Innovationen Politik der offenen Labore

Wer eine Erfindung vermarktet, muss sie noch lange nicht selbst gemacht haben. Mittlerweile suchen nämlich viele Konzerne ihre neuen Ideen per Internet in den Laboren auf der ganzen Welt.

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Nicht immer kommen die neuesten Produkte aus der Ideenschmiede des entsprechenden Konzerns. Quelle: handelsblatt.com

Wenn Lucas Hülsmann zwischen zwei Vertragsverhandlungen in Berlin und London kurz Zeit hat, schlendert er gern durch die bunten Regalreihen von Drogerien. „Alles Babies von Ehen, die ich angebahnt habe“, scherzt der schlacksige 41-Jährige und deutet auf Raumluftsprays, Batterien und Fleckentferner.

Hülsmann ist Partnervermittler – allerdings nicht für Liebende, sondern für Unternehmen. Für den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble (P&G) sucht er externe Ideengeber. Open Innovation heißt das im Fachjargon.

P&G erschafft bereits die Hälfte aller neuen Produkte mit externer Hilfe: Den „Magic Eraser“ von Meister Proper hatte ein deutscher Chemiekonzern entwickelt, der aber keine Verwendung dafür hatte, erzählt der umtriebige Österreicher. Der Ideenscout von P&G habe jedoch sofort das Potenzial als Schmutzradierer erkannt. „Verkauft sich prima“, jubiliert Hülsmann. Die neuartigen Moleküle der „Regenerist Creme“ von Oil of Olaz stammen von französischen Hautpflegeexperten, der Applikator fürs Augen-Make-up aus Israel. Innovation total global.

Warum alles mühsam allein entwickeln, wenn andere die Ideen und die Technik schon haben? fragt sich nicht nur P&G. Die Firmen sind sogar stolz auf ihre neue Offenheit: „Proudly found elsewhere“ lautet die Devise bei Open Innovation.

Die Weisheit von externen Experten machen sich immer mehr Unternehmen zunutze – und zwar nicht nur Internetstars wie Google, sondern auch deutsche Traditionsfirmen wie Bosch oder Tchibo. Sie öffnen ihre geheimen Labore, die sie früher wie einen Heiligen Gral hüteten. Denn mit externen Ideengebern lassen sich Entwicklungsrisiken und -zeiten minimieren. Ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil angesichts dramatisch kürzerer Produktzyklen.

Hülsmann zeigt auf die Regalreihen mit elektrischen Zahnbürsten: „Unsere Oral B Pulsonic haben wir in der Rekordzeit von knapp zwei Jahren auf den Markt gebracht.“ Normalerweise hätte die Entwicklung fünf Jahre länger gedauert. P&G ist zwar Marktfüher für rotierenden Bürsten. „Aber in der pulsierenden Technik kannten wir uns gar nicht aus“, gibt Hülsmann zu.

Deshalb suchte der Konzern auf seiner interaktiven Ideen-Plattform „Connect and Develop“ einen kompetenten Partner. Dort veröffentlicht P&G seit 2001 einen Teil seines Forschungsbedarfs. Es meldete sich prompt ein Unternehmen aus Japan. „Wir lizensierten die Technologie und konnten quasi loslegen“, sagt Hülsmann. In anderen Fällen tauscht Procter mit externen Partnern auch gegenseitig Forscher aus.

Anonym Ideengeber suchen

Die Politik der Offenen Labore war lange keine Selbstverständlichkeit für Procter. Noch zur Jahrtausendwende steckte der Konzern in einer schweren kreativen Krise, Marktanteile bröckelten. Obwohl immer mehr Geld in Innovationen floss, sank die Zahl der erfolgreichen Produkte. Der Grund: „Unsere 9 000 Forscher und Entwickler tüftelten im stillen Kämmerlein und kümmerten sich wenig um die Außenwelt“, sagt Hülsmann.

Dabei gibt es weltweit zwei Millionen Experten, die über Themen von P&G forschen. Deren Wissen wollte der Konzern anzapfen. Die Konsequenz: ein radikaler Strategieschwenk hin zu offener Innovation.

Seitdem kommen im Jahr fast 5 000 Vorschläge von externen Forschern auf dem interaktiven Portal zusammen. Zusätzlich spüren 15 Technologiescouts via Internet, auf Messen und im Ausland Innovationen auf. Innerhalb von 24 Stunden klopfen sie diese auf ihre Umsetzbarkeit ab. „Unser schnellster Deal war nach drei Tagen unter Dach und Fach“, erzählt Hülsmann stolz.

Wenn P&G Forschungsbedarf ausschreibt, teilt sich das Unternehmen oft die Entwicklungskosten mit dem Externen und jeder kann danach Lizenzen für verschiedene Anwendungen nutzen. „Davon profitieren beide“, sagt Hülsmann. Das ehrgeizige Ziel von P&G: Externe Ideen sollen künftig drei statt einer Milliarde Dollar zum Umsatz beitragen.

Dabei habe Open Innovation nicht zu Personalabbau geführt, betont Hülsmann. Die Zahl der Forscher und Entwickler von P&G blieb gleich. Nicht aber der globale Umsatz: Er hat sich seitdem von 40 auf 80 Milliarden Dollar verdoppelt. „Wir sind bei Innovationen viel effizienter geworden“, so Hülsmann.

Neben der eigenen Ideenbörse im Netz nutzt P&G auch verschlüsselte Open Innovation-Plattformen wie Innocentive. Dort suchen Firmen wie Accenture, SAP oder Roche Ideengeber total anonymisiert. Auftraggeber zahlen für die Ideen 5 000 bis einer Million Dollar.

25 000 Dollar winken etwa für eine Handy-App, die vor Schlaglöchern in Boston warnt. Eine Million Dollar zahlte eine gemeinnützige Organisation für einen Biomarker, der eine seltene Krankheit erkennt.Die Plattformen begeistern nicht nur die Firmen, sondern auch die Tüftler: Gegen die Ölverschmutzung am Golf von Mexiko reichten mehr als 1 000 Menschen weltweit Vorschläge ein. Für wohltätige Zwecke ist die Nutzung von Innocentive kostenlos, die Lösungen müssen dann aber für jeden zugänglich sein. Firmen zahlen 10 000 bis 20 000 Dollar Gebühr pro Suchaufruf.

"Fairness ist wichtig"

„In etwa der Hälfte der Fälle findet sich eine Lösung, über 1 500 Probleme wurden über Innocentive gelöst“, sagt Deutschlandchef Georg Debus. Falls Patente berührt werden, überträgt der Ideengeber mit Annahme des Preisgeldes alle Patentrechte. „Das Finanzielle und Rechtliche muss vorher klipp und klar geregelt sein“, betont Debus.

Ein wunder Punkt von offener Innovation ist die gerechte Bezahlung. „Richtig reich werden Ideengeber meist nicht. Wie viel eine Idee wert ist, lässt sich ohnehin im Voraus nicht beziffern“, sagt Oliver Gassmann, Professor für Innovationsmanagement an der Uni St. Gallen.

Auftraggeber wie P&G warnen jedoch davor, von Erfindern den niedrigsten Preis rauszuschlagen. „Fairness ist wichtig, denn aus etwa 40 Prozent unserer Partnerschaften erwächst mehr als ein Baby“, sagt P&G-Manager Hülsmann. Auch Tchibo will keinen übervorteilen: Die Open Innovation-Plattform Tchibo Ideas beteiligt Ideengeber, deren Design umgesetzt wird, prozentual am Erfolg – und zwar an der eingekauften Warenmenge. „Das Risiko, ob sich etwas verkauft, trägt also Tchibo“, sagt Turadj Schahbasi, Leiter von Tchibo Ideas.

Eine weitere Schwachstelle offener Innovationen: Bei Ausschreibungen wird nur eine Lösung prämiert. Das könne die Motivation hemmen, wirklich alles zu geben, vermutet Gassmann. Umso erstaunlicher, dass oft Hunderte oder Tausende freiwillig viel Zeit und Mühe investieren.

Doch sie treibt nach Ansicht von Innocentive-Chef Debus nicht das Geld an, sondern an erster Stelle der wissenschaftliche Ehrgeiz. Dann folge die erhoffte Reputation und erst zuletzt der finanzielle Anreiz. „Unternehmen die das ausnutzen, verlieren rasch ihre Community der Ideengeber“, warnt Gassmann. Über soziale Netzwerke verbreiteten sich schlechte Deals für Erfinder wie ein Lauffeuer.

Tatsache ist: Die besten Ideen kommen meist von Leuten, von denen es keiner erwartet hätte. Ein Ingenieur aus der Mobilfunkbranche etwa löste im Ruhestand ein Problem, an dem sich die Nasa lange die Zähne ausgebissen hatte. Wie lassen sich Sonnenstürme besser vorhersagen? Der Ingenieur, der die Ausschreibung bei Innocentive las, konnte die Vorhersagetreffer von 60 auf 80 Prozent verbessern. Seine Prognosen lagen darüber hinaus sogar schon acht Stunden statt wie bei der Nasa vier Stunden vorher vor.

Doch selbst solche Erfolge haben noch nicht alle Vorurteile beseitigt: Viele Firmen müssen bei ihren Forschern und Entwicklern hart gegen das so genannte „Not-invented-here“-Syndrom ankämpfen – die vermeintliche Schmach, nicht selbst die zündende Idee gehabt zu haben. Forschern ist oft fremd, dass sie nicht nur Macher von Innovationen, sondern immer mehr auch Manager von Innovationen sind. Debus: „Sie müssen verkraften, dass brillante Ideen auch woanders herkommen.“

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