Interfaces der Zukunft Es gibt ein Leben nach der Maus

Seit Apples Macintosh die Bedienung von Computern mit der Maus revolutionierte, hat sich im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine wenig getan. Die Rechner werden immer schneller, die Grafik immer besser - doch bei der Bedienung blieb alles beim Alten. Dabei gibt es durchaus Ansätze zur Entwicklung neuer, revolutionärer User Interfaces - etwa ein Multitouch-Gerät, das mit den Füßen bedient wird.

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Multitouch mit den Füßen: Eine Studentin des Hasso-Plattner-Instituts demonstriert das

std/HB DÜSSELDORF/POTSDAM. Der Science-Fiction-Autor William Gibson gilt zu recht als Visionär. In Gibsons berühmter "Neuromancer"-Trilogie beherrschen Computernetzwerke die von ihm geschaffene Cyberpunk-Welt. Nur bei der Interaktion mit den Computern lag er wie viele Zukunftsvisionäre falsch: Statt in einen Cyberspace abzutauchen, nutzen wir auch heute noch, Jahrzehnte nach der Computerrevolution, vor allem Maus und Tastatur, um mit den Maschinen zu interagieren.

Der Xerox-Mitarbeiter Douglas Engelbart gilt als Erfinder der Maus. Doch erst Jef Raskin, der "Vater des Macintosh", verhalf dem Konzept zum Durchbruch, indem er das bis heute gültige Maus-Paradigma erschaffen hat: "Wenn wir mit der Maus ein Dokument in den virtuellen Papierkorb ziehen, dann 'ist' die Maus in diesem Moment dieses Dokument. Damit macht die Maus aus virtuellen Konzepten anfassbare Dinge", erklärt Peter Purgathofer, Professor für Informatik an der TU Wien, die Genialität des Maus-Konzeptes von Raskin.

Erst das Multitouch-Display des iPhones brachte wieder etwas Bewegung in die Human Computer Interaction (HCI), wie Fachleute die Wissenschaft von der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine bezeichnen. Berührungsempfindliche Displays hatten sich zuvor kaum als Bedienungsmethode durchgesetzt, weil sie nur einen einzigen Berührungspunkt unterstützten. Geräte, die auf dem Prinzip des Multitouch basieren, erlauben es Benutzern unter dem Einsatz auch mehrerer Finger beispielsweise in Landkarten zu zoomen oder Objekte zu bewegen.

"Geräte wie das iPad stellen jetzt erstmals die Möglichkeit dar, dass sich diese Interaktionsform entwickeln kann", so Purgathofer. Das gehe aber nicht über Nacht, auch die Entwicklung des berühmten Doppelklicks habe schließlich Jahre gedauert, genauso wie "Drag and Drop". "Entsprechend bleibt abzuwarten, welche 'Syntax' der interaktion sich im Multitouch-Bereich herausbildet. Notwendiger kristallisationspunkt dafür ist so ein massentaugliches Gerät wie das iPad", so der Informatik-Professor.

Doch die Multitouch-Bedienung kommt bereits jetzt gut an: Apple rollt mit seinem iPhone den Smartphonemarkt auf und das iPad verhalf der lange von den Kunden verschmähten Geräteklasse der Tablet-PC zum Durchbruch - der erste massenhaft verkaufte Computer ohne Hardware-Tastatur. Das jüngst eingeführte iPhone 4 verkaufte sich binnen drei Tagen 1,7 Millionen Mal. Laut Apple-Chef Steve Jobs ist es die erfolgreichste Produktneueinführung in Apples Geschichte.

Studenten bauen Multitouch-Boden

Doch die Evolution der Computereingabe dürfte damit noch nicht am Ende sein. Sechs Studenten des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam stellten sich im Rahmen eines Bachelorprojekts der Aufgabe, ein Interface für große Datenmengen zu entwickeln. Die Interaktionsfläche sollte dabei so groß sein, dass es beispielsweise die Darstellung des menschlichen Genoms erlaubt. Die überraschende Lösung der Studenten: Sie funktionierten kurzerhand den Boden in ein Multitouch-Gerät um, das mit den Füßen bedient wird.

"Um mit solchen Datenmengen zu interagieren, benötigt man interaktive Flächen, die so groß sind, dass sie einen ganzen Raum ausfüllen", sagt Student Konstantin Käfer. "Beim Umgang mit einem Gerät dieser Größe sind menschliche Arme schlichtweg zu kurz", fügt sein Kommilitone Thomas Augsten hinzu. Der Prototyp hat bereits für internationales Aufsehen gesorgt: Im Oktober präsentiert das Team seine Arbeit auf dieser Konferenz in New York.

Der Wechsel von Hand- zu Fuß-Interaktion brachte allerdings eine Reihe von Herausforderungen mit sich. So muss es ein Fußboden beispielsweise Benutzern erlauben, sich zu bewegen, ohne bei jedem Schritt eine Aktion auszulösen. Der "Multitoe" getaufte Boden des Teams löst das Problem, indem er die Fußbewegungen der Benutzer analysiert: Wenn sie mit dem Fuß "tippen", erkennt der Boden die Interaktion als gewollte Eingabe. Rollt der Fuß hingegen ab, interpretiert er die Bewegung als normales Gehen und löst keine Funktionen aus.

Die Fähigkeit des Bodens, die Füße seiner Benutzer von unten zu beobachten, sorgte im Nebeneffekt für eine Reihe neuer Interaktionsmöglichkeiten. Zum Beispiel kann "Multitoe" nicht nur die Füße, sondern sogar auch die Köpfe seiner Benutzer lokalisieren. Eines der von HPI-Student Dorian Kanitz geschriebenen Demoprogramme setzt diese Fähigkeit ein, um die Perspektive einer auf dem Boden dargestellte 3D-Szene an die Kopfposition des Nutzers anzupassen. Wenn der Benutzer sich nach vorne beugt oder zur Seite lehnt, verändert sich das Bild entsprechend. Das Geheimnis: Beim Lehnen verändert sich die Gewichtsverteilung auf den Schuhsohlen des Benutzers. Die wiederum kann der Prototyp des Teams erkennen.

Die durch das HPI-Team erarbeiteten Technologien und Techniken sind jedoch erst der Anfang "Die Arbeit des Teams bildet die Grundlage für eine ganze Reihe von kommenden Forschungsarbeiten in unserem Fachgebiet", sagt Patrick Baudisch, Leiter der Fachgebiets Human Computer Interaction am Hasso Plattner Institut und Betreuer der Gruppe. So könnten die von der Studentengruppe entwickelten Technologien beispielsweise die Basis für zukünftige Wohnungen bilden, die mit berührungsempfindlichen Böden ausgestattet sind, um das Wohlbefinden ihrer Bewohner sicherzustellen. In die Privatsphäre der Bewohner wird dabei nicht eingegriffen, anders als bei Kamerasystemen.

Für die weiteren Forschungen entsteht im Erweiterungsbau des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam bereits der nächste Prototyp des Teams: eine acht Quadratmeter große Installation, die sich über zwei Stockwerke des Gebäudes erstreckt. Auch international sorgte das Gerät bereits für Aufsehen: Im Oktober präsentiert das Team seine Arbeit auf dieser Konferenz in New York.

"Je weniger Technik, desto besser"

An einem Useri-Interface mit breiterer Zielgruppe forscht das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut. Ihr Ansatz lautet: Je weniger Technik, desto besser. Die iPoint 3D getaufte Technik verzichtet daher völlig auf Eingabegeräte und soll technische Geräte mit Gesten steuern. "Technik ist dann erfolgreich, wenn sie sich nicht als solche darstellt", argumentieren die Forscher. "So wenig wie wir einen Otto-Motor bedienen wollen, wenn wir Auto fahren, so wenig wir Programmierkenntnisse mitbringen wollen, wenn wir Videos oder Musiktitel laden oder aufzeichnen, so wenig wollen wir uns umgebende Geräte über spezielle Eingabeelemente bedienen." Weitere User-Intferace-Konzepte finden Sie in unserer Übersicht.

Ob sich die neuen Ansätze durchsetzen, ist schwer vorhersagbar. "Es geht in solchen Anwendungen immer darum, dass der neue Ansatz merkbar besser, nachhaltig angenehmer und schließlich auch mächtiger ist als der alte", sagt Informatik-Professor Purgathofer. Allerdings haben sich abseits der Office-PCs auch heute bereits Alternativen zu Maus und Tastatur durchgesetzt. "In anderen Bereichen haben sich längst andere, dort besser passende Interaktionsgeräte etabliert, zum Beispiel die Controller für die Spielekonsolen Playstation und Xbox in Form eines Hörnchens".

Purgathofer erkennt eine regelrechte Aufbruchstimmung: "Sonys 'Move' und Microsofts 'Kinect' führen die Innovation hier durchaus sinnvoll fort. Ob sich das aber für andere Bereiche als Spiele etablieren wird, bleibt unklar, denn bisher hat auch die an sich offene Wii-Remote kaum sinnvolle Arbeits-Anwendungen gefunden."

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