Zum Tod Elinor Ostroms Bewahren, was allen gehört

Wälder, Fischgründe, das Weltklima: Was allen gehören, beuten Menschen rücksichtslos aus - damit gab sich Elinor Ostrom nicht zufrieden. Für ihre Forschung erhielt sie als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis. Jetzt ist sie im Alter von 78 Jahren gestorben.

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Elinor Ostrom bei einer Rede in Kopehagen: Ein Leben für die Erforschung von Gemeingütern Quelle: REUTERS

Angenommen, auf einer Insel gibt es vier Dörfer, aber nur einen Wald, den alle nutzen. Die Dorfbewohner schlagen dort Holz für ihre Hütten, ihre Boote und als Brennholz, sie jagen dort und sammeln Beeren. Alle nutzen den Wald. Die Bevölkerung wächst, der Bedarf steigt, bis der Wald nicht mehr genügend Holz und Nahrung für alle bietet. Die Dörfer gehen zugrunde.

Auf diesem sozialen Dilemma basiert das Werk Elinor Ostroms, die vor drei Jahren als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.

Es beschreibt das Konzept der "Tragik der Allmende", das der Ökologe Garret Hardin 1968 zum ersten Mal beschrieb. Frei verfügbare, aber begrenzte Ressourcen sind demnach von Übernutzung bedroht. Jeder Nutzer maximiert seinen Ertrag, bis die Ressource knapp wird - die langfristigen Kosten muss die Gemeinschaft tragen. Allmenden sind Güter, die alle nutzen können, aber nicht endlos verfügbar sind. Die Bestände an Blauflossenthunfischarten in den Weltmeeren beispielsweise sind stark überfischt und durch Dosenthunfisch- und Sushi-Konsum vom Aussterben bedroht. So steht der Thunfisch stellvertretend für die Überfischung der Weltmeere, die als Beispiel für die Allmendeproblematik immer wieder genannt wird.

Eine der wichtigsten Umweltökonominnen der Geschichte

Viele Ökonomen haben sich der Tragik der Allmende gewidmet, und zuerst gab es nur zwei mögliche Lösungen: Wenn Gemeingüter in privates Eigentum überführt werden, wenn der Wald also einem Landbesitzer aus einem der Dörfer gehört, bewirtschaftet er den Wald nachhaltig. Er schlägt weniger Holz, erlegt weniger Wild und maximiert seinen langfristigen Ertrag. Die zweite Möglichkeit ist eine Regulierung von staatlicher Seite: Eine Waldverwaltung legt fest, wie viel Holz geschlagen werden darf und wie viele Tiere erlegt werden dürfen, damit der Wald erhalten bleibt.

Damit gab sich Elinor Ostrom nicht zufrieden. "Als ich anfing, war die Welt, die wir uns im Studium angeschaut haben, noch einfach", sagte sie in ihrer Nobelpreis-Vorlesung. Es war die Zeit in den 50er Jahren, als die Wirtschaftswissenschaft nur vollkommen rationale, ihren Nutzen maximierende Individuen kannte, und in den Modellen nur zwei Güter vorkamen. Niemand dachte daran, dass auch die Menschen selbst es schaffen können, Gemeingüter erfolgreich zu verwalten. "Die reale Welt ist eben komplizierter", sagte Ostrom.

Mit ihren Ideen avancierte sie zu einer der wichtigsten Umweltökonominnen in der modernen Wirtschaftsforschung. In ihrem berühmtesten Werk "Governing the Commons" von 1990 schreibt sie: "Kaum eine Woche vergeht ohne eine große Meldung über die drohende Zerstörung einer wertvollen natürlichen Ressource." Und weiter: "Die Frage, wie wir die Analyse von Gemeingüter-Problemen angehen sollen, ist für uns in den Sozialwissenschaften eine ebenso große Herausforderung wie für menschliche Gesellschaften, die sich Tag für Tag darum bemühen müssen, solche Probleme zu vermeiden."

Warum halten sich Menschen an Regeln?

In zahlreichen Fallstudien legte sie Beispiele dar, die zeigen, wie es Gesellschaften ohne staatliche Regulierung oder Privateigentum geschafft haben, Gemeingüter langfristig zu erhalten. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen definierte sie nicht zuerst Regeln und Modelle, nach denen Menschen handeln, sondern wählte den umgekehrten Weg. Sie nahm nicht einfach an, dass Menschen sich an Regeln halten, beispielsweise die Eigentumsrechte an einem Wald akzeptieren. Sie fragte: Warum halten sich Menschen an diese Regeln? Warum halten sich Menschen auch an Regeln, die niemand überwacht? Warum funktionieren manche Allmenderegulierungen, warum scheitern andere?

Eines ihrer Beispiele sind die Fischbestände vor Alanya an der türkischen Küste, an denen sich in den siebziger Jahren die klassische Tragik der Allmende abzuspielen drohte. Nachdem die dortigen Fischer jahrelang um die besten Fischgründe gestritten hatten, führte eine regionale Fischereikooperative ein hocheffektives System ein, um den kämpferischen Wettbewerb zu beenden. Vor jeder Saison erstellt die Kooperative eine Liste von Fischern und eine Liste der zu vergebenen Fischgründen, sodass jedem immer ein Bereich zusteht. Vom ersten Tag der Saison an wandern die Fischer immer einen Bereich nach Osten, ab Januar umgekehrt in Richtung Westen. So bekommt jeder Fischer die Möglichkeit, immer wieder an den besten Stellen zu fischen.

Als Ostrom 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, überraschte das viele. "Wenn sie gestern eine Umfrage unter Ökonomen gestartet hätten - nicht einmal jeder fünfte hätte ihren Namen gekannt", schrieb der bekannte Blogger Steven Levitt nach der Preisverleihung. Der simple Grund: Sie war ursprünglich eine Politikwissenschaftlerin. So revolutionierte Ostrom nicht nur das Verständnis von Allmenden revolutioniert, sie steht auch stellvertretend für die immer noch tiefen Gräben zwischen den eng verwandten Disziplinen der Sozialwissenschaften.

Am Dienstag starb Ostrom an den Folgen einer Erkrankung an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Gerade in dieser Zeit, in der die Weltgemeinschaft um ein globales Klimaschutzabkommen ringt, wird ihr Werk ihren Tod noch lange überdauern.

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