet sind, im Rahmen ihres QE-Programms am Sekundärmarkt kaufen. Hierbei muss sichergestellt werden, dass die Maßnahmen im Einklang mit geltendem Recht stehen und die Verschuldungsquoten beachtet werden. Institutionelle Hürden dürften jedoch keine wirklichen Hindernisse sein. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Phantasie und Bereitschaft der Notenbank sehr groß ist.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
In den kommenden Monaten wird sich voraussichtlich die Notenbankpolitik insgesamt verändern. Das Instrument der Zinssenkungen wird zunehmend in den Hintergrund rücken und vielleicht mittelfristig sogar auf dem Prüfstand gestellt werden, denn die negativen Folgen der Niedrigzinspolitik sind zu offensichtlich. Stattdessen könnten außergewöhnliche Maßnahmen deutlich ausgeweitet werden. Für die Notenbanken ist sehr wichtig, dass sie den Nimbus der Fähigkeit nicht verlieren, die sich ihnen stellenden Probleme anzupacken und zu lösen. Angesichts der sinkenden Wirksamkeit der aktuell angewandten Maßnahmen und des schwindenden Vertrauens darin, werden unweigerlich neue Instrumente folgen.
Somit setzt sich der monetäre Lockerungskurs weiter fort, wenn auch mit anderen Mitteln. Ein grundsätzliches Problem bleibt aber: Die Notenbankpolitik kann fundamentale Ursachen der weltweiten Konjunkturschwäche wie ein Verlangsamen oder sogar Abstoppen des Globalisierungstrends nicht beeinflussen. Die Verwerfungen, Ungleichgewichte und Bewertungsverzerrungen, die sich mit der Geldpolitik zurzeit aufbauen, werden uns zweifellos noch einige Zeit beschäftigen. Denn die alte Börsenweisheit „Es gibt keinen free lunch“ dürfte auch hier gelten.