Smart Home für Senioren Zwischen Unterstützung und Überwachung

Technik und Vernetzung mit der Außenwelt sollen älteren Menschen dabei helfen, so lange wie möglich allein zu Hause klar zu kommen. Das Interesse der Senioren ist groß – einige ethische Fragen aber sind noch ungeklärt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Smart Homes für Senioren könnte es älteren Mitbürgern ermöglichen, länger in ihren vier eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben. Quelle: dpa

Paul ist ein Alleskönner: Er schaltet Licht, Radio und Fernseher an und aus und gibt Bescheid, wenn ein Fenster offensteht. Er macht Termine beim Friseur und beim Arzt. Wenn etwas nicht stimmt, alarmiert er Notdienst oder Angehörige. „Paul“ ist kein Mensch, sondern ein Touchscreen-Computer und heißt mit vollem Namen „Persönlicher Assistent für Unterstütztes Leben“.

Entwickelt wurde „Paul“ von Forschern der Technischen Universität Kaiserslautern und der Firma Cibek aus Limburgerhof, im November ging ein dreijähriger Test in einem Seniorenheim in Speyer zu Ende. Der Computer ist Kern eines umfassenden Projekts, das älteren Menschen durch technische Helfer im Haus ermöglichen will, so lange wie möglich alleine zurecht zu kommen.

Auf dem Forschungsgebiet des „Ambient Assisted Living“ (AAL) – übersetzt in etwa „Umgebungsunterstütztes Leben“ – tummeln sich hierzulande neben zahlreichen Wissenschaftlern auch hunderte Firmen und Wohnungsbaugesellschaften. Sie alle arbeiten an Lösungen für das sogenannte Smart Home für Senioren: die Palette reicht von sich selbst abschaltenden Herdplatten und höhenverstellbaren Waschbecken über Sensoren und Spezialteppiche für die Sturzerkennung bis zu elektronischen Erinnerungen an die Medikamenteneinnahme und telemedizinischen Anwendungen mit direktem Draht zu Arzt oder Pfleger.

„Meistens brauchen die Senioren natürlich nicht gleich alles“, sagt Christian Reichelt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungszentrums Informatik (FZI) an der Universität Karlsruhe. Schon ein altersgerechtes Telefon mit großen Tasten, eine blinkende Türklingel für Schwerhörige oder eine preiswerte, durch Bewegungsmelder gesteuerte Beleuchtung aus dem Baumarkt könne die Sicherheit im Haushalt erhöhen. Der Medizin-Informatiker hat ein vom Land Baden-Württemberg unterstütztes Web-Portal mit aufgebaut, das Orientierung in der Masse von AAL-Produkten geben will, deren technische Standards leider immer nicht zusammenpassen.

Noch schwieriger als die Kompatibilitätsprobleme ist nach Ansicht Reichelts, die potenziellen Nutzer zu überzeugen: „Die Frage ist, wie bekomme ich die Leute dazu, das auch auszuprobieren?“ Sein Institut tourt seit Monaten mit einem Wohncontainer durchs Land, um für die Haustechnik zu werben, die neben den älteren Bewohnern auch Ärzte, Pfleger und Angehörige entlasten soll.

Die Frage, wie ein möglichst selbstbestimmtes Leben im Alter aussehen kann, wird hierzulande immer drängender: Jeder Fünfte ist heute älter als 65, in 30 Jahren wird es jeder Vierte sein. Die Zahl der Über-80-Jährigen wird 2010 mit etwa zehn Millionen dreimal so hoch sein wie 2005. Nach jüngsten Untersuchungen des Bundesbauministeriums sind aber derzeit nur ein bis zwei Prozent des Wohnungsbestands altersgerecht. Ein erschreckend geringer Anteil, wenn man bedenkt, dass 90 Prozent der in der Studie „Pflege 2020“ befragten Bürger angaben, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben zu wollen.


Senioren sind nicht technikfeindlich

Die Politik setzt angesichts des absehbaren Pflegenotstands in einer alternden Gesellschaft große Hoffnungen in die vernetzten Haustechniken: Mit 45 Millionen Euro unterstützte allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den vergangenen fünf Jahren 18 Projekte aus dem Bereich „Ambient Assisted Living“. Mehr als 20 EU-Staaten – darunter Deutschland – wollen in den kommenden sieben Jahren rund 700 Millionen Euro in AAL-Projekte investieren, dann mit Schwerpunkt auf altersgerechten Assistenzsystemen am Arbeitsplatz.

Die betroffenen Senioren indes sind nicht so technikfeindlich wie weithin angenommen: „Überaus aufgeschlossen“ seien ältere Menschen, wenn die technische Lösung dabei helfe, in der gewohnten Umgebung bleiben zu können, sagt der Informatik-Professor Sahin Albayrak, dessen Labor für „Distributed Artificial Intelligence“ an der Technischen Universität Berlin diverse Smart-Home-Systeme in Feldversuchen mit Anwendern testete. Für deren breiten Einsatz sei die Handhabung aber immer noch eine der größten Hürden, räumt er ein. Die speziellen Anforderungen der Zielgruppe, „wie Beeinträchtigungen im Hören und Sehen oder in der Motorik“ müssten deshalb noch stärker berücksichtigt werden.

Auch die Erfahrungen mit dem Computerhelfer „Paul“ in Speyer und Kaiserslautern haben gezeigt, dass es noch dauern könnte, bis automatisierte Wohnbereiche für Ältere zur Selbstverständlichkeit werden. Nach Abschluss der dreijährigen Testphase hat die an der Studie beteiligte Gemeinnützige Baugenossenschaft Speyer (GBS) erst einmal keine konkreten Pläne, die Technik in ihren Objekten einzubauen. Dass sich die Nachfrage noch in Grenzen hält, lag vermutlich auch daran, dass nur wenige Senioren an der ersten Testphase beteiligt waren.

„Einfachste Anwendung“ ist nach Ansicht des Dresdner Sozialmediziners Frank Oehmichen der Schlüssel, um den Smart-Home-Techniken eines Tages zum Durchbruch zu verhelfen. „Mit komplizierten Bedienungsanleitungen haben Ältere es einfach nicht mehr“, weiß Oehmichen aus Erfahrungen aus der eigenen Familie. Mit drei Experten für Internet- und Nachrichtentechnik hat der Mediziner die Firma Exelonix gegründet. Das Unternehmen will einen Tablet-Computer mit einer auf Senioren abgestimmten Oberfläche anbieten, mit dem diese Hilfsfunktionen wie Notrufe nutzen, aber auch Fotos und E-Mails mit Angehörigen austauschen oder sich in sozialen Netzwerken tummeln können. Eine Art elektronischer Allesbenutzer – die Wartung kann die Familie aus der Ferne übernehmen. Im kommenden halben Jahr soll das Gerät mit Senioren in Dresden, im ländlichen Westsachsen und in Nord- und Süddeutschland getestet werden.

Die Entlastung der Familien wird immer wieder als Argument für die Vernetzung der Seniorenhaushalte angeführt: Mehr als 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden hierzulande ausschließlich von Angehörigen betreut, für viele endet dieser Dauerjob in Überforderung und Burnout. „Es ist doch besser, wenn ich über die Haustechnik erfahre, ob der Angehörige gegessen hat und ob alles in Ordnung ist, als wenn ich jeden Abend vorbeifahren muss“, sagt FZI-Forscher Reichelt. Er glaubt nicht, dass durch „Smart Homes“ die Vereinsamung droht: „Die Technik ist sicher nicht der Grund, weswegen Verwandte sich nicht blicken lassen.“


„Datenschutz ist ein ernstes Thema“

Ganz so einig scheint sich die Forschung hier jedoch nicht zu sein: Angesichts des Hypes um die Branche sei die „Gefahr der Fürsorgereduktion ein Bereich, den wir nicht vernachlässigen sollten“, sagt Oehmichen, der an der Evangelischen Hochschule Dresden auch eine Professur für Ethik und Sozialmedizin innehat. Das Aufrechterhalten der „sozialen Struktur“ der Bewohner müsse „die wichtigste Komponente“ in jedem Smart Home sein, sagt auch der Berliner Informatiker Albayrak.

Nicht erst seit der NSA-Affäre treibt die Forscher die Frage um, ob die Vernetzung im eigenen Heim in unerwünschte Big-Brother-Szenarien münden könnte: So offen die Senioren für technische Unterstützung sind – „die Leute fühlen sich auch überwacht“, sagt Reichelt mit Blick auf seine Beobachtungen bei Feldversuchen. „Der Datenschutz ist ein ernstes Thema“, befindet auch Oehmichen. Und so wird derzeit an verschiedenen Varianten gearbeitet: Von einer Verschlüsselung vor allem medizinisch sensibler Informationen bis zu Systemen, wo alle Daten prinzipiell im Haus bleiben oder nur anonymisiert übertragen werden.

Dass Verwandte oder externe Dienstleister über Bewegungsmelder – oder im extremen Fall auch Kameras – jeden Schritt nachvollziehen können, scheinen viele Pflegebedürftige in Kauf nehmen zu wollen, wenn sie den Umzug ins Heim dafür möglichst lange hinausschieben können. Oehmichen sieht eine enorme Verantwortung auf Angehörige, Pfleger und die Betroffenen selbst zukommen. Denn was den Grad der Beobachtung angehe, müsse jeder letztlich selbst entscheiden: „Es ist eine schwierige Balance, die kann man nur in jedem Einzelfall neu finden.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%