Ökonomie Volkswirte stellen die Charakterfrage

Über unseren beruflichen Erfolg entscheiden nicht nur Ausbildung und Intelligenz, sondern auch unsere innere Einstellung. Wer seine Karriere selbstbewusst und optimistisch plant, hat am Ende die besseren Chancen. Selbstüberschätzung kann aber auch schädlich sein.

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Einstellungssache: Über unseren Erfolg entscheiden nicht nur Ausbildung und Intelligenz, sondern auch Selbstbewusstsein und Optimismus. Quelle: handelsblatt.com

KÖLN. Schlechte Schulnoten, keine Ausbildung und kein Geld für ein Studium. Eigentlich hätte aus dem kleinen Jungen, der 1942 in Louisville, Kentucky, zur Welt kam, nicht viel werden können - zumindest, wenn es nach der traditionellen Humankapitaltheorie gegangen wäre. Denn ohne Qualifikationen, so das Standardmodell, keine Karriere. Doch aus Cassius Marcellus Clay wurde Muhammad Ali - der berühmteste Boxer aller Zeiten. Ein Grund dafür ist, dass Clay über zwei Erfolgseigenschaften verfügte, die Volkswirte bislang meist übersehen haben: ein unerschütterliches Selbstbewusstsein und den Glauben, etwas aus sich machen zu können.

Dass der berufliche Erfolg eines Menschen nicht nur von seinen fachlichen Qualifikationen abhängt, sondern auch von seinem Selbstverständnis, spricht sich inzwischen auch unter mehr Arbeitsmarktforschern herum. Eine stetig wachsende Zahl von Studien zeigt: Ob wir an das Schicksal glauben oder an uns selbst, ob wir Optimisten sind oder Schwarzseher, das hat großen Einfluss auf unsere Karriere. Zudem fallen Charakterzüge und Präferenzen nicht - wie von Ökonomen bislang angekommen - einfach vom Himmel. Im Gegenteil: Sie sind höchst wandelbar; wir können sie aktiv beeinflussen.

Optimisten sind im Vorteil

Zwar steht die Forschung, die psychologische und ökonomische Ansätze verbindet, noch am Anfang. Doch schon jetzt ergibt sich ein relativ klares Bild des "Erfolgscharakters": Er ist optimistisch, nicht schicksalsgläubig, strotzt vor Selbstbewusstsein und ist offen für neue Erfahrungen. Zudem besitzt er Pflichtgefühl und ist eher extrovertiert. Was er nicht ist: schüchtern und angepasst.

Ausgangspunkt der neuen Forschungsrichtung ist die Erkenntnis, dass der ökonomische Erfolg eines Menschen zwar im Durchschnitt eng mit seiner Ausbildung und Intelligenz zusammenhängt, aber sich keineswegs komplett damit erklären lässt. So schlagen sich Personen, die auf dem Papier die gleichen Qualifikationen und Fähigkeiten besitzen, am Arbeitsmarkt oft höchst unterschiedlich. Warum boxt sich der eine in die Chefetage hoch, während es der andere nicht einmal in die nächste Bewerberrunde schafft?

Cade Massey, Assistenzprofessor an der Yale-University, hat in einer Reihe von Studien die Antwort gefunden: Erfolg ist in weiten Teilen Einstellungssache - und Optimisten sind klar im Vorteil. Einen Beleg dafür liefert eine Langzeitstudie, in der Massey und zwei Koautoren die Karrierewege von 230 MBA-Studenten untersucht haben. Zu Beginn des Studiums hatten sich alle einem Persönlichkeitstest unterzogen - unter anderem wollten die Forscher wissen, wie zuversichtlich die Probanten in die Zukunft blicken. Es zeigte sich ein klares Muster: Von den Absolventen mit gleichen Studienleistungen bekamen die Optimisten deutlich mehr Stellenangebote und wurden in den ersten beiden Berufsjahren häufiger befördert - dabei hatten sie weniger Zeit in die Jobsuche investiert.

Eine ganze Reihe ähnlicher Studien belegt, dass Optimisten nicht nur schneller einen Job finden, sondern auch mehr verdienen, zielstrebiger arbeiten und seltener krank werden als Schwarzseher. Trotzdem tun sich die Wissenschaftler mit eindeutigen Erklärungen für den Zusammenhang schwer. Massey vermutet, dass die positive Lebenseinstellung "einen sich selbst erfüllenden Charakter hat". Wer an etwas glaubt, passe sein Verhalten so an, dass das erhoffte Ereignis tatsächlich eintrete. Außerdem würden Optimisten positiver mit Feedback umgehen und hätten dadurch eine bessere Ausstrahlung auf andere. Indirekt helfe das dann bei der Karriere. Die positive Lebenseinstellung ist nicht die einzige Charaktereigenschaft, die sich auszahlt. Auch die Schicksalsgläubigkeit eines Menschen spielt eine Rolle - sie beeinflusst, wie wir mit Rückschlägen und Problemen umgehen.

Wer glaubt, dass er seines eigenen Glückes Schmied ist, hat eindeutig größeren Erfolg auf dem Arbeitsmarkt, zeigt die Maastrichter Ökonomin Judith Semeijn. In einer Langzeitstudie kommt sie zu dem Schluss: Absolventen der Uni Maastricht, die meinen, ihr Schicksal selbst in der Hand zu haben, und sich ambitionierte Ziele setzen, verdienen monatlich 300 Euro mehr als schicksalsgläubige Menschen, die weniger ehrgeizig sind. Arbeitnehmer, die sich nicht dem Schicksal ausgeliefert fühlen, würden sich mehr anstrengen und schneller nach oben kommen, vermutet die Forscherin.

Auch Entwicklungsökonomen stellen immer häufiger die Charakterfrage. So kommt Sayantan Ghosal, der an der University of Warwick die Ursachen von Armut untersucht, zu dem Schluss: Menschen, die daran glauben, etwas an ihrer Situation ändern zu können, befreien sich häufiger aus der Armut. Die innere Haltung sei aber keineswegs vorherbestimmt: Wenn Frauen im Fernsehen mit starken Vorbildern konfrontiert werden, "führt dass zu einer nachhaltigen Veränderung der Einstellung", sagt Ghosal.

Präferenzen wären demnach wandelbar und nicht einfach gegeben. Für traditionelle Ökonomen ist das harter Tobak - normalerweise nehmen Volkswirte die Präferenzen von Menschen als gegeben hin und stellen sie nicht in Frage. Allerdings sehen die Forscher auch die Grenzen, die die Charaktereigenschaften haben. Und: Es kommt auf die Dosis an. Eine gesunde Portion Optimismus ist gut, Selbstüberschätzung dagegen kann schnell zu Bruchlandungen führen, zeigen Studien. Das gilt für Managerkarrieren ebenso wie im Boxring: Als Muhammad Ali mit 39 Jahren zu seinem letzten Kampf antrat, glaubte er noch an sein erfolgreiches Comeback. Die Boxlegende musste kräftig einstecken - seine Niederlage ging als "Drama auf den Bahamas" in die Geschichte ein.

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