Nobelpreisträger Akerlof Warum die Wirtschaft nicht funktioniert, wie sie soll

Immer wieder versagt die Wirtschaftswissenschaft. Die Ursache ist simpel: Weil sie ein unzureichendes Menschenbild hat, argumentierte Georg A. Akerlof im Bestseller „Animal Spirits“. Jetzt ist sein neues Buch erschienen.

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Georg A. Akerlof hat mit

Die kleine Sonja hat sich für den Elefanten entschieden. Minutenlang stand die Fünfjährige vor dem Karussell, bis er frei war. Nun sitzt sie breit lachend auf dem Plastik-Dickhäuter und fährt im Kreis. Wie schön, dass die Zeiten vorbei sind, in denen sie auf dem Schoß ihrer Eltern fahren musste.

Ihr sieben Jahre älterer Bruder wirkt dagegen missmutig. Er winkt den Eltern nicht zu, sondern rutscht mit starrem Gesicht auf seinem Frosch herum. Dabei gefällt ihm das Karussellfahren eigentlich sehr gut. Aber zeigen mag er mag er das nicht. Es ist ihm peinlich.

Warum reagieren Kinder so? Diese Frage ist auch für die Wirtschaftswissenschaften entscheidend. Wenn Menschen tun, was sie ihrer Meinung nach tun sollten, sind sie glücklich. Wenn sie aber den Normen nicht genügen, die sie sich selbst oder ihnen anderen gesetzt haben, sind sie unglücklich. So ergeht es Sonjas Bruder. Er weiß eben, dass er eigentlich zu alt für Karussellfahren ist.

Und was dabei gilt, gilt bei Erwachsenen eben auch im Berufsleben. Spötter der Wirtschaftswissenschaften sagen gern: Es lohnt sich heutzutage deutlich mehr, Soziologen zuzuhören als Ökonomen. Aber immerhin: Die Wirtschaftswissenschaften nähern sich dem Niveau an, auf dem die Soziologie schon vor rund 25 Jahren war. Das gilt zumindest für den Bereich Menschenbild. Der Homo Oeconomicus ist von gestern. George A. Akerlof nennt ihn ein „Strichmännchen“. Wie es anders geht, zeigte er bereits in seinem Buch „Animal Spirits“. Das hat er 2009 gemeinsam mit Robert J. Shiller geschrieben. Bereits 2001 hatten die beiden den Wirtschaftsnobelpreis verliehen bekommen.

Jetzt hat Akerlof gemeinsam mit seiner Forschungskollegin Rachel E. Kranton ein neues Buch veröffentlicht. Es heißt „Identity Economics“ – oder wie es der Untertitel recht flapsig und präzise zugleich ausdruckt: „Warum wir ganz anders ticken, als die meisten Ökonomen denken.“

Hier führt der Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California, Berkeley seine Gedanken aus „Animal Spirits“ fort. Und das erscheint ihm höchst notwendig. Denn zwar nutzte diesen Begriff John Maynard Keynes erstmalig 1936, aber die tatsächlichen Folgen des Gedankens werden in der Wirtschaftstheorie immer noch unterschlagen.

Akerlof hat vereinfacht gesagt bewiesen, dass Marktteilnehmer weder rational handeln noch über dieselben Informationen verfügen, was dazu führt, dass der freie Markt längst nicht so gut funktioniert wie gewünscht. Dass „Animal Spirits“ im Zuge der Finanzkrise ein Bestseller wurde, mag da nicht verwundern.

Anschauliche Vergleiche mit dem Militär

Nun führt Akerlof in „Identity Economics“ diese Gedanken aus und eröffnet dem Leser eine Reihe von Erkenntnissen, die nur auf den ersten Blick trivial wirken. Ökonomik mit einem realistischen Menschenbild zu betreiben hat nun mal den Vorteil, um verlässlichere Modelle zu entwickeln, „durch das die Wirtschaftswissenschaft ein nützlicheres Werkzeug zur Optimierung von Institutionen und Gesellschaft wird“.

Da geht es zum Beispiel um die Frage, was Menschen motiviert. Schließlich sind hinreichend gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter das entscheidende Kriterium dieser Zeit. Das Beispiel mit dem Karussell verdeutlicht, wie wichtig die Einberechnung von Normen ist, denen wir Menschen bewusst oder unbewusst folgen.

Akerlof nennt viele weitere und zeigt Wege auf, um zu neuen Antworten zu kommen und nicht wie derzeit häufig so sehr auf Ergebnisse der Spieletheorie angewiesen zu sein. Der Autor wendet seine Identitäts-Ökonomie auch auf die Schule beziehungsweise Ausbildung von jungen Menschen an. Anders als bisher angenommen habe der wirtschaftliche Nutzen der Ausbildung nur geringen Einfluss auf die Anstrengungen von Schülern. Auch die Einbeziehung von Frauen in Führungspositionen und die Rassenzugehörigkeits-Problematik haben viel mit Normen zu tun.

Akerlof bietet anschauliche Vergleiche mit dem Militär und Beispiele aus der Unternehmenswelt, um zu belegen, wie erfolgreich man Handeln kann, wenn man die Identität der Handelnden richtig einschätzen kann. Schließlich ist die „Identifikation der Beschäftigten mit dem Betrieb vielleicht sogar der wichtigste Faktor für den Erfolg von Organisationen“.

Der Boden für den neuen Keynesianismus ist also bereitet. Aber wie Akerlof selbst schreibt: „Wir haben allen Grund zu glauben, dass dies nur der Anfang ist.“ Es gebe noch viel tiefergehende Fragen: „Welche Wechselwirkung besteht zwischen Identität, Wirtschaftspolitik und Normen? Diese Fragestellungen – und ihre Beantwortung – werden Folgen haben.“

Bibliografie:Georg A. Akerlof, Rachel E. Kranton Identity Economics. Warum wir ganz anders ticken, als die meisten Ökonomen denkenHanser Verlag, München 2011 192 Seiten

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