Rohstoffe „Man bräuchte schon sehr gute Nerven, um einzusteigen“

Analysten erwarten, dass die Preise an den Rohstoffmärkten noch über Jahre hinweg unter Druck bleiben. Auch für Rohöl geben einige Experten extrem pessimistische Prognosen ab. Sie warnen daher vor Engagements.

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Die Lagerbestände an Rohöl sind überdurchschnittlich hoch. Quelle: dpa

New York Trotz der bereits anhaltenden Rohstoffbaisse fürchten Analysten von Goldman Sachs, Morgan Stanley und Citigroup, dass die Preise noch jahrelang auf niedrigem Niveau notieren werden. Bei Rohöl und Kupfer ist nach Einschätzung von Goldman wegen des Angebotsüberhangs eine Erholung unwahrscheinlich. Experten von Morgan Stanley erwarten, dass schwächere Währungen in Erzeugerländern zu einer robusten Produktion von Rohmaterialien führen, die in Dollar verkauft werden – selbst während eines Bärenmarkts. Citigroup verweist darauf, dass es angesichts des schleppenden Wachstums der Weltwirtschaft „schwer zu argumentieren“ sei, dass die Preise ihre Talsohle bereits erreicht haben.

Der Rohstoffindex Bloomberg Commodity wies am 30. September den stärksten Quartalsverlust seit den Tiefen der Rezession von 2008 auf. Chinas Wirtschaft, der größte Konsument von Getreide, Energie und Metallen, wächst so langsam wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr, just während die Produzenten ihre Überschüsse zu zügeln versuchen.

Der Rohstoffkonzern Alcoa, einst Symbol der industriellen Macht Amerikas, will sich in zwei Unternehmen aufspalten, und das Unternehmen Chesapeake Energy reduziert die Belegschaft um 15 Prozent. Caterpillar dürfte 10.000 Arbeitsplätze abbauen, da sich die Nachfrage nach Ausrüstungen in den Bereichen Bergbau und Energie abschwächt.

„Man bräuchte schon sehr gute Nerven, um mit voller Kraft bei Rohstoffen einzusteigen“, sagt Portfoliomanager Brian Barish von Cambiar Investors in Denver. „Es gibt viel mehr neue Kapazitäten als physische Nachfrage. Der einzige Weg, um das Problem zu lösen, ist im Grunde die Stilllegung der Kapazitäten, und das geschieht, indem man die Rohstoffhersteller beim Kapital verhungern lässt.“


Lange Talfahrt

Die Investoren verschwinden bereits. Die Summe aller offenen Positionen in Termin- und Optionskontrakten, im Fachjargon „Open Interest“ genannt, ist im September bei Rohmaterialien den vierten Monat in Folge gefallen. Das war Daten zufolge die längste Verlustserie seit 2008. Im selben Monat wurden aus börsengehandelten US-Produkten, die Metalle, Energie und Agrargüter nachbilden, unter dem Strich 467,8 Millionen Dollar abgezogen.

Der aus 22 Komponenten bestehende Bloomberg Commodity Index läuft auf den fünften Jahresverlust in Folge zu, was die längste Talfahrt seit Beginn der Datenreihe im Jahr 1991 wäre. Damit hat sich der Trend gegenüber den vorigen zehn Jahren umgekehrt, als der Wachstumsboom in Asien zu zeitgleichen Preisanstiegen geführt hatte, was als Rohstoff-Superzyklus bezeichnet wurde. Landwirte, Bergbauer und Ölförderer bauten angesichts der hohen Preise, die 2008 auf Rekordstände kletterten, ihre Kapazitäten aus. Nun kommt das zusätzliche Angebot an den Markt, just während sich das globale Wachstum abkühlt.

Die Überinvestitionen in neue Versorgungskapazitäten in den vergangenen zehn Jahren und günstige Anbaubedingungen für Feldfrüchte sorgten für Überschüsse, erklärten Citigroup- Analysten um Ed Morse, Leiter für Rohstoffanalysen, in einer Studie von Mitte September. Die Bank erwartet in den nächsten drei bis sechs Monaten bei Rohöl, Aluminium, Platin, Eisenerz, Kakao und Weizen eine fallende Tendenz.

Anleger müssen sich auf einen „langen Winter“ einstellen, warnt Ruchir Sharma, Leiter Schwellenmärkte bei Morgan Stanley Investment Management in New York. Seiner Einschätzung nach wird sich der Bärenmarkt bei Rohstoffen noch über Jahre hinziehen. Der Ölpreis könnte auf bis zu 35 Dollar je Barrel fallen. Die Rohöl-Terminkontrakte für die Sorte WTI wurden am Mittwoch bei knapp 50 Dollar je Barrel gehandelt, verglichen mit etwa 90 Dollar vor einem Jahr.

Ein noch düstereres Bild zeichnet Goldman Sachs. Die Wahrscheinlichkeit nehme zu, dass der Ölpreis in die Nähe von 20 Dollar fallen werde, weil der Markt stärker überversorgt sei als anfänglich erwartet, erklärten Analysten um Rohstoffchef Jeffrey Currie in einer Studie von Mitte September. Ein paar Tage später sagte Currie einem Interview, die Preise könnten die nächsten 15 Jahre niedrig bleiben. Die Bank prognostiziert auch einen Überschuss an Kupfer bis mindestens 2019 und bis Ende des kommenden Jahres einen Preisrückgang um 13 Prozent auf 4.500 Dollar je Tonne. Allerdings steht das künftige Produktionsvolumen nicht fest. Die Minenkonzerne kürzen bereits ihre Investitionen und extreme Witterungen können bei Agrargütern zu Ernteeinbrüchen führen.


Hohe Lagerbestände

Reis gehört zu der Handvoll Rohstoffe, die sich in diesem Jahr verteuert haben. Die Preise stiegen um 14 Prozent, nachdem der Mai mit Rekordniederschlag in Texas und überdurchschnittliche Temperaturen im Juli in anderen Bundesstaaten mit Reisanbau die Ernteaussichten in den USA getrübt haben. Unternehmen von Glencore bis Freeport-McMoran verringern ihre Metallerzeugung, und Dutch Shell gibt die Ölsuche in der US-Arktis auf, die bereits sieben Milliarden Dollar verschlungen hat.

„Sobald ein bestimmter Preis erreicht wird, verliert man eine Menge Marktteilnehmer“, sagt Karyn Cavanaugh, leitende Marktstrategin bei Voya Investment Management in Windsor im US- Bundesstaat Connecticut. „Und an diesem Punkt werden dann die Preise ansteigen.“

Selbst wenn sich die Nachfrage erholen sollte, gibt es noch immer eine Menge Überschüsse. Die Lagerbestände an Rohöl liegen noch immer fast 100 Millionen Barrel über dem Fünfjahresschnitt. Die Kupferlager, die von der Rohstoffbörse London Metal Exchange beobachtet werden, haben sich in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdoppelt, und der Internationale Getreide-Rat rechnet im kommenden Jahr mit Rekordreserven an Weizen.

Die Investoren strafen die Erzeuger ab. Glencore hat in diesem Jahr etwa 60 Prozent an Marktwert eingebüßt, und die Kreditmärkte behandeln den Rohstoffkonzern bereits wie Ramsch. Im bisherigen Jahresverlauf stammen sieben der zehn Unternehmen mit der schlechtesten Entwicklung im US-Aktienindex Standard & Poor's 500 aus Sektoren mit Bezug zu Rohstoffen.

Bei Caterpillar brach der Aktienkurs im vergangenen Quartal um 23 Prozent ein, während der wertvollste Maschinenhersteller der Welt die Nachwirkungen des Ölpreisabsturzes zu spüren bekam. Die Firma aus Peoria im US-Bundesstaat Illinois baut bis Ende 2018 bis zu neun Prozent der Arbeitsplätze ab, um die Kosten zu senken. „Die weltweite Infrastruktur und das Rohstoffangebot müssen noch neu ausgerichtet werden“, sagt Jack Ablin, Investmentchef von BMO Private Bank in Chicago. „Es wird wahrscheinlich ein paar weitere Jahre dauern, bis das behoben ist.“

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